Supertalent Calhanoglu kehrt mit Leverkusen zum HSV zurück. Es dürfte hitzig werden

Hamburg. Hakan Calhanoglu sagt nichts mehr. Sein Berater ist nicht erreichbar, Handy abgeschaltet, Band an, kein Rückruf, E-Mails bleiben unbeantwortet. Tauchstation. Abgestimmt auch mit seinem Verein Bayer Leverkusen. „Nein“, erklärt Sprecher Meinolf Sprink kategorisch, „es gibt nichts zu sagen.“

Es ist ja auch viel geredet, gehetzt, und geplappert worden in den vergangenen Monaten. Zuletzt vor 14 Tagen im „Aktuellen Sportstudio“. Als Katrin Müller-Hohenstein bei ihrem Gast Hakan Calhanoglu ihren WM-Kuschel-Kurs zur Verblüffung und Verärgerung der Bayer-Offiziellen abgelegt und tatsächlich kritische Fragen gestellt hatte. Zur Vertragsverlängerung beim HSV, dem erzwungenen Wechsel nach Leverkusen, der Krankschreibung, dem ganzen Programm halt, das den HSV-Fan erregt und das Menschen wie Lothar Matthäus für richtig halten.

An diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) soll der Deutschtürke nun also in die HSV-Arena zurückkehren – als Spieler von Bayer Leverkusen gegen seinen ehemaligen Verein. Wenn es denn seine Fußverletzung aus dem Pokalspiel am Mittwoch in Magdeburg zulässt. Im Kader steht er, die Entscheidung wird aber wohl erst kurzfristig fallen. „Er will unbedingt spielen, und ich gehe davon aus, dass er spielen kann“, sagte sein Trainer Roger Schmidt vor der Abreise in den Norden: „Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns.“

Das Viertel im Mannheimer Stadtteil Neckarstadt Ost, in dem Hakan Calhanoglu groß wurde, gilt als sozialer Brennpunkt. Hoher Migrantenanteil, da lernt man besser, sich durchzusetzen, oder geht unter. Auf einem Bolzplatz im Bezirk „Wohlgelegen“ kickte er mit seinen Kumpels, übte, trickste, machte. Er schulte den linken Fuß und den rechten, steigerte Technik und Ego. Der Ton ist rau, alle wollen gewinnen, im Spiel und im Leben. Aber der Beste, der weiß auch irgendwann, dass er der Beste ist. Lass sie schreien. Oder pfeifen. Schon andere Spieler, die den HSV einst verlassen haben und deshalb als „Verräter“ von den ganz besonders treuen Fans in der Kurve gebrandmarkt wurden, erlebten bei ihrer Rückkehr im fremden Trikot Pfeifkonzerte. Als Hasan Salihamidzic und Daniel van Buyten mit Bayern München aufliefen, wurde es laut und schrill, auch bei Jörg Butt und Heung Min Son, ebenfalls für den solventen Pharma-Werksclub vom Rhein tätig, wurde die Atmosphäre eher hitzig. Doch all das ist wenig im Vergleich zu dem, was nun Calhanoglu erwartet. Schon hat der HSV angekündigt, beleidigende Banner nicht zuzulassen, hat seine Fans zur Mäßigung gemahnt.

Denn nicht nur die Nordkurve ist sauer, auch das Bürgertum auf der Haupttribüne erregte sich über den dreisten Ausstieg des großen Talents aus seinem erst wenige Wochen zuvor bis 2018 verlängerten Vertrag. „Das macht man so nicht“, lautete der Konsens auf den auch mithilfe eines Psychologen-Attests erzwungenen Wechsel, der jedoch auch dem allerletzten Fußballromantiker klarmachte: Fußball ist Geschäft und Egoismus. Und der deshalb noch mehr wehtat.

HSV-Trainer Joe Zinnbauer hat Calhanoglu beim Karlsruher SC kennengelernt, als er dort Assistenztrainer war. Noch immer pflegt er ein enges Verhältnis zu dem 20-Jährigen. Erst vor knapp einer Woche, nach dem Hertha-Spiel, haben sie miteinander telefoniert. Aber am Sonnabend spielt das keine Rolle. „Wir konzentrieren uns nur auf Leverkusen, wir haben Möglichkeiten, sie zu schlagen, und wir haben Möglichkeiten, Hakan zu bespielen“, sagt Zinnbauer. Und die Pfiffe gegen Calhanoglu? „Keinen Spieler lässt das unberührt“, meint Zinnbauer mit einem leichten Lächeln, „aber kein Spieler wird zugeben, dass es ihm nahegeht.“ So ist es wohl. „Wenn ich Pfiffe bekomme, ist das kein Problem für mich. Ich freue mich auf das Spiel“, sagte Calhanoglu in seinem aufsehenerregenden Sportstudio-Auftritt. Davon ist auch Roger Schmidt fest überzeugt. Der Gedanke, seinen Freistoßkünstler nicht spielen zu lassen, um ihn womöglich vor Pfiffen und Anfeindungen zu schützen, kann der Trainer nicht nachvollziehen. Zumal er ihn angesichts der feststehenden Ausfälle der Mittelfeldspieler Simon Rolfes, Gonzalo Castro und Stefan Reinartz auch dringend benötigt. „Warum sollte ich ihm abraten zu spielen?“, fragt Schmidt rhetorisch, „er braucht keine zehn Stunden Einzelgespräche, um zu spielen.“

Stephan Groß hat 113 Bundesligaspiele für den Karlsruher SC bestritten und dabei 30 Tore erzielt. Außerdem bestritt er fünf B-Länderspiele. Der 61-Jährige ist eine lokale Größe in Deutschlands Südwesten. Als Trainer und Ausbilder betreute er bei Waldhof Mannheim zwei Jahre Hakan Calhanoglu. „Der Bub ist zu mir gekommen, als er 13 Jahre alt war. Das Talent war damals schon sehr ausgeprägt. Das konnte man sofort sehen“, erinnert sich Groß im Gespräch mit dem Abendblatt. „Er war schon als Kind von sich überzeugt. Er macht sich keinen Kopf. Das ist eine Stärke. Er ist total unaufgeregt.“

In der Mannheimer Fußballschule ging es nicht nur um Stoppen und Passen. Es ging auch um Verhalten, Danke und Bitte sagen, um sozialen Umgang und darum, Schiedsrichter-Entscheidungen zu akzeptieren. Nett, gut erzogen, fast schüchtern wirkt Calhanoglu tatsächlich abseits des Platzes. Gleich im ersten Spiel für Waldhof hatte Groß den kleinen Hakan auf die Bank gesetzt. „Er sollte Demut und Bescheidenheit lernen. Da ist aber auch schon der Vater zu mir gekommen: Wieso bleibt Hakan draußen?“ Vater Hüseyin ist eine treibende Kraft hinter der Laufbahn seines Sohnes – angeblich auch beim lukrativen Wechsel nach Leverkusen.

„Der Einfluss der Familie, der war schon immer groß“, meint Stephan Groß. „Der Hakan selbst ist ein einfacher, guter Bub.“