Nach guten Spielen gegen Dortmund und Hoffenheim folgte beim 0:3 in Berlin der übliche Rückschlag. Und jetzt kommen die Bayern und Leverkusen

Berlin/Hamburg. Am Sonntagvormittag war beim HSV alles wie immer. Während die Ersatzspieler auf dem Trainingsplatz neben der Arena übten, drehten die Stammspieler ihre Runden im Volkspark. Erst kamen Rafael van der Vaart und Tolgay Arslan zurück, ein paar Sekunden später folgten Heiko Westermann und Lewis Holtby. Matthias Ostrzolek war alleine unterwegs, und auch Ashton Götz kam um 11.11 Uhr – Alaaf! – unbegleitet von seiner Joggingrunde zurück. Nur wirklich rund, da waren sich alle Beobachter einig, lief und läuft es bei den Hamburgern nicht.

Der HSV dreht sich im Kreis.

Überrascht war dann auch niemand vom 0:3 in Berlin am Vortag. Nach dem guten Spiel in Dortmund (1:0) und der ordentlichen Partie gegen Hoffenheim (1:1) war es der übliche Rückschlag, der beim HSV längst zur Normalität gehört. „Was soll ich jetzt sagen?“, fragte Westermann, der doch nach mehr als vier Jahren beim HSV genau weiß, wie man die turnusmäßigen Enttäuschungen zu bewerten hat: „Schlecht gespielt, verdient verloren, abhaken, am Mittwoch kommt Bayern.“

Der HSV dreht sich im Kreis.

Ganz so schnell wie Westermann wollte Peter Knäbel, seit dreieinhalb Wochen Direktor Profifußball beim HSV, am Tag danach allerdings nicht zur Normalität übergehen. „Man muss schon mal fragen, warum das so ist“, sagte Knäbel, und beantwortete die aufgeworfene Frage gleich selbst: „Wir schießen zu selten auf das Tor. Und wenn wir mal auf das Tor schießen, dann nicht gut genug.“ Zwei Torchancen in 90 Minuten gegen die Hertha sind dafür genauso Beleg wie insgesamt drei Tore in neun Spielen. Noch nie hat eine Bundesligamannschaft zu diesem Zeitpunkt der Saison derart wenige Treffer erzielt, womit der HSV das Kunststück vollbrachte, einen weiteren Negativrekord gebrochen zu haben.

„Wir haben momentan keinen Spieler, der das offensive Spiel prägen kann“, sagte Knäbel, der die reflexartigen Nachfragen nach Regisseur van der Vaart nur halbherzig zu umdribbeln versuchte. Dieses Fass würde er jetzt nicht aufmachen wollen, sagte der ehemalige Technische Direktor der Schweiz, um dann aber doch zu betonen, dass nun die sogenannten Führungsspieler auf dem Feld für die Umsetzung des Plans zuständig seien.

Ein wirklicher Plan des HSV war in Berlin allerdings nicht zu erkennen. Mit 55 Prozent Ballbesitz war die Mannschaft von Trainer Josef Zinnbauer zwar ein weiteres Mal das in der Theorie bestimmende Team. In der Praxis konnten die Hamburger aus dem ständigen Ballbesitz und dem handballähnlichen Kreisspiel aber nur wenig bis gar nichts machen, während Hertha mit schnellem Umschaltspiel anschaulich verdeutlichte, wie man im modernen Fußball zu spielen hat. „Dabei hatte das 0:1 Symbolcharakter“, sagte Knäbel. „Wir hatten den Ball, verlieren ihn, gewinnen ihn zurück, um ihn dann gleich noch mal zu verlieren. Es folgte eine Anhäufung von schlechten Entscheidungen.“ Und es folgte, was folgen musste: Ausgerechnet der frühere HSV-Profi Änis Ben-Hatira vollendete zur hochverdienten Hertha-Führung.

„Der HSV hätte auch sechs oder sieben Stück bekommen können“, sagte später Berlins Mittelfeldmotor Per Skjelbred, der zweite Ex-Hamburger. Und auch dessen Trainer Jos Luhukay wurde nach der Partie deutlich: „Normalerweise hätte es schon zur Halbzeit 3:0 stehen müssen. Wir haben defensiv nichts zugelassen.“ Doch am Ende beließ es der gastfreundliche Hauptstadtclub trotz eines Chancenverhältnisses von 8:2 bei drei Treffern. Und die taten dem HSV genauso weh, obwohl sie sich bereits beim Abschlusstraining angekündigt hatten.

Am Freitag hatte die Startelf im letzten Training vor der Abfahrt nach Berlin mit 0:3 gegen die Reservisten verloren, was Zinnbauer regelrecht in Rage versetzt hatte. „Das ist hier nicht F-, E- oder D-Jugend. Das ist Bundesliga“, hatte der Coach über den Platz gerufen. Doch von der Floskel, dass man so spielt, wie man trainiert, wollte Zinnbauer nach der Pleite am Sonnabend nichts mehr wissen. „Wir haben auch vor der guten Partie gegen Hoffenheim schlecht trainiert“, gab der Fußballlehrer eine etwas eigenwillige Erklärung.

Vor dem Pokalspiel gegen Bayern am Mittwoch und den ebenso harten Bundesligaspielen gegen Leverkusen und Wolfsburg verzichtete Zinnbauer bewusst auf einen öffentlichen Rüffel. Direkt nach dem Schlusspfiff versammelte der Trainer, der noch in dieser Woche einen Profivertrag als Bundesliga-Cheftrainer erhält (siehe unten), seine Mannschaft auf dem Rasen im Olympiastadion in einem Einheitskreis. „Die Jungs wussten gar nicht so richtig, was los ist. Wir dürfen jetzt aber nicht die Köpfe hängen lassen vor den schwierigen Spielen gegen Bayern und Leverkusen“, so Zinnbauer, „das habe ich meiner Mannschaft auch so gesagt.“

Bei den Verantwortlichen kam der Kreis gut an. „Wir sind eine Einheit. Das war ein gutes Zeichen von Zinnbauer“, sagte Knäbel, der nun auf eine echte Überraschung im Pokal hoffen muss. Dabei besteht durchaus Hoffnung: Denn immer dann, wenn niemand mehr mit dem HSV gerechnet hat, konnte der Club überraschen. Am Gesamteindruck ändert dies aber nichts: Dieser HSV dreht sich im Kreis – vor dem Spiel, währenddessen und danach.