Nach der Ausgliederung der Profiabteilung in die Fußball AG haben die Stimmungsgaranten von „Chosen Few“ ihren Rückzug angekündigt.

Hamburg. Mehr ging nicht. 45.000 Banner, 17.000 Arbeitsstunden, hunderte Freiwillige, ein unglaubliches, nie dagewesenes Bild. Die HSV-Arena präsentierte sich an diesem 29. September 2012 vor der Partie gegen Hannover 96 einheitlich schwarz-weiß-blau, die Choreografie zum 125. Vereinsjubiläum war atemberaubend. Und wird einzigartig bleiben.

„Die CFHH wird in der kommenden Saison die ausgegliederte Profiabteilung nicht unterstützen“, teilte die Ultra-Gruppierung „Chosen Few (CFHH)“ am 1. Juli mit, „das beinhaltet sämtliche Aktivitäten im Stadion.“ Also keine Choreografien mehr, keine Vorsänger, keine Wechselgesänge. „Vielleicht wird es etwas ruhiger“, sagt HSV-Vorstandsmitglied Carl Jarchow, „vielleicht sind aber auch andere Gruppierungen bereit, etwas zu organisieren.“

Vielleicht. Chosen Few jedenfalls wird es nicht tun. Niemand kann deshalb derzeit absehen, wie die Stimmung in der Imtech-Arena beim ersten Heimspiel am 30. August gegen den FC Paderborn sein wird. Der bisherige Capo Jojo Liebnau jedenfalls wird nicht mehr auf dem Zaun sitzend die Nordkurve anheizen. Ob es farbige Plakate, Stehplatzbilder, Konfetti oder Banderolen gibt? Niemand weiß es.

„Vielleicht gibt es sogar eine Art Anti-Ultra-Haltun unter den Zuschauern, die beweisen wollen, dass es auch ohne sie geht“, sagt Supporters-Chef Christian Bieberstein. Doch ob das nachhaltig wird, ist ungewiss. Wann kommen die Pfiffe, wenn es sportlich nicht läuft? Und wer singt dagegen an? Es gibt in der Fanszene sogar Vermutungen, dass bei anhaltender Stimmungsarmut die HSV-Marketing-Abteilung Choreografien bei einer Agentur einkaufen könnte. Denn die farbigen Bilder und ausgelassenen Fanchöre gehören ja neben dem Spiel zum Stadionerlebnis, das wollen auch die Besucher in den teuren ViP-Logen gerne weiterhin genießen.

Auch deshalb sendet der HSV-Vorstand nun Gesprächssignale in Richtung der Ultrafans CFHH und Poptown, die auch den „Ständigen Ausschuss Fanbelange“ (SAF) verlassen haben. „Wir haben unser Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass Chosen Few ausgestiegen ist“, erklärte jetzt Jarchow, in dessen neues Aufgabengebiet der Kontakt zu den Fangruppen gehört. „Wir sind weiter bereit, das Gespräch zu suchen.“ Der Fanbeauftragte Joachim Ranau sagte: „Wenn man nicht zusammensitzt, kann man auch keinen Dialog führen.“

Das Angebot ist also da, doch es ist zweifelhaft, dass die Ultras darauf eingehen. Zu gegensätzlich sind die Auffassungen, zu groß das Misstrauen. Insbesondere die Stellungnahme des Vorstandes zu den gewaltsamen Auseinandersetzung mit der Polizei im Fanblock am 2. Mai beim Spiel gegen Bayern München mit 150 verletzten Fans ist den Ultras sauer aufgestoßen. „Zu keinen Zeitpunkt hat uns hier der Verein unterstützt“, erklärte CFHH.

Der Lagerraum für die Choreos im Stadion ist inzwischen geräumt, einige Fans haben ihre Dauerkarten zurückgegeben. Denn nicht allein die unterschiedlichen Auffassungen darüber, was man im Stadion darf und was nicht, sorgt für die emotionale Abkehr, sondern natürlich auch die Ausgliederung der Profiabteilung. „Wir sehen darin vor allem die Abschaffung sämtlicher Mitbestimmung“, kommentierte CFHH.

Mit dieser Bewertung stehen die Ultras keinesfalls allein. Die fünfköpfige Abteilungsleitung der „Fördernde Mitglieder/Supporters Club“ hat bereits angekündigt, ihr Amt nur noch bis auf der nächsten Abteilungsversammlung am 20. September auszuüben. „Dass wir nicht mehr zur Wiederwahl stehen, ist eine logische Konsequenz aus dem Mitgliedervotum vom 25. Mai“, erklärte Bieberstein: „Wir waren gegen die Ausgliederung, die Mitglieder haben anders entschieden.“ Bieberstein selbst hat für sich bereits ein neues Betätigungsfeld gefunden. Er ist Schatzmeister des HFC Falke, der vielen eine neue emotionale Heimat geben will.

Eine neue Abteilungsleitung wird gesucht, vielleicht kommt es aber auch ganz anders: „Ich wäre dafür, den Supporters Club aufzulösen“, sagt sogar Manfred Ertel, bis Februar Aufsichtsrats-Chef des Vereins, der aus der Supporters-Abteilung hervorgegangen ist. „Das wäre aus der jetzigen Situation heraus nur konsequent. Der bisherigen Arbeit des Supporters Clubs ist die Grundlage entzogen worden.“ Bei einer Auflösung würden die Fans zu ganz normalen „Fördernden Mitgliedern“, ohne Einfluss, ohne Selbstbestimmung.

Die Möglichkeit zum aktiven Mitgestalten ist seit dem 25. Mai Vergangenheit. Der Supporters Club stellt satzungsgemäß kein Vorstandsmitglied mehr, keinen Delegierten im Aufsichtsrat. Sämtliche Veröffentlichungen werden nun vom AG-Vorstand kontrolliert, ob Website oder die Zeitung „Supporters News“. „Ein Verein muss jedoch aushalten, dass es auch abweichende Meinungen gibt“, sagt Ertel.

CFHH, Poptown und Supporters Club – der HSV hat in den letzten Jahren eine lebendige Fanszene mit zahlreichen, unglaublich engagierten Freiwilligen gehabt. Rund 300 Leute zählen zum Umfeld der Chosen Few, auf rund 1000 kann man insgesamt die Zahl der Aktiven schätzen. Angesichts von 57.000 im ausverkauften Stadion ist das eine eher geringe Zahl. „Man kann nicht davon reden, dass es eine Abkehr der Fans gibt. Das zu behaupten, wäre absurd“, sagt Jarchow und weist auch darauf hin, dass der Chosen-Few-Block 22C bereits fast ausverkauft ist.

Die meisten Stadionbesucher interessiert die Vereinspolitik ohnehin nicht, sie wollen vor allem eine erfolgreiche Fußballmannschaft sehen. Die Stimmung kommt dann von allein. Hofft der HSV.