Wie ist es beim HSV wirklich um den Nachwuchs für die Bundesliga bestellt?

Hamburg. Sechs Tage lang wollen sie sich quälen. Seit Mittwoch halten die Spieler der U19 des HSV ein Trainingslager im niedersächsischen Hitzacker ab, um dem Traum vom Profifußball wieder ein Stück näherzukommen. Die besten Chancen bei dieser Mission werden den Offensivspielern Finn Porath, 17, und Thore Jacobsen, 17, eingeräumt – beide waren vergangenes Jahr fester Bestandteil der U17-Nationalelf, vor allem Porath erwies sich für DFB-Juniorentrainer Christian Wück im Angriff als unverzichtbar. HSV-U19-Coach Otto Addo ist auch aufgrund dieser beiden Talente zuversichtlich, dass seine Mannschaft in der Nachwuchs-Bundesliga in der kommenden Saison eine gute Rolle spielen kann. Das war zuletzt ganz anders.

Nur um Haaresbreite entging die Truppe dem Abstieg aus der höchsten Spielklasse. Die Gegner hätten dann nicht mehr Wolfsburg, Bremen und Hannover geheißen, sondern Condor, Niendorf oder Nettelnburg-Allermöhe. „Das wäre für die Ausbildung unserer Jungs eine Katastrophe gewesen und kann auch nicht der Anspruch des HSV sein“, räumt Addo ein. Die Gründe sind vielschichtig. Zum einen wurden die finanziellen Mittel für die Jugend in der jüngeren Vergangenheit immer weiter gekürzt, zum anderen haben Spieler wie Jonathan Tah, Matti Steinmann oder Dominik Masek, die vom Alter her noch A-Jugend hätten spielen können, in der Regionalliga oder im Profiteam ausgeholfen. „Obwohl wir jedes Spiel gewinnen wollen, ist es meine Hauptaufgabe, Spieler zu entwickeln, die den Durchbruch in die Bundesliga schaffen können. Da gerät eine gute Platzierung schon mal in den Hintergrund. Wenn ich mich entscheiden müsste, A-Jugend-Meister zu werden oder einen talentierten Spieler nach oben abzugeben, würde ich mich immer für Letzteres entscheiden“, sagt Addo.

Mit überregionalen Meistertiteln in der Jugend, die für das Renommee des HSV hilfreich wären, kann der Club ohnehin nicht werben. Und auch Jugendnationalspieler sind in den älteren Jahrgängen rar gesät. Besser sieht es bei den Jüngeren aus. Die U16 konnte den Titel als norddeutscher Meister im letzten Jahr verteidigen. In der vergangenen Saison haben elf Talente von der U15 bis zur U19 für ihr Land gespielt, darunter auch Spieler wie der Finne Matias Ojala, dessen Nationalelf nicht zu den stärksten gehört und der mittlerweile beim HSV aussortiert wurde. Er sei nicht bundesligatauglich, hieß es.

In der U23, dem direkten Unterbau der Profis, sah die Situation bisher ähnlich verheerend aus wie in der U19. Vom Anspruch, Spielpraxis auf „höchstmöglichem Niveau“ anzustreben, also in der Dritten Liga, war die Regionalligamannschaft von Rodolfo Cardoso weit entfernt. Auch ihr drohte zwei Spielzeiten in Folge der Abstieg in die Oberliga Hamburg. Der in Erwägung gezogene, komplette Rückzug der rund 1,5 Millionen Euro teuren U23 wurde wieder verworfen, stattdessen mit Josef Zinnbauer ein neuer Coach verpflichtet.

Doch auch in Hamburg gilt am Ende dasselbe Credo wie für die Konkurrenz: Zum Abschluss des Ausbildungsprozesses soll eine möglichst hohe Anzahl an Spielern die Leistungsvoraussetzungen für die Bundesliga erfüllen. Und vielen Talenten, die die so oft in Verruf geratene Jugendausbildung beim HSV genießen durften, gelang der Durchbruch – nicht nur zum Profi, sondern zum bewährten Erstligaspieler.

Mit Eric Maxim Choupo-Moting, Muhamed Besic, Heung Min Son und Shkrodan Mustafi durften vier Akteure aus der Hamburger Talentschmiede bei der WM vorspielen, auch andere bekannte Namen reiften auf den Plätzen im Norderstedter Leistungszentrum: Sidney Sam, Änis Ben-Hatira, Tunay Torun, Zhi Gin Lam, Levin Öztunali, Maximilian Beister und natürlich Tah, um die bekanntesten zu nennen. Dass die wenigsten von ihnen noch beim HSV spielen, steht auf einem anderen Blatt: sei es aus finanziellen Gründen, disziplinarischen oder schlichtweg aufgrund von falschen Einschätzungen über das wahre Potenzial der Talente. Nicht nur der eigenen, wie der Fall des Nationalspielers Max Kruse beweist. Der gebürtige Reinbeker, der auf Hamburgs Fußballplätzen groß wurde, wäre gern zum HSV gekommen, doch sein Potenzial wurde verkannt.

Nun fängt mit Bernhard Peters im August ein Mann an, der ein umfassendes Förderkonzept von der Jugend bis zur Profiebene entwickeln und strategisch umsetzen soll. Als „kerngesund und mit herausragenden Perspektiven“, beschreibt Peters die Talentschmiede – leider nicht die des HSV, sondern die bei seinem bisherigen Arbeitgeber 1899 Hoffenheim. „Wir haben dort die Grundlage für eine stabile, unumkehrbare Philosophie geschaffen.“

Das soll nun auch in Hamburg geschehen. Bisher war die Nachwuchsleitung von Fluktuation geprägt: In Jens Todt, Stephan Hildebrandt, Paul Meier, Bastian Reinhardt und Michael Schröder versuchten sich seit 2009 fünf Fachleute auf dieser Position. Eine langfristige Ausrichtung der Talentformung war kaum möglich. Doch alle gute Ideen werden auch künftig Geld kosten. Ein Beispiel: Borussia Dortmund beschäftigt allein für seine A-Jugend einen Scout zur Gegnerbeobachtung und einen für die eigene Mannschaft – beim HSV ist für die komplette Jugendabteilung nur ein einziger Scout tätig, der aus der Profiabteilung unterstützt wird.

Addo bemängelte die Voraussetzungen beim HSV schon vor einigen Monaten: „Wolfsburg hat ein größeres Budget. Die verpflichten von überall aus Nachwuchsspieler, leider auch aus Hamburg. Hertha hat ein riesiges Einzugsgebiet, Bremen ein viel personalintensiveres Scouting. Wir hinken momentan hinterher“, sagte der ehemalige Profi damals. Und auch der neue Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer beurteilte den Nachwuchs bei seiner Vorstellung als „nicht konkurrenzfähig“. Unter dieser Prämisse – das muss man dem HSV zugestehen – hat der Bundesliga-Dino das Beste aus seiner Talentschmiede herausgeholt.