HSV-Trainer Thorsten Fink entthront Kapitän Heiko Westermann und erwartet fortan von seinem Spielmacher, das Team aus der Krise zu führen.

Hamburg. Das "Retterspiel" des HSV am Dienstagabend beim VfB Lübeck sollte dem finanziell arg gebeutelten Regionalligaabsteiger die Liquidität der laufenden Saison sichern und den Hamburgern neues Selbstvertrauen einbringen. Vor 10.416 Zuschauern an der Lohmühle kam auch einiges an Geld zusammen, und die HSV-Profis konnten mit dem 4:1-Sieg nach drei Niederlagen in Folge immerhin mal wieder einen Erfolg verbuchen. Nicht dabei waren allerdings die beiden Protagonisten des vorangegangenen Tages: der neue Kapitän Rafael van der Vaart, der geschont wurde, und der abgelöste Spielführer Heiko Westermann, der mit Wadenproblemen ausfiel.

Am Dienstagmorgen hatte Trainer Thorsten Fink den Abwehrchef während einer halbstündigen Ansprache seines Amtes als Kapitän enthoben. "Ich habe den Eindruck, dass Heiko es zurzeit nicht schafft, seine eigene Leistung aufrechtzuerhalten und sich zusätzlich noch um alle anderen Dinge zu kümmern", erklärte der Coach diese Maßnahme. Westermann habe die Entscheidung akzeptiert.

Dieser Entschluss kam überraschend, schließlich hatte Fink nur drei Tage zuvor, bei einem ZDF-Interview am Sonnabend, die Personalie des Kapitäns Westermann außer Frage gestellt. Doch in den Tagen nach der 0:1-Pleite gegen den SC Freiburg habe sich der HSV-Trainer mit nahezu allen Führungskräften des Clubs sowie dem Mannschaftsrat ausgetauscht und sei dann zu dem Schluss gekommen, einen neuen Reiz setzen zu müssen.

Für die restlichen sechs Pflichtspiele soll van der Vaart nun die Binde tragen. Der Niederländer war schon bei seinem ersten Engagement von 2006 bis 2008 Kapitän der Hanseaten und hat, so Fink, mit seiner erneuten Zusage nicht gezögert: "Ich musste ihn nicht überreden. Trotz seiner privaten Probleme hat Rafa das Kreuz, die Mannschaft zu führen. Er sagt, es gehe ihm gut, und er könne Privates und Fußball voneinander trennen."

Dabei sieht Fink die zuletzt gezeigte Leistung seines Regisseurs durchaus kritisch. Dieser steht momentan durch seine Liebesbeziehung zu Sabia Boulahrouz, der besten Freundin seiner Noch-Ehefrau Sylvie, mehr in den Schlagzeilen als aufgrund seiner fußballerischen Klasse. "Ich erwarte eine Steigerung von ihm und möchte ihn mehr in die Verantwortung bringen. Er muss auf dem Platz Vorbild sein", erklärte Fink.

Bleibt die Frage, ob der Fußballlehrer mit dieser Aktion ein dringend benötigtes Zeichen setzt oder sich durch eine aktionistische Handlung eher angreifbar macht. Bereits nach dem 2:9 bei Bayern München vor eineinhalb Wochen gab es Anzeichen, dass Westermann spätestens nach der Saison die Binde abgeben werde. Im Wortlaut hat er das zwar so nie bestätigt, aber dem 24-maligen Nationalspieler war zuletzt anzumerken, dass ihm die Lust auf das Amt ein wenig vergangen war. Bereits vor der Saison 2010/11 wurde Westermann als damaliger Neuzugang von Trainer Armin Veh direkt zum Kapitän ernannt. Er genoss über die Jahre gesehen als Leader eine hohe Akzeptanz in der Mannschaft - einzig die Leistungen waren auch beim Defensivspezialisten äußerst schwankend.

Doch schon seine Inthronisierung stand unter keinem guten Stern. Damals war nach Vehs Entscheidung Unruhe in der Mannschaft aufgekommen. Kapitän David Jarolim hätte das Team gerne weitergeführt, und auch Mladen Petric hatte sich Hoffnungen auf das Amt des Spielführers gemacht. Ein paar Monate später lud Westermann zu einem gemeinsamen Abend in das Restaurant Bullerei ein, doch kaum einer der Kollegen schaute vorbei. Während der Vorbereitung auf die nächste Saison wurde der Verteidiger in einem Testspiel gegen Valencia von den Fans gnadenlos ausgepfiffen, woraufhin er erstmals mit dem Gedanken spielte, sein Kapitänsamt wieder zur Verfügung zu stellen. Zuletzt soll den Worten Westermanns bei der 2:9-Klatsche in München zur Halbzeit beim Stand von 0:5 niemand seiner Kameraden sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt haben. Insofern könnte Westermann sogar froh sein, durch die Entscheidung seines Trainers von der Last der Kapitänsbinde befreit worden zu sein.

Diese Last liegt nun auf van der Vaart. Er stand bereits während der Winterpause wegen der Trennung von seiner Frau in den Schlagzeilen, beharrte auch damals darauf, dass ihn diese auf dem Spielfeld nicht beeinträchtigen werden. Doch die Leistungen ließen nach, und als sich die Wogen geglättet hatten, gab er zu, dass er sich während der turbulenten Wochen nicht zu hundert Prozent auf Fußball konzentrieren konnte. Nun wird der 30-Jährige beim Training erneut von den Kameras und Mikrofonen von Medien wie ProSieben oder Oldie 95 belagert, die sich ausschließlich für das Liebesleben des Glamourkickers interessieren. Ob van der Vaart in dieser Situation der neuen Aufgabe gewachsen ist, bleibt abzuwarten.

Doch Fink nimmt für den Rest der Saison auch die anderen Spieler in die Pflicht. In ungewohnter Deutlichkeit rief er die verbliebenen Partien als Bewerbungsplattform aus, sich für den HSV der kommenden Spielzeit zu empfehlen. "Man muss jetzt sehen, wer für den Verein Gras frisst und wer nicht. Nur wer alles gibt, den nehme ich im Sommer wieder mit auf den Platz. Die anderen können sich einen anderen Verein suchen."

Eigentlich war ein größerer Umbruch im Sommer nicht vorgesehen - und wird auch in finanzieller Hinsicht nur schwer umzusetzen sein. Sollte dennoch ein neuer Schnitt gemacht werden, würden künftig "junge Spieler mehr in die Verantwortung gezogen". Auch unmittelbare Konsequenzen kündigte Fink an: Bei Mainz 05 soll das Team sowohl taktisch als auch personell neu ausgerichtet werden.