Nach einem Zwischenhoch ist der Bundesliga-Dino wieder im Mittelmaß gelandet. Schlimmer ist, dass es perspektivisch kaum Hoffnung auf Besserung gibt.

Hamburg. Und wieder wird auch an diesem Dienstag vor allem mal geredet. Vorstandssitzung, nichts Besonderes, alles wie immer, sagt HSV-Chef Carl Jarchow, der am Vormittag mit seinen Kollegen Frank Arnesen, Joachim Hilke und Oliver Scheel im Stadion zusammen kommen wird. In der vergangenen Woche galt es, die Scherben nach dem Bayern-Debakel zu beseitigen. Diesmal wird wohl die neuste Niederlage gegen Freiburg und auch die peinliche Pleite der von acht Profis verstärkten U23 in Rehden kurz mal angesprochen. Nichts Besonderes, eben alles wie immer.

Doch ist das wirklich so? Je näher man dem aktuellen Gesamtbild des HSV kommt, desto erschreckender scheinen die Details. Die Mannschaft ist auf der Suche nach sich selbst, die Zukunft der Verantwortlichen ist offen, die Finanzen sind ein Desaster und der Nachwuchs gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Das Schlimmste: Rational gibt es keinen Grund, warum es in der kommenden Saison, für die das Ziel Europa League formuliert wurde, besser laufen sollte. Ein Drama in vier Akten:

Mannschaft ohne Mannschaftsgeist: Jansen kritisiert Grillabend scharf

Die aktuelle Pleitenserie hat längst Risse im zuletzt häufig beschworenen Mannschaftsgefüge hinterlassen. Bereits am Donnerstag hatte Marcell Jansen geschimpft, dass die Älteren den anderen nicht immer "den Arsch pudern" sollten. Der von René Adler im Anschluss an die Heimniederlage gegen Freiburg im Vorbeigehen genuschelte Satz "Fragt doch mal die Jüngeren ..." hat nun eine Grundsatzdebatte in Gang gesetzt. Gibt es beim HSV ein Problem zwischen Alt und Jung? "Es gibt allgemein großen Redebedarf", sagt Vorstandschef Carl Jarchow, der aber keinen Generationenkonflikt erkennen will: "René hat diesen Satz wohl aus der Emotion heraus gesagt. Generell ist es bei unserer Mannschaft ohnehin schwierig, in Alt und Jung zu differenzieren. In welche Gruppe soll man beispielsweise Dennis Aogo einordnen?"

Eine etwas angespannte Atmosphäre innerhalb der Mannschaft ist aber auch Jarchow nicht verborgen geblieben. "Es ist doch ganz normal, dass nach einigen schlechten Ergebnissen nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Die Stimmung ist etwas rauer, da knallt es dann eben auch mal", sagt der HSV-Chef, der zuletzt an die Verantwortung der Führungsspieler appelliert hatte. Doch selbst der Mannschaftsrat, der nach der Bayern-Blamage beim Vorstand zum Rapport gebeten wurde, ist nicht immer einer Meinung. So kritisierte Jansen, der gelbgesperrt in München gefehlt hatte, im NDR-Sportclub den von René Adler verkündeten Wiedergutmachungs-Grillabend scharf: "Der Ernst der Lage in der letzten Saison war um einiges beschissener. Da hätte man überlegen sollen, zur neuen Saison vielleicht ein Grillen zu machen. Aber nicht wenn man 9:2 verliert. Dann ist man gestraft genug. Dann brauche ich kein Grillen. Das braucht kein Mensch." Dabei war der Fanabend eine Idee aus der Mannschaft, nachdem die Verantwortlichen zunächst vorgeschlagen hatten, dass die Spieler eine Auswärtsreise der Fans finanzieren sollten.

Anders als noch in der Hinrunde, als gemeinsame Mannschaftsabende an der Tagesordnung waren, ist ein kühleres Klima innerhalb der Kabine nicht mehr zu leugnen. Nur noch mit Kopfschütteln haben manche Spieler darauf reagiert, als Jeffrey Bruma sich den eigenen Friseur aus Amsterdam hat einfliegen lassen. Auch Maxi Beisters und Heung Min Sons überaus selbstbewusstes Auftreten wird überwiegend kritisch beäugt, umgekehrt soll sich der eine oder andere über Rafael van der Vaarts Sonderstatus gewundert haben.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass die Mannschaft den gesamten Betreuerstab zum gemeinsamen Abendessen in ein Edelrestaurant an der Elbe gebeten hat. Auch der von Tolgay Arslan organisierte Mannschaftsabend im Mr. Kebab als Entschuldigung für eine unnötige Gelbe Karte wurde als Beleg dafür angeführt, dass in der Hinrunde das Mannschaftsklima noch in Ordnung war. Damals wurde sogar Neuzugang Hakan Calhanoglu aus Karlsruhe dazugebeten, um seine neuen Kollegen vorab schon mal kennenzulernen. "Ich habe den Führungsspielern gesagt, dass sie Dinge auch mal in der Kabine austragen müssen", sagt Jarchow, der hofft, dass sich die Spieler auch ohne offizielle Aufforderung zusammenreißen.

Verantwortliche ohne Zukunft: Mehrheit gegen Arnesen-Verlängerung

Trainer Thorsten Fink, dem trotz der Pleitenserie weiterhin ein enger Draht zur Mannschaft nachgesagt wird, muss sich trotz zunehmender Kritik um seine Position vorerst keine Sorgen machen. Doch besonders innerhalb des Aufsichtsrats wird Finks Arbeit mit gesteigertem Interesse verfolgt. Die anfängliche Begeisterung über den selbstbewussten Jungtrainer, der auch mal andere Wege beschreitet, ist verflogen.

Eine vorzeitige Vertragsverlängerung, von der "Sport Bild" in der vergangenen Woche berichtete, ist derzeit kein Thema - ebenso wenig wie eine vorzeitige Entlassung. Anders als bei Vorgänger Michael Oenning hat Arnesen keine Abfindungsklausel in Finks Vertrag festgeschrieben, ein vorzeitiger Rauswurf würde den finanziell gebeutelten HSV also zusätzlich belasten. Gleiches gilt aber auch für Sportchef Arnesen, der als Hauptverantwortlicher der Misere gilt. Die zentralen Vorwürfe: Kein kurzfristiges Konzept, kein mittelfristiger Plan, keine langfristige Philosophie.

Bis zum Ende des Jahres will sich der Aufsichtsrat über den im Sommer 2014 auslaufenden Vertrag des Dänen einigen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die der Vorstand Sport für eine Verlängerung benötigt, ist derzeit nicht in Sicht. Informell wurden bereits mögliche Nachfolger kontaktiert (das Abendblatt berichtete). Eine endgültige Entscheidung über Arnesens Zukunft soll aber erst nach der Transferperiode im Sommer getroffen werden.

Neuaufbau ohne finanzielle Mittel: Rekordminus nicht mehr zu verhindern

Dabei ist schon jetzt klar, dass Arnesen für die nächste, für ihn möglicherweise entscheidende Transferperiode keine finanzielle Mittel zur Verfügung bekommen wird. Ein zweites Mal wird der Verein kein "kalkuliertes Risiko" (O-Ton Jarchow) eingehen.

Um das Rekordminus des laufenden Geschäftsjahrs von rund 20 Millionen Euro begrenzt einzudämmen, will der Vorstand zeitnahe einen kurzfristigen Konsolidierungsplan präsentieren. Nach Abendblatt-Informationen gehen die Verhandlungen um einen neuen Fünfjahresvertrag mit Vermarkter Sportfive auf die Zielgerade. Wichtigste Verhandlungspunkte: Wird das 2015 fällige Darlehen von 12,5 Millionen Euro bei einer Verlängerung gestrichen oder nur aufgeschoben? Und bekommt der HSV für eine prozentuale Erhöhung der Sportfive-Anteile an der Gesamtvermarktung ein sogenanntes Signing Fee in Millionenhöhe, wodurch das Rekordminus auf unter 20 Millionen Euro eingedämmt, aber nicht verhindert werden könnte? Keine Option ist, erneut TV-Gelder vermarkten zu lassen. Bevor es eine Einigung geben kann, will der Vorstand die Mitglieder auf einem Infoabend aufklären.

Pikant: Nach Bekanntwerden der finanziellen Schwierigkeiten in dieser Saison haben sich die HSV-Verantwortlichen in eine schlechtere Verhandlungsposition gebracht, als sie ursprünglich gewesen wären. Dabei war bereits vor drei Jahren eine vorzeitige Vertragsverlängerung mit deutlich verbesserten Konditionen geplant, was letztendlich am Veto des alten Aufsichtsrats scheiterte.

Trotz der zu erwartenden Sportfive-Mehreinnahmen und des verbesserten TV-Vertrages, der dem HSV knapp zehn Millionen Euro ab der neuen Saison einbringen dürfte, darf Arnesen keine neuen Spieler verpflichten, ohne im Gegenzug Profis abzugeben. Fest steht bislang nur, dass Karlsruhes Hakan Calhanoglu und Dortmunds Karem Demirbay kommen. Gehen könnten neben den bekannten Streichkandidaten (Slobodan Rajkovic, Ivo Ilicevic, Jacopo Sala, Gojko Kacar und Marcus Berg) auch Stammspieler, die wie Son oder Milan Badelj für eine Ablöse sorgen könnten. Der mit 1,7 Millionen Euro dotierte Vertrag von Ersatztorhüter Jaroslav Drobny läuft ohnehin genauso aus wie der Leihvertrag von Bruma.

Nachwuchs ohne Perspektive: Cardoso soll 2014 ersetzt werden

Aufgrund des zu befürchtenden finanziellen Fiaskos bleibt dem HSV gar nichts anderes übrig, als perspektivisch auf vielversprechende Talente zu setzen. Doch tatsächlich sind die Aussichten des eigenen Nachwuchses noch schlechter als die der Profis. Nach dem 1:4-Debakel am Wochenende gegen den BSV SW Rehden ist die Mannschaft von Trainer Rodolfo Cardoso, dem auch acht Profi-Leihgaben nicht helfen konnten, kaum noch zu retten. Nach 22 Spielen beträgt der Abstand zu einem Nichtabstiegsplatz schon sechs Punkte. Bereits in dieser Woche, in der die U23-Mannschaft am Mittwoch gegen Flensburg und am Sonnabend im Lokalderby gegen den FC St. Pauli antreten muss, könnte die Perspektive Oberliga zementiert werden. Das Problem: Talentierte Nachwuchsprofis, die in Finks Mannschaft noch keinen Stammplatz haben, würden in der fünften Liga kaum noch gefordert werden. "Es wäre dramatisch für den Verein, wenn die zweite Mannschaft in der nächsten Saison in der Oberliga spielt, weil wir gute, talentierte, junge Spieler zur nächsten Saison bekommen. Wenn die in der Oberliga spielen müssen statt eine Liga höher, ist das sehr problematisch", sagte Jansen im NDR-Sportclub.

Trotz der sportlichen Misere hat Arnesen den Vertrag mit U23-Trainer Cardoso mündlich um ein Jahr verlängert. Erstaunlich ist allerdings, dass nach Abendblatt-Informationen schon jetzt klar sein soll, dass im Sommer 2014 Schluss für Cardoso bei der zweiten Mannschaft des HSV sein soll. Warum der Argentinier, der erneut auf seine Zulassung für seinen Trainerlehrgang hofft, somit lediglich ein Trainer auf Abruf ist, bleibt unklar.

Unklar scheint beim HSV in diesen Tagen aber vieles - vor allem die Vision für eine bessere Zukunft.