Vor dem Duell in Hannover führen die Hamburger internes Ranking der vier Vereine an. Eine Momentaufnahme - oder doch mehr?

Hamburg. Wie so oft vor einem Nordderby stellt sich die Frage: Welcher Verein ist die Nummer eins in der Region? Eigentlich klar, ein Blick auf die Tabelle genügt ja: Selbst wenn der HSV am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) bei Hannover 96 verlieren sollte, blieben die Hamburger vor dem aktuellen Gegner sowie den regionalen Konkurrenten aus Bremen und Wolfsburg. Doch warum spielt Hannover dann am Donnerstag in der Europa League und nicht der HSV? Warum stürmten in den vergangenen 25 Jahren diverse Fußballer den Bremer Rathausbalkon, während auf dem Hamburger Pendant lediglich kurzfristig ein paar Handballer gesichtet wurden? Und wieso verlor der HSV öfter gegen den VfL, als dass er gewinnen konnte? Die Grafik oben zeigt die Platzierungen der vier Clubs seit der Saison 2002/03. Sie lässt erahnen: Die Frage, wer die wahre Nummer eins im Norden ist, verdient eine differenziertere Betrachtung als die bloße Momentaufnahme.

Aktuelle Teams: Nur acht Punkte trennen den derzeit schlechtesten Nordclub VfL Wolfsburg auf Platz 15 der Tabelle vom HSV auf Platz sechs. Schwer zu prognostizieren, wer am Ende die Nase vorn hat. "Hannover hat eine richtig starke Mannschaft, im Hinspiel hätten wir uns trotz unseres 1:0-Sieges über eine Niederlage nicht beschweren dürfen", sagt HSV-Spielmacher Rafael van der Vaart anerkennend. Dennoch fehlt dem kommenden Gegner genau wie dem HSV die Konstanz, zudem muss er zumindest noch in dieser Woche die internationale Belastung verkraften. Werder Bremen steckt mitten im Umbruch, muss ähnlich wie Hannover das teils katastrophale Defensivverhalten in den Griff bekommen. Wolfsburg hat vom Kader her vielleicht das größte Potenzial aller Nordclubs, doch die Truppe scheint nicht zu funktionieren. "Ich glaube, dass man hier noch bei einigen Dingen auf der Suche ist", formulierte es der neue Sportchef Klaus Allofs kurz nach seinem Amtsantritt vorsichtig. Vorteil HSV.

Erfolge: Jahrelang war Werder unangefochten die Fußball-Macht in Norddeutschland. Sechsmal in sieben Jahren qualifizierten sich die Bremer für die Champions League. Da rückt sogar Wolfsburgs Meisterschaft 2009 in den Hintergrund. Hannover war in den letzten beiden Spielzeiten immerhin der einzige norddeutsche Vertreter, der sich für den europäischen Wettbewerb qualifizieren konnte. Für van der Vaart kein schlagendes Argument: "Der HSV ist einfach der größere Verein, das kann die nächsten zwei Jahre wieder ganz anders laufen." Immerhin erreichte sein Club in den letzten Jahren zweimal das Halbfinale der Europa League. Auch die früheren Erfolge der Hamburger helfen nur noch bedingt: In der ewigen Tabelle seit Gründung der Bundesliga liegt Werder mittlerweile elf Punkte vor dem Drittplatzierten HSV auf dem zweiten Rang. Hannover (16.) und Wolfsburg (21.) müssen aufholen. Vorteil Werder.

Fans: 52.970 Zuschauer verfolgten in dieser Saison die Heimspiele des HSV, weit mehr als in Hannover (42.663), Bremen (40.515) und Wolfsburg (26.307). Diese Reihenfolge ist seit Jahren zementiert - kein großes Wunder, schließlich passen nur in Hamburg mehr als 50.000 Menschen überhaupt ins Stadion. Allerdings ist der HSV auch bei den Mitgliederzahlen deutlich führend. Bremens Erfolge in der jüngsten Vergangenheit haben in der Vereinsbeliebtheit jedoch Spuren hinterlassen. Nach einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts "Markt + Sport" aus dem Mai 2012 ist Werder mit 38 Prozent der beliebteste Verein bei den Norddeutschen, der HSV folgt mit 31 Prozent nur auf Platz zwei. Auch bei Facebook kann Werder knapp 50.000 "Likes" mehr als die Hamburger vorweisen, die jedoch mehr "Follower" bei Twitter auf ihrer Seite haben. Wolfsburg und Hannover müssen in Sachen Soziale Medien noch aufholen. HSV und Werder gleichauf.

Direkter Vergleich: Bei der Betrachtung aller Spiele der vier Nordclubs gegeneinander seit Hannovers Wiederaufstieg in die Bundesliga im Jahr 2002 schneidet der HSV denkbar schlecht ab (siehe Tabelle). Immerhin: Bei einem Sieg am Sonnabend können die Hamburger die Rote Laterne abgeben. Vorteil Werder.

Wirtschaftskraft: Der VfL Wolfsburg gönnt sich jetzt schon einen mehr als doppelt so teuren Kader (90 Millionen Euro) wie der HSV (42 Millionen). Das Geld wird dank des strategischen Partners Volkswagen wohl auch nicht so schnell ausgehen. Der HSV muss derzeit auf jeden Euro achten, Werder ist durch die Kosten für den Stadion-Umbau und die fehlenden Europacup-Einnahmen auch nicht mehr auf Rosen gebettet. Hannover 96 steht finanziell momentan solide da und hat letzte Saison einen Gewinn verzeichnet. Dennoch: großer Vorteil Wolfsburg.