HSV-Trainer Thorsten Fink hat sich seit seinem Amtsantritt 2011 weiterentwickelt und hinterfragt auch eigene Entscheidungen.

Hamburg. Es bedarf schon ganz genauen Hinsehens, um überhaupt einen Unterschied von damals zu heute zu erkennen. Die strohblonden Haare sind genauso von links unten nach rechts oben gekämmt, der leicht braune Teint ist der gleiche, und auch die Barthaare am Kinn waren schon vor anderthalb Jahren ein wenig ergraut. Nur die Stoppeln des Dreitagebarts scheinen etwas länger als an jenem 17. Oktober 2011, als Thorsten Fink die Frage, was ihn zuversichtlich mache, länger beim HSV bleiben zu dürfen als seine Vorgänger, mit vier selbstbewussten Wörtern beantwortete: "Weil ich gut bin."

Exakt 50 Pflichtspiele später muss Fink schmunzeln, wenn er an seine erste Pressekonferenz als HSV-Trainer zurückdenkt. Gerade ist seine Mannschaft erstmals in seiner Amtszeit auf einen internationalen Startplatz geklettert, hat nacheinander die Europapokalteilnehmer Dortmund und Gladbach geschlagen und sollte ausgerechnet nach Finks Meinung trotzdem gar nicht erst anfangen, von Europa zu träumen. "Ich habe schon mitbekommen, dass ich damals mit meiner forschen Art angeeckt bin", sagt der Coach heute, vor allem sein damaliger Vergleich, er sei ein Typ wie Jürgen Klopp, wurde ihm lange negativ ausgelegt. "Auch ich musste erst mal den Verein und die Stadt kennenlernen. Ich musste lernen, mich anzupassen", sagt Fink, der trotzdem glaubt, dass seine demonstrative Zuversicht damals nicht falsch war: "Die Mannschaft war mitten im Abstiegskampf. Sie brauchte einfach jemanden, der ihr echtes Selbstbewusstsein vorlebte."

Natürlich hat der 45-Jährige noch immer ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, geändert hat sich Fink aber trotzdem. "Ich hinterfrage mich permanent, will mich verbessern", sagt der Familienvater, der aber widerspricht, ein Anderer zu sein: "Ich will mich entwickeln, aber ich will mich nicht verbiegen. Ich möchte so bleiben, wie ich bin."

Aber wie ist dieser Thorsten Fink eigentlich? "Thorsten ist ein Mensch, der die Gabe hat, begeistern zu können", sagt einer, der den gebürtigen Dortmunder seit fast einem Vierteljahrhundert kennt. Hannes Bongartz war nicht nur Finks erster Profitrainer in Wattenscheid, er war und ist eine Art Vorbild. Noch immer haben die beiden Fußballlehrer guten Kontakt, telefonieren ab und an, und einmal hat Bongartz seinen einstigen Zögling in Hamburg auch schon besucht. "Thorstens Entwicklung ist keine große Überraschung. Er kann besonders mit jungen Spielern gut umgehen, ist ehrlich, nicht nachtragend und sehr einfühlsam", sagt Bongartz, der Finks Werdegang aus der Ferne mit großem Interesse verfolgt.

So wird auch Bongartz mitbekommen haben, dass Finks Anfang in Hamburg holprig war. Die Verpflichtung des einstigen Bayernstars alleine reichte eben nicht, um aus einem schlechten Bundesligateam ein gutes zu machen. Nach kurzer Euphorie merkte Fink selbst relativ schnell, dass seine eigenen Ansprüche mit denen des damaligen HSV nicht standhalten konnten. "Ich war es gewohnt, dass ich beim FC Basel in der Schweiz immer nur siegen wollte. Wir wurden zweimal hintereinander Meister, da war die Ausrichtung an jedem Wochenende programmiert", sagt Fink, der sich im Abstiegskampf der Bundesliga daran gewöhnen musste, auch mal mit einem Unentschieden zufrieden zu sein. Es dauerte eine Weile, ehe Fink klar wurde, dass es in seiner Premierensaison lediglich darum ging, die Klasse zu halten. Seine eigene Philosophie von einem Offensivfußball, der auch die Zuschauer erfreut, konnte er erst in dieser Saison erarbeiten.

Mehr als die Zuschauer versteht es Fink aber wie kein zweiter HSV-Trainer in den vergangenen Jahren, die eigenen Profis mitzureißen. "Seine Ansprachen in der Kabine machen eine Gänsehaut", sagt beispielsweise Tolgay Arslan. Bereits bei Finks erster Trainerstation in Deutschland, beim FC Ingolstadt, sind bei allen Anwesenden zwei Sätze aus seiner ersten Ansprache in Erinnerung geblieben: "The sense of life is teamwork", erklärte der Jungtrainer, ehe er seine Worte noch feingeistig mit einem Zitat Friedrich Schillers würzte: "Nicht in der Ferne verliere dich, sondern den Augenblick ergreife, denn der ist dein." Fink, der gerne auch mal aus einem Buch Paolo Coelhos vorliest, ist bekennender Fan von Zitaten: "Warum soll ich es mir nicht zunutze machen, wenn jemand anderes genau die richtigen Worte für die Situation gefunden hat."

Selbstverständlich ist aber auch Fink kein Übertrainer. Der Coach, der den Fußballlehrerschein mit Auszeichnung bestanden hat, macht Fehler, weiß das auch, und scheut sich dann nicht, diese zu revidieren. So war es mit Sicherheit falsch, Slobodan Rajkovic nach dessen Trainingsrangelei mit Heung Min Son im Sommer hart zu bestrafen, den Südkoreaner aber gar nicht. Nach dem anschließenden Wutinterview Rajkovics, der Fink im Abendblatt als Lügner bezeichnet hatte, suspendierte dieser seinen Profi mit den Worten, dass der Abwehrmann nie wieder für den HSV spielen würde. Bekanntlich kam es anders, weil Fink eben auch die Fähigkeit des Vergebens hat. Als Rajkovic nun gegen Gladbach sein Startelf-Comeback gab, bedankte sich der Serbe ausdrücklich bei seinem Trainer.

"Als Trainer muss man die Richtung vorgeben und Entscheidungen treffen", sagt Fink, der weder Kumpeltyp noch harter Hund sein will, "aber man muss auch die Größe haben, diese zu überdenken." Per Skjelbred riet der Coach im Oktober, sich einen neuen Verein zu suchen, seit Dezember ist er wieder Stammspieler. "Ich mag Spieler, die immer alles geben. Mir ist wichtig, Mut zu haben und für seine Ziele zu kämpfen", sagt Fink, der bewusst die Führungsspieler nach ihrer Meinung fragt und diese auch ernst nimmt.

Um seine Ziele hat Fink nie ein großes Geheimnis gemacht. Kurzfristig macht er Erfolg nicht am Tabellenplatz fest, mittel- und langfristig will er den Verein aber im internationalen Wettbewerb etablieren. Spätestens dann hätte er bewiesen, dass er wirklich gut ist.