Vor dem Spiel in Düsseldorf (heute 20.30 Uhr) ist Platz sechs für den HSV greifbar, doch vom internationalen Geschäft redet niemand.

Hamburg. Nach dem offiziellen Ende des gestrigen Abschlusstrainings blieb die kleine Gruppe von HSV-Profis noch auf dem Rasen neben der Arena und übte sich im Balljonglieren. Man scherzte, lästerte über die Fehlleistungen des Kollegen. Mittendrin: Artjoms Rudnevs und Marcus Berg, die später auch gemeinsam den Platz verließen und sich dabei angeregt unterhielten. Von knisternder Rivalität zwischen den Stürmern war nichts zu spüren, im Gegenteil. Dabei gäbe es allen Grund dazu.

Als der Schwede vor dem Übungsspiel das farbige Leibchen der Stammspieler erhielt, lüftete Trainer Thorsten Fink seinen Plan, im heutigen Bundesligaspiel bei Fortuna Düsseldorf (20.30 Uhr, Liveticker bei www.abendblatt.de) im Angriff zu rotieren. "Für uns stehen jetzt mit Düsseldorf, Schalke und Wolfsburg drei Spiele innerhalb von zehn Tagen an, es kann durchaus sein, dass wir wechseln", erklärte der HSV-Coach, "Düsseldorf stand in den vergangenen Spielen sehr tief, und Marcus Berg verhält sich besser zwischen den Linien (Abwehr und Mittelfeld, die Red.)." Rudnevs Spielstil sei dagegen laufintensiver. Übersetzt: Da könnten drei Spiele in kurzer Abfolge zu anstrengend für den Letten ein.

"Natürlich hoffe ich, meine Chance nutzen zu können", freute sich Berg, "ich fühle mich fit, habe eine gute Trainingswoche hinter mir." Nur am ersten Spieltag, beim 0:1 gegen Nürnberg, durfte der 26-Jährige von Beginn an auflaufen, danach brachte der Angreifer es nur auf fünf Kurzeinsätze mit insgesamt 63 Spielminuten. "Ich musste mental hart arbeiten", gestand Berg freimütig, dass die Zeit als Dauerreservist an ihm genagt hat. "Vor jedem Spiel versuche ich mich so vorzubereiten, als ob ich zum Einsatz komme. Unter der Woche muss ich mir dann im Training das nötige Selbstvertrauen holen", sagte der Angreifer in passablem Deutsch.

Privat durchlebt Berg allerdings eine viel dramatischere Phase. Die Mutter seiner Freundin Josefine starb vorletzte Woche in Schweden nach einem Schlaganfall, am 4. Dezember findet die Beerdigung statt. Berg: "Das Wichtigste ist, meine Freundin jetzt in dieser schweren Zeit zu unterstützen. Aber wenn ich beim HSV bin, muss ich mich zu hundert Prozent auf den Fußball konzentrieren."

Natürlich hat der Tausch Rudnevs/Berg auch andere sportliche Gründe. In den vergangenen Partien näherte sich die Formkurve des Letten immer mehr der Nulllinie, dem Torjäger, der noch intensiv an seinen technischen Fertigkeiten arbeiten muss, misslangen selbst die einfachsten Aktionen. Auch ein Grund, warum der HSV bisher erst zwölf Ligatore erzielte. Eine schlechtere Bilanz weisen nur Düsseldorf (11), Nürnberg und Fürth (je 10) sowie Augsburg (8) auf.

Während sich der HSV in dieser Saison auf seine Defensive verlassen konnte (erst 14 Gegentore), verbieten konstant abrufbare Qualität und Kreativität im Offensivspiel den Blick auf die oberen Ränge - was aber nicht nur die Sturmspitze betrifft, sondern besonders auch das Spiel über die Außen. Dabei würde dem HSV heute Abend schon ein Punkt genügen, um zumindest für einen Tag auf Europa-League-Platz sechs zu stehen. "Das ist doch nur eine Momentaufnahme", entgegnet Frank Arnesen, "viel wichtiger ist es, dass wir weiter in der Mannschaft eine Gewinnermentalität entwickeln." Wann die Ziele anspruchsvoller formuliert werden können? "Das hängt von unserer finanziellen Situation ab", sagt der Sportchef des HSV. "Müssen wir Spieler verkaufen oder nicht, können wir unseren Kader verstärken?"

Auch Berg, der in Düsseldorf eine neue Bewährungschance erhält, steht neben Jaroslav Drobny, Robert Tesche, Per Skjelbred, Slobodan Rajkovic und Gojko Kacar auf der Liste potenzieller Abgänge im Winter. Um sechs Millionen Euro soll der Etat noch in dieser Saison sinken. An Verpflichtungen ist derzeit nicht gedacht. Dabei sagt ein Fußballexperte wie Willi Schulz: "Der HSV steht im Mittelfeld, und mehr ist in dieser Saison auch nicht möglich, weil es noch zu viele Baustellen in der Mannschaft gibt."

In einer Bundesliga-Statistik könnte der HSV allerdings in die Spitze vorstoßen: Drei Punkte bei den zu Hause noch sieglosen Düsseldorfern (zuletzt zwei Punkte aus sieben Spielen), und die seit vier Partien ungeschlagenen Hamburger rutschen vorübergehend hinter den FC Bayern auf Platz zwei der Auswärtstabelle. Das wäre zwar nur eine Momentaufnahme auf dem langen Weg zurück nach Europa nach drei Jahren Abstinenz, aber gut für die Entwicklung der Vision Europacup.

Abendblatt.de zeigt nach der Partie am Freitag in Düsseldorf „Matz ab” im Livestream. Dieter Matz und Marcus Scholz haben Lotto King Karl und HSV-Vorstand Joachim Hilke zu Gast.