Der HSV-Abwehrspieler erklärt, wie ihn die Zwangspause verändert hat und warum Marcell Jansen wieder im Mittelfeld spielen soll.

Hamburg. "Als Fußballer muss es das Ziel sein, das Bestmögliche herauszuholen. Wir haben etwa 15 Jahre Zeit, um etwas Greifbares nach der Karriere zu haben. Dazu gehören Titel, aber auch die Teilnahme an großen Turnieren." Dennis Aogo, 21. Mai 2010.

Dreimal seit seinem Wechsel 2008 nach Hamburg hat Dennis Aogo bisher bei seinem früheren Klub, dem SC Freiburg, gespielt. Irgendwie war es immer ein Neubeginn. In der Saison 2009/10 erreichte der HSV am ersten Spieltag ein 1:1. 2010/11 war das 0:1 am 15. Spieltag Aogos Saisonstart nach einer langwierigen Adduktorenverletzung. Vergangene Serie wiederum leitete der HSV mit dem 2:1 in Freiburg unter Interimstrainer Frank Arnesen die Trendwende nach dem Fehlstart ein.

Dass Aogo am Sonnabend (15.30 Uhr) erstmals nach seiner mehrwöchigen Auszeit, die er wegen seines verschleppten Infekts nehmen musste, ausgerechnet in Freiburg wieder in die Startformation zurückkehren könnte, kann deshalb eigentlich kein Zufall sein. "Ich bin körperlich bei hundert Prozent, fühle mich einen Tick frischer als früher", hofft der 25-Jährige auf seine Chance, die wieder einem persönlichen Neustart gleicht.

Weil Aogo pausieren musste und sich die Mannschaft nach dem verpatzten Saisonstart ohne ihn wieder von den Abstiegsrängen der Bundesliga entfernen konnte und an Stabilität gewann, tauchte plötzlich innerhalb der Mannschaft überraschend Konkurrenz auf. Marcell Jansen erklärte öffentlich, dass er künftig lieber auf der Verteidigerposition als im linken Mittelfeld spielen würde. Ein vorläufiger Tiefpunkt in der Karriere von Aogo war erreicht. Nicht nur, dass der WM-Teilnehmer von 2010 nach dem Länderspiel gegen Frankreich (Februar 2012) seinen Platz im Kader der deutschen Nationalmannschaft verloren hatte und bei der EM im Sommer nur Zuschauer war. Nun drohte auch im Klub, für den Titel oder Europacup-Teilnahmen derzeit nur Wunschträume sind, die Rückstufung.

"Einige können Misserfolg isoliert als Teil des Jobs sehen. Ich habe die Schuld auch bei mir selbst gesucht. Das war erschöpfend, bei mir persönlich machte sich ein Gefühl der Leere breit, Hilflosigkeit." Aogo, 17. Dezember 2011.

Die vielen Misserfolge mit dem HSV in der jüngeren Vergangenheit hatten vor allem bei Aogo deutliche Spuren hinterlassen. Er, der Grübler, wurde erst mit der sportlichen Talfahrt mitgerissen und konnte lange nicht sein gewohntes Leistungsniveau abrufen, bevor er aber in der Rückrunde der vergangenen Saison entscheidend mithalf, den Abstieg zu vermeiden.

Die jüngste Pause und der Abstand zum Fußball haben Aogo spürbar verändert. "Meine gesamte Wahrnehmung ist heute eine andere. Ob mit der Familie oder mit Freunden und neuen Bekannten, ich hatte viel Zeit, mich zu unterhalten und mir Gedanken zu machen. Ich habe extrem interessante Leute und Persönlichkeiten kennengelernt, was mir geholfen hat, die Augen offener zu halten." Seine Erkenntnis: "Ich war immer einer, der philosophiert hat, was in der Zukunft sein kann. Das ist etwas, was ich nicht mehr tue."

Vergangenen Dezember klang das noch ganz anders, als Aogo nach einem Zwischenhoch des HSV sogar schon wieder von einem Europa-League-Platz träumte. Heute sagt er: "Ich versuche, den Moment mehr zu genießen, das betrifft nicht nur den Fußball. Ich fühle mich frischer und freier. Sich den Spaß zu bewahren, ist in meinen Augen sehr wichtig." Die Antwort auf Fragen nach seiner Zukunft in der Nationalmannschaft fällt zwangsläufig zurückhaltend aus. Er erzählt, dass der Kontakt zu Bundestrainer Joachim Löw weiterhin besteht und freut sich darüber: "Wir hatten immer ein gutes, offenes Verhältnis. Wenn ich regelmäßig spiele und wir einigermaßen erfolgreich sind, kann das wieder ein Thema werden. Aber das sollte jetzt bei mir nicht im Fokus stehen." Bloß nicht zu viel nach vorne schauen, die Ziele anders als früher nicht zu ehrgeizig gestalten.

"Ich hatte keine einfache Kindheit, bin früher fast so etwas wie ein Problemfall gewesen." Aogo, 15. April 2009.

In Freiburg trifft Aogo auf "einen der Menschen, die mich am meisten vorangebracht haben" (Aogo), auf Trainer Christian Streich. Als 15-Jähriger bezog der gebürtige Karlsruher einen Platz im Freiburger Internat und lernte den damaligen Leiter des Nachwuchses intensiv kennen. "Wir haben unheimlich viel erlebt, zusammen geweint und gelacht. Ich habe unheimlichen Respekt vor ihm." Wer Streich kenne, der wisse, dass dessen Mannschaft am Sonnabend zu eintausend Prozent motiviert sein und ohne Ende laufen werde. "Er schaffte früher den Spagat sehr gut, extrem hart zu sein, aber auch Gefühle zu zeigen. Wie er damals mit uns umging, war schon grenzwertig. Da konnte es mal passieren, dass er direkt vor deinem Gesicht steht und dich anschreit."

Aber nicht nur das Freiburger Team genießt Aogos Respekt, auch beim HSV hat er eine Veränderung festgestellt. "Es war ja nicht so, dass die Stimmung katastrophal war, aber mein Eindruck ist, dass die Mannschaft zusammengerückt ist, der Spirit unter den Spielern ist wesentlich positiver." Auch sein Verhältnis zu Jansen, der Ansprüche auf seinen Stammplatz stellte, habe nicht gelitten: "Ich nehme die Situation so an, wie sie ist. Letztlich muss Thorsten Fink entscheiden. Aber wir haben fast vier Jahre unter sechs Trainern auf einer Seite gespielt, ich wüsste nicht, warum wir tauschen sollten."

"Ich habe einen guten Weg gefunden, damit (Ersatzspieler zu sein, d. Red.) umzugehen und mich nur mit Sachen zu befassen, die ich ändern kann." Aogo, 7. November 2012.