Nach dem 4:1 gegen Dortmund trifft der HSV am Donnerstag im ersten Play-Off-Spiel der Europa-League-Gruppenphase auf EA Guingamp.

Guingamp. Pünktlichkeit ist eine Tugend. So sieht es zumindest Monsieur Zvunka, der 15 Minuten vor dem Trainingsstart aus der Kabine am Stade du Roudourou kommt und zunächst mal alle Fans (acht) und Medienvertreter (zwei) persönlich mit einem kleinen Plausch begrüßt. Ein höfliches Bonjour hier, ein freundliches Ca va? dort. Man kennt sich eben. Von großer Hysterie vor dem morgigen Spiel gegen den HSV (18.45 Uhr) ist beim EA Guingamp wenig zu spüren. "Für Hektik ist es viel zu früh am Morgen", sagt Victor Zvunka, ehe ihm Minuten später auch seine Spieler langsam folgen. Und wie zuvor vom Trainer werden sämtliche Zuschauer (mittlerweile neun Fans und drei Journalisten) auch von ihnen einzeln per Handschlag begrüßt. So viel Zeit muss sein.

Dass der allgemeine Bretone als etwas dickköpfiger und zugeknöpfter Mensch gilt, der jeden, der aus Paris oder von noch weiter her kommt, mit Skepsis betrachtet, hat sich in dem 8000-Einwohner-Städtchen in der Nordbretagne offenbar noch nicht herumgesprochen. Vielmehr wird am Trainingsplatz lautstark und wild gestikulierend diskutiert, ob der eigene Verein überhaupt eine Chance gegen den vermeintlich übermächtigen HSV habe. Schließlich hätten sich die Hamburger doch mit mehr als 20 Millionen Euro im Sommer verstärkt, während Guingamp gerade mal einen Etat von insgesamt elf Millionen Euro aufweise. Vraiment incroyablement! Wirklich unglaublich! Die Namen David Jarolim und Zé Roberto werden genannt, aber auch Kevin Keegan und Peter Nogly. Und einer erinnert stolz daran, dass ein gewisser Manfred Kaltz seine großartige Karriere immerhin in Frankreich habe ausklingen lassen. So geht das anderthalb Stunden lang. Mal liegen Welten zwischen dem HSV und Guingamp, dann doch wieder nur un petit peu . Nur zurückhaltend ist in dem beschaulichen Örtchen zwischen Rennes und Saint Brieuc wirklich niemand.

"In Guingamp hat man ein nettes und entspanntes Leben, wenn man es etwas ruhiger mag", sagt Lionel Mathis nach dem Training. Der defensive Mittelfeldspieler gilt als der Kopf der Mannschaft. Er hat bereits mit AJ Auxerre in der Champions League gespielt. Neben dem 27-Jährigen gibt es noch den früheren Cottbuser Christian Bassila, der wegen einer Oberschenkelverletzung ausfällt, und eine Handvoll talentierter Afrikaner. Einer davon, Innenverteidiger Bakari Koné, soll sogar Hamburgs Scouts aufgefallen sein. Der Burkinabe habe ein HSV-Angebot, will einer der Kiebitze wissen. Mathis hat davon noch nichts gehört. In Guingamp könne man neben Fußballspielen auch richtig gut leben, sagt er. Leben wie Gott in Frankreich eben - oder zumindest wie Gott in der Bretagne.

Der Fußballgott meinte es in der vergangenen Saison jedenfalls gut mit dem französischen Provinzverein, der insgesamt nur sieben Jahre in der ersten Liga gespielt hat. En Avant (Vorwärts) marschierte in beeindruckender Art und Weise durch den französischen Pokal, der offenbar auch außerhalb Deutschlands seine eigenen Gesetze hat. Le Mans und Toulouse wurden besiegt, und auch Rennes konnte den kleinen bretonischen Nachbarn im Finale vor 80 000 Zuschauern - darunter 35 000 Guingamp-Anhänger - in Paris nicht am größten Erfolg der Vereinsgeschichte hindern. "Die Siege im Pokal waren ein Märchen für sich. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, ähnliche Erfolge nun auch in Europa zu erwarten", dämpft Trainer Zvunka bewusst zu hohe Erwartungen der Fans, die gestern lange Schlangen vor dem Fanshop am Marktplatz bildeten, um doch noch eine der letzten von 16 000 Karten für das Spiel am Donnerstag zu bekommen.

Pierrick findet den plötzlichen Trubel um den örtlichen Zweitligisten, der sogar einen achtköpfigen Fanklub aus Deutschland hat, etwas suspekt. Der Wirt der Bar l'Epoque, die links neben dem Fanshop am kleinen Marktplatz liegt, glaubt nicht an Wunder. Für ihn war auch der Pokalsieg gegen Rennes kein Märchen, sondern ganz einfach verdammt guter Fußball. Und warum soll Victor Zvunka und seinen Jungs Ähnliches nicht auch gegen den HSV gelingen, fragt er. Pierrick tippt auf einen 2:1-Heimsieg, den er sich genüsslich in seiner Bar bei einem Glas Cidre anschauen möchte. Spätestens um 18.45 Uhr will er morgen den Fernseher einschalten. Pünktlich natürlich.