Die Nationalmannschaft wird auf Fanmeilen und beim Public Viewing unterstützt - und schon ist eine neue Debatte über Patriotismus entbrannt.

Frankfurt/Main. Es wird wieder ziemlich laut werden rund um das Brandenburger Tor. Am Donnerstagabend um 20.43 Uhr kann wahrscheinlich auch der uninteressierte Kleingärtner am Rande von Berlin hören, wie 400.000 begeisterte Fußball-Fans auf der Straße des 17. Juni die deutsche Nationalhymne grölen. Dazu werden Hunderttausende schwarz-rot-goldene Fähnchen nervös vor Vorfreude im Takt geschwenkt. Wenn die deutsche Nationalmannschaft im fernen Warschau gegen Italien um den Einzug ins EM-Finale spielt, ist so ziemlich jeder auf der größten Fanmeile der Republik ein Stück Deutschland.

Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn darüber nicht diskutiert werden würde. Zumindest in der Politik. Zu viel!, tönt es aus der einen, der linken Ecke. „Die Trennung zwischen guten PatriotInnen und schmuddeligen NationalistInnen gibt es nicht; der positive Bezug zum eigenen Vaterland bedeutet immer auch die Abwertung von Anderen“, schreibt der Bundesvorstand der Grünen Jugend auf seiner Internetseite. Dort ist der „Patriotismus? Nein Danke!“-Button für 8 Cent schon ausverkauft.

Alles halb so wild!, entgegnet die andere, die bürgerlich-liberale Ecke. „Ich sehe die Sache viel unverkrampfter“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle in der ARD-Sendung „Hart aber Fair“, die am Montag zum „Patriotismus-Gipfel“ wurde: „Wir sind normale Leute, wir sollten uns normal verhalten.“Starken Gegenwind für den Bundesvorstand der Grünen Jugend gab es unter anderem aus dem Lager der Jungen Union, die es ausdrücklich begrüßt, „dass die Menschen in Deutschland ihrem Nationalgefühl Ausdruck verleihen“.

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Wie viel „Schland“ ist erlaubt, wenn die Nationalmannschaft um den EM-Titel spielt? Wer ist die entscheidende, im Endeffekt moralische Instanz? Im Fall des türkischen Kneipenwirts in Berlin-Neukölln war es das Ordnungsamt, das die 240 Quadratmeter große Deutschland-Flagge verboten hatte, die, quer über die Straße gehängt, die Vorfreude des Fußball-Fans ausdrücken sollte. Das Verbot wurde allerdings nur aus Sicherheits-, nicht aus Patriotismusgründen ausgesprochen. Auch das ist irgendwie typisch deutsch.

Wie „auf einem fremden Planeten“ fühlte sich der seit 30 Jahren in Deutschland lebende Amerikaner Eric T. Hansen in der Diskussionsrunde am Montagabend. Zumindest in dieser Größenordnung wird wohl in keinem anderen Land über Für und Wider eines Fahnenmeers diskutiert. Wie selbstverständlich wird beispielsweise in den USA die Nationalflagge verherrlicht.

In einem offenen Brief distanzierte sich sogar der Landesvorstand Hessen der Grünen Jugend vom Vorstoß des Bundesvorstandes. „Schlimm ist, dass Ihr diesen Menschen pauschal nationalistische Tendenzen unterstellt“, heißt es darin: „Die Flaggenkultur während großer Sportveranstaltungen ist nicht unbedingt mit Patriotismus gleichzusetzen. Für uns ist dies in erster Linie ein Ausdruck der Fankultur.“ Den „Fan-Bashing-Forderungen linksextremistischer Gruppierungen nachzulaufen“ sei nicht angebracht.

Damit sprechen die Hessen wohl auch den meisten Fanmeilen-Besuchern aus der Seele, zumal: Wie schon nach den vergangenen Welt- und Europameisterschaften werden die Fähnchen und Trikots auch in diesem Jahr nach dem Finale wieder eingetauscht. Zum Beispiel gegen die des deutschen Meisters Borussia Dortmund oder dessen Rivalen Schalke 04. Gegen ein bisschen Ruhrpott-Patriotismus hat keiner was.