Einmal dürfen die Polen noch feiern, dann verabschiedet sich die EM für den Showdown in die Ukraine. Das Fazit? Eher durchwachsen.

Warschau. Nur noch wenige Stunden, dann pilgern die Fans zum letzten Mal über die Weichselbrücke zum Warschauer Nationalstadion. Mit dem Halbfinale zwischen Deutschland und Italien verabschiedet sich Polen aus seiner Co-Gastgeberrolle der Fußball-EM. Die Preise für EM-Souvenirs in den Supermärkten und im Straßenhandel wurden bereits gesenkt. Was bleibt, wenn die weiß-roten Autofahnen und Balkontransparente endgültig eingerollt werden?

Nicht alle Hoffnungen der polnischen Gastgeber haben sich erfüllt - schon gar nicht die sportlichen. Dabei hatten die meisten Fans damit gerechnet, dass die „Weiß-Roten“ im eigenen Land den ewigen Fluch des Ausscheidens in der Vorrunde brechen könnten. Ein paar findige Geschäftsleute nutzten die kollektive Katerstimmung zum Verkauf von T-Shirts mit der ironischen Aufschrift „Ist gar nichts passiert. Die EM liegt schon hinter uns“.

Einige Hotels hatten mit stark überhöhten Zimmerpreisen auf ein großes Geschäft spekuliert, ebenso Restaurants in den Stadtzentren. Das war teilweise ein Trugschluss. „Vor allem Besucher aus den Nachbarstaaten, die Tschechen und die Deutschen, reisten nur für die Spiele an und fuhren dann wieder nach Hause“, sagt Krzysztof Lopaczynski vom Institut für Touristik. Außerdem hätten die Besucher deutlich weniger Geld ausgegeben als erwartet.

Trotzdem: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OBOP gaben 88 Prozent der befragten Polen der polnischen EM-Organisation gute Noten. Auch mit dem eigenen Team haben sich die meisten ausgesöhnt – 72 Prozent bescheinigten der Mannschaft einen guten Auftritt, auch wenn er nach der Vorrunde vorbei war.

Rund drei Millionen Menschen feierten auf den Fanzonen der polnischen Städte – das änderte für fast drei Wochen das Lebensgefühl und die Atmosphäre. Kneipen und Restaurants, die sonst um zehn Uhr abends mehr oder weniger diskret mit dem Aufräumen beginnen, waren auch nach Mitternacht noch voll.

Auf den Straßen verbrüderten sich die Fans der verschiedenen Länder. Spanier und Portugiesen, Iren und Deutsche intonierten zusammen mit den polnischen Fans „Bialy-czerwony“-Sprechchöre, auch als die Farben weiß-rot sportlich keine Rolle mehr spielten. Rund 80 Prozent der EM-Besucher können sich vorstellen, wieder nach Polen zu reisen.

Und auch die Polen werden ihre Gastgeberrolle vermissen. „Es war so eine tolle Stimmung mit den vielen Fans aus ganz Europa“, lässt die 22-jährige Natalia, die als Freiwillige in der Fanzone von Warschau arbeitet, schon jetzt Abschiedsschmerz erkennen.

„Wir sind keine Provinz mehr“, freute sich ein Kommentator in der „Gazeta Wyborcza“. Mehr noch als die neuen Autobahnen und Stadien, Bahnhöfe und Flughafenterminals, zählt das Image des modernen und sympathischen Polens. Dass auch organisatorisch alles so gut geklappt hat, ist auch Balsam für das polnische Selbstbewusstsein. Und auch eine andere Fußballkultur konnte plötzlich genossen werden, nicht nur mit Blick auf das Spielniveau.

Die so genannten „Picknick-Fans“, die einen Stadionbesuch der polnischen Liga aus Angst vor Hooligan-Gewalt meiden, konnten die EM genießen. „Die Fans (aus den anderen Ländern) haben uns gezeigt, dass die Anhänger anderer Mannschaften keine Feinde sind, sondern Kumpel für eine gemeinsame Feier“, bilanzierte die Gazeta Wyborcza. Diesen Eindruck konnten auch die vereinzelten Gewaltszenen nicht trüben. (dpa/abendblatt.de)