Sportlich überzeugte der BVB-Verteidiger wie kein Zweiter in der EM-Vorrunde. Doch einer versteht die “plötzliche Begeisterung“ über Hummels gar nicht.

Danzig. Es ist fast jeden Morgen das gleiche Spielchen. Sobald Nationalspieler und Trainerteam den abgeschirmten Trainingsplatz neben dem Teamhotel Dwor Oliwski betreten haben, öffnen zwei breitschultrige Männer mit grimmigem Blick für 15 bis 20 Minuten die mit schwarzem Sichtschutz verhängte Pforte zum Platz. Rund 100 Journalisten, Fotografen und Kameramänner strömen auf das bereitgestellte Podest, um möglichst die besten Bilder der Nationalspieler in die Welt zu senden. Mats Hummels beim Stretching. Klick. Mats Hummels beim Joggen. Klick, klick. Mats Hummels beim Passen. Klick, klick, klick. Der Dortmunder, Musketierbart, dunkle Rehaugen, Ich-bin-gerade-aufgestanden-Frisur, ist eines der erklärten Lieblingsmotive der Weltpresse. Fotogen, beliebt - und vor allem erfolgreich.

Es ist noch gar nicht lange her, da diente der 23-jährige Beau den Trainingsfotografen lediglich als gut anzusehende Hintergrundkulisse. Beliebt und fotogen war der 1,91 Meter große Abwehrrecke schon vor zwei Wochen, in der Nationalmannschaft erfolgreich war er nicht. Die Kameras zoomten sich an die bekannten Schweinsteiger, Klose und Podolski ran, Hummels spielte nur eine Nebenrolle. Erst am Tag vor dem Eröffnungsspiel gegen Portugal entschied sich Bundestrainer Joachim Löw bei der Besetzung der freien Planstelle in der Innenverteidigung gegen den ursprünglich favorisierten Per Mertesacker und für den Doublesieger aus Dortmund. Der sei mit Rückenwind aus der Meisterschaft gekommen und habe im Gegensatz zu Mertesacker Spielpraxis, begründete Löw ganz pragmatisch seine Entscheidung. Hummels machte einen Tag später sein bestes Länderspiel, bestätigte seine Form auch gegen die Niederlande und gegen Dänemark - und ist seitdem nicht nur bei den Fotografen heiß begehrt.

+++ Starke deutsche Auftritte – aber dennoch Luft nach oben +++

"Ich kann die plötzliche Begeisterung über Hummels' Leistung gar nicht nachvollziehen", sagt BVB-Chef Hans-Joachim Watzke im Gespräch mit dem Abendblatt, "der Mats hat doch schon immer so gespielt." Wie schon in der vergangenen Saison in der Bundesliga sei der Defensivkünstler auch bei der EM einer der besten seines Metiers, "was ich in dieser Form genau so erwartet hatte". Hummels habe die Gabe, nicht einfach im letzten Moment zu zerstören, sondern vorausahnend einzugreifen, zu antizipieren und mit "wohltemperierten Pässen" das Spiel von hinten aufzubauen. "Der Mats ist ein aufgeweckter Junge, das sieht man auch auf dem Platz", sagt Watzke, der am Freitag erstmals ein EM-Spiel der Deutschen vor Ort in Danzig besucht.

Es bleibt die von Watzke nicht beantwortete Frage, warum diesem aufgeweckten Jungen aus Bergisch Gladbach nicht schon früher der lang angepeilte Durchbruch im Nationalteam gelingen wollte. "Ich musste mich in die Mannschaft erst reinfinden", gibt Hummels zu, "nicht nur spielerisch, sondern auch vom Standing her." Der sprachlich versierte Sohn einer Sportjournalistin ist in Dortmund ein Führungsspieler, in der DFB-Auswahl musste er mit der ungewohnten Situation klarkommen, dass andere vor ihm standen. "Ich bin ein selbstbewusster Junge", hatte Hummels trotzdem im Trainingslager auf Sardinien gesagt, was ihm prompt als Arroganz ausgelegt wurde. Zudem musste sich der Abwehrmann fußballerisch neu justieren. In Dortmund darf und muss er nicht selten hohe Bälle in die Spitze spielen. In der Nationalmannschaft soll und darf er das nicht.

+++ Info: Erster freier Nachmittag +++

Auch deswegen hielt Hummels den Ball - auf und abseits des Platzes - nach seiner Beförderung schön flach. Direkt nach seiner "überragenden Leistung" (Sami Khedira) gegen Portugal wollte Hummels zunächst gar nichts mehr sagen, erklärte dann aber einen Tag später, dass er sich über einen Artikel im "Spiegel" geärgert habe. In dem Magazin wurde der Jung-Nationalspieler wenig schmeichelhaft als überehrgeiziger Gegenpart von Mitspieler Holger Badstuber dargestellt. Die beiden seien "wie rivalisierende Brüder", stand da geschrieben. "Wir sind Spieler, die das Spiel verstehen. Deswegen verstehen wir uns auf dem Feld", sagt Badstuber, der mit Hummels bereits in der U15 bei Bayern München um einen Platz im Team gekämpft hatte. Und abseits des Platzes? "Vielleicht haben wir ein besseres Verhältnis mit unseren Vereinskollegen, aber wir respektieren uns."

+++ Griechen-Taktik: Geheimtraining und Maulkorb zur Euro-Krise +++

Wie gut es um das Innenverhältnis zwischen Hummels und seinem Abwehrkollegen tatsächlich bestellt ist, wissen wohl nur die beiden. Von außen betrachtet könnte die Harmonie auf dem Platz jedenfalls nicht besser sein. In den insgesamt 270 Vorrunden-Minuten ließ das Abwehrduo kaum eine Großchance zu, nutzte zudem den Raum für einen überlegten Spielaufbau. Die Zeiten, in denen lediglich der zentrale Mittelfeldmann den Ton angibt, sind ohnehin längst vorbei. Hummels und Badstuber geben den Takt vor, entscheiden ob schnell, langsam, flach oder doch auch mal hoch gespielt wird.

In der knapp 1000 Kilometer entfernten Heimat werden Hummels EM-Auftritte in der Nationalmannschaft mit Entzücken verfolgt. "Der Mats macht das richtig gut", sagt Holger Sitter, "wenn er das Vertrauen des Trainers spürt, dann ist er kaum zu bezwingen." Der Autor des Dortmunder Fan-Magazins "Gib mich die Kirsche" hat selbstverständlich jedes Spiel des DFB-Teams gesehen, wird das Viertelfinale gegen Griechenland am Freitag auf dem Dortmunder Friedensplatz verfolgen und seinem BVB-Star Hummels besonders die Daumen drücken. "Wir wissen ja, was wir an unserem Mats haben", sagt Sitter, "er erinnert mich an den jungen Christoph Metzelder." Und eines ist dem 50-jährigen Fan der Schwarz-Gelben noch wichtig: "In Dortmund wird Ihnen keiner bestätigen, dass der Hummels arrogant oder abgehoben sein soll, ganz im Gegenteil."

Zu gerne würde man Hummels' Auftreten im Kollegenkreis bis zum Ende der Trainingseinheit beobachten. Doch nach 20 Minuten ist tatsächlich Schluss mit lustig. Bestimmt werden sämtliche Medienvertreter aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Hummels steht derweil am Mittelkreis, grinst den Fotografen hinterher und spielt sich den Ball mit Marcel Schmelzer und André Schürrle zu. Natürlich immer schön flach.