Sotschi. Jogi Löw betreut am Sonntag die deutsche Nationalelf zum 150. Mal. Bleibt er bis 2020, würde er sogar Herberger und Schön überholen.

Der ewige Jogi feiert ein Jubiläum. Das Spiel gegen Afrikameister Kamerun am Sonntag (17 Uhr MESZ, ZDF) im Schwarzmeerkurort Sotschi, das dritte und letzte Gruppenspiel im Confed Cup in Russland, wird das 150. sein als Fußball-Bundestrainer. Sollte er tatsächlich seinen Vertrag bis zur Europameisterschaft 2020 erfüllen, wäre er dann 14 Jahre im Amt. Damit hätte er Sepp Herberger (1950 bis 1964) und dessen Nachfolger Helmut Schön (1964 bis 1978) eingeholt, den Mann mit der Mütze, der 1972 mit Deutschland in Belgien Europameister und 1974 im eigenen Land Weltmeister wurde. Der kontinentale Titel fehlt Joachim Löw noch.

Löws Bilanz beeindruckt auch so, weil Kontinuität eine Rarität im überhitzten Fußballgeschäft geworden ist, dessen Rad sich immer schneller dreht. Wo Trainer kommen und gehen. Aber Löw bleibt und bleibt und bleibt. Er ist der erfolgreichste der bisher zehn Trainer der deutschen Nationalelf.

Wie konnte das geschehen?

Löw war Klinsmanns Gehirn

Es begann 2004. Der deutsche Fußball hatte sich bis an den Abgrund gerumpelt. Der ehemalige Nationalstürmer Jürgen Klinsmann sollte die Revolution einleiten. Er war das Räumkom-mando, das durch die miefigen Frank-furter Verbandsflure fegte und jeden Steinbrocken, der sich ihm in den Weg stellte, beiseite stieß.

Löw hingegen war der feinsinnige Taktiker, Klinsmanns Gehirn. Der Chef war für die Motivation zuständig, der Assistent tüftelte den Fußball der Zukunft aus. Nach Spielen stand er vor der Kabine, trank aus einem Plastikbecher einen Espresso, rauchte eine Zigarette, diskutierte mit einer kleinen Auswahl Journalisten über die richtige Taktik. Dreier- statt Viererkette, vertikale Pässe, scharfe flache Hereingaben in den Rücken der Abwehr. Er verbot das Wort Grätschen und erfand den Begriff Ballgewinn.

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    Es waren interessante Gespräche, tiefsinnig, respektvoll, nie abgehoben, immer auf Augenhöhe. In den Jahren danach ist viel passiert. Mit dem Menschen Löw. Aber vor allem auch mit dem Trainer Löw. Er wurde 2006 Bundestrainer, er stand fünfmal im Halbfinale von WM- und EM-Turnieren. 2014 triumphierte er in der Nacht von Rio de Janeiro, dem 1:0 nach Verlängerung gegen Argentinien. Aus dem netten Herrn Löw wurde der Weltmeistertrainer. Das Halbfinal-Aus bei der EM 2012 gegen Italien (1:2), als er sich taktisch verzockte, war vergessen. Eigentlich wäre es für ihn der perfekte Zeitpunkt gewesen, um die Fußballbühne zu verlassen. Löw aber blieb. Er sagt: „Im Herzen bin ich Trainer.“

    Confed Cup: Löw hat Fußball-Erneuerung ausgerufen

    Jetzt kommt er nach Spielen nicht mehr vor die Kabine, um einen Plausch zu halten. Er ist nicht mehr jedermanns Jogi. Er vertraut nur noch „Freunden, von denen ich weiß, dass sie es ehrlich meinen“. Sein Privatleben ist ein Mysterium. Wenn mal irgendwo irgendetwas Vertrauliches auftaucht, hält er es wie der Komiker Karl Valentin: „Ich ignoriere es nicht einmal.“ Bekannt ist nur das: Er hat sich friedlich von seiner Ehefrau getrennt, lebt aber noch in Freiburg im Breisgau, wo er für den dortigen Sportclub bei zwei Engagements (1978 bis 1980 und 1982 bis 1984) in insgesamt 136 Zweitligaspielen 43 Tore schoss.

    Gleichzeitig pendelt er nach Berlin, wo er eine Penthousewohnung hat, trifft sich gerne mit Schauspielern und Künstlern. Taucht ab ins intellektuelle Leben der Hauptstadt. Er trinkt gerne Rotwein und einen kleinen Espresso, geht zum Italiener nebenan essen, fährt eine Mercedes-Pagode aus den 60er-Jahren und „fühlt sich gut“, wenn er den frischen Fahrtwind spürt. Kürzlich reiste er nach San Francisco und schwärmte von der „Unendlichkeit“ und der „Freiheit“.

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    Er kann sich diese Freiheiten nehmen. Löw ist unantastbar geworden. Seine Kritiker haben aufgegeben. Zu souverän ist er geworden. Sein Charme, seine Eloquenz und seine Erfolge haben ihn in eine Sphäre geschossen, die ihn unerreichbar erscheinen lässt, nicht mal sein schwäbischer Dialekt („Höggschde Konzentration“) stachelt die Fußball-Comedian noch an. Und nun hat er sogar die letzten Zweifel an seinen Qualitäten ausgeräumt. Löw hat beim Confed Cup die deutsche Fußball-Erneuerung ausgerufen.

    WM 2018 ist Löws großes Ziel

    Wenn man ihm noch etwas vorwerfen wollte, dann vielleicht seinen fehlenden Mut, seine Scheu vor dem Risiko. Nun aber ließ er seine Stars zu Hause, um sie für die WM 2018 zu schonen, nominierte junge, teils wenig bekannte Hochbegabte und rief den Konkurrenzkampf aus. „Ich will, dass die jungen Spieler Druck ausüben auf die etablierten“, sagte er. Der Erfolg gibt ihm recht. Beim 1:1 (1:1) gegen Südamerikameister Chile, das mit fast allen Superstars antrat, stemmte sich seine Mannschaft gegen eine drohende Niederlage und trotzte dem Turnierfavoriten ein am Ende verdientes Remis ab.

    Löw hat seine Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben. Die WM nächstes Jahr in Russland ist sein großes Ziel. Da will er den Titel „gewinnen“, nicht „verteidigen“. Und danach? „Eine Europameisterschaft möchte ich auch noch gewinnen“, hat er neulich dem „Kicker“ erzählt. 3970 Tage lang ist Joachim Löw nun Bundestrainer. Es wartet nun gegen Kamerun auf sein 150. Spiel – und es winkt sein 100. Sieg (bei 27 Remis und 23 Niederlagen).

    Joachim Löw hat bereits eine Ära geprägt, und sie soll noch weitergehen.