Die Sticheleien im Vorfeld des Viertelfinal-Duells verschärfen sich, Kapitän Lahm und Bierhoff legen nach, Maradona bleibt gelassen.

Hamburg/Erasmia. Beim Boxen gehört das Ballyhoo vor einem Kampf zum Geschäft. Geplänkel, Zähne fletschen, tiefe Blicke in die Augen, manchmal schon vorher eine kleine Schlägerei. Und ein paar Tage später stehen die beiden Faustkämpfer im Ring und einer haut den anderen um. Beim Fußball, zumal einer Weltmeisterschaft, ist das Geschäft mit der psychologischen Kriegsführung etwas komplizierter.

Vor dem Viertelfinal-Duell gegen Argentinien (Sonnabend, 16 Uhr, im Liveticker auf abendblatt.de) scheinen die deutschen Nationalspieler ganz tief in die Kiste mit den Psychotricks gegriffen zu haben. Beflügelt vom Rausch des 4:1-Triumphs gegen England provozieren sie die sportlich immer noch höher eingeschätzten Südamerikaner, wo sie nur können. Willkommene Erinnerungen sind die unrühmlichen Szenen nach dem deutschen Sieg vor vier Jahren im Elfmeterschießen in Berlin, als die Argentinier ihre Gegner mit Schlägen und Tritten attackiert hatten.

Bastian Schweinsteiger hatte die Sticheleien am Mittwoch eröffnet, als er den Kodex des politisch Korrekten bei dieser Weltmeisterschaft durchbrach und den Argentinier als solchen der Unfairness zieh. Gestern legten Mannschaftskapitän Philipp Lahm und Teammanager Oliver Bierhoff noch einmal nach.

"Wir wissen, dass die Südamerikaner sich sehr impulsiv und temperamentvoll verhalten und nicht wirklich verlieren können", sagte Lahm. "Ich hoffe, dass wir am Sonnabend erleben, wie sie diesmal mit der Niederlage umgehen." Was sich bei ihm aber nicht wie eine Drohgebärde anhörte, sondern wie Widerworte eines trotzigen Jungen.

Und Oliver Bierhoff, etwas erwachsener, fügte hinzu: "Die Argentinier sind herzliche, gesellige, freundliche Menschen - aber wenn es auf den Platz geht, vergessen sie dies. Es gibt immer Diskussionen und Provokationen." Schweinsteiger erteilte er sogar Absolution: "Es gab keinen Grund, mit Bastian darüber zu reden. Er lässt halt mal einen Spruch raus, aber er ist ein fairer und hochanständiger Spieler."

Bastian Schweinsteiger hatte schon vor seiner Verbalattacke ("Die Argentinier sind eben so, das ist ihre Mentalität und ihr Charakter") in einem Interview mit dem "Stern" ebendiese Position vertreten: "Argentinien ist sicher nicht eine der fairsten Mannschaften. Sie fordern gelbe Karten, wenn sie gefoult werden, und wenn sie selbst foul spielen, dann beschweren sie sich auch noch beim Schiedsrichter." Die Formulierungen sind autorisiert worden, auch vom DFB, weswegen sie nicht als spontane Entgleisungen gewertet werden dürfen. Damit positionierte sich Schweinsteiger nicht nur als "emotionaler Leader", wie ihn Bundestrainer Joachim Löw gern nennt, sondern als aggressiver Leitwolf im Team.

Eine Menge Zündstoff, zumal auch andere deutsche Spieler kein Blatt vor den Mund nahmen. Man kenne die Spielchen der Argentinier, sagte Arne Friedrich. Und Thomas Müller meinte: "Man muss ja nicht gleich zuschlagen, um zu zeigen, dass man sich nichts gefallen lässt."

Zum Ballyhoo gehören immer zwei. Aber die Argentinier blieben im Reizklima am Kap gestern erstaunlich gelassen. Diego Maradona, sonst um keine Pöbelei verlegen, entgegnete sanft: "Wir werden Deutschland attackieren und gewinnen. Das ist es, was Schweinsteiger nervös macht". DFB-Manager Bierhoff konterte prompt: "Wir sind nicht nervös, auch Bastian nicht."

Maradona will auf die Keilerei vor vier Jahren nicht mehr angesprochen werden. "Jedes Spiel hat seine eigene Geschichte, die Partie am Sonnabend wird eine andere haben." Seine Duftmarke hatte er schon nach dem Achtelfinale gesetzt: "Für Deutschland ist die WM zu Ende."

Ein anderer, der damals dabei war, nahm ein wenig Dampf vom Kessel. "Die Argentinier haben sich damals unmittelbar nach dem Ende als extrem schlechte Verlierer gezeigt", erinnerte sich Torsten Frings zwar. Doch lobte er auch: "Später, als es vor dem Weltverband um eine Sperre ging, haben sie nicht gegen mich ausgesagt. Ich habe deshalb nichts gegen die Argentinier."

Auch Joachim Löw beteiligt sich nicht an dem Geplänkel. Im Gegenteil, er lobt seinen Widerpart Maradona: "So, wie die Mannschaft hier spielt, mit welcher Überzeugung und mit welchem Stolz, da ist seine Handschrift zu erkennen." Auch Löws Chefscout Urs Siegenthaler nannte die Argentinier "einen überragenden Gegner". Aber man habe ein Konzept entworfen, um einen Weltstar wie Messi auszuschalten: "Das Team und der Trainer haben Wege." Solche kryptischen Andeutungen könnten den Argentiniern mehr Sorgen bereiten als jede Provokation.