Nach der 1:2-Niederlage beim FC Bayern München und dem Abrutschen auf einen direkten Abstiegsplatz lieben beim BVB die Nerven blank. Geschäftsführer Watzke klammert sich an Symbolkraft von Reus‘ Torjubel.

München. Hans-Joachim Watzke steuert sein Auto am Sonntagnachmittag durch das Sauerland. Er ist auf dem Weg nach Erlinghausen, nach Hause – und auf der Suche nach anderen Gedanken. Aber das ist schwierig derzeit. Der Geschäftsführer von Borussia Dortmund kehrt gerade aus München zurück, wo er den BVB hat verlieren sehen. Mal wieder. 1:2 bei den Bayern, fünfte Niederlage in Folge in der Fußball-Bundesliga. Der vor der Saison mit 50 Millionen Euro aufgerüstete Spitzenclub ist auf einen Abstiegsplatz abgerutscht. Und das nach einem knappen Drittel der Saison. „Nach zehn Spieltagen ist das kein Zufall mehr, sondern das Ergebnis unseres Fußballs“, sagt Watzke nüchtern. Ob er sich Sorgen macht um seinen Club? „Wenn wir mit Gelassenheit auf die Tabelle blicken würden, müssten wir uns einen anderen Job suchen.“ Frei übersetzt aus dem Branchensprech bedeutet das wohl: Ja.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die eigentlich so mächtig gewordene Borussia tatsächlich eine Saison im Abstiegskampf bestreiten wird, ist nicht sehr hoch. Der Moment der Befreiung wird sicher bald kommen. Sagen alle. Seit Wochen. Nur kommt er bislang nicht. Nicht gegen Hannover, nicht gegen Köln, nicht gegen München. „Jede Niederlage tut weh“, sagt Trainer Jürgen Klopp, „und in der Häufigkeit, in der wir sie produzieren, potenziert sich das schon. Wir haben viele Baustellen.“

Es sind Baustellen, bei denen es nicht immer nur damit getan ist, Kanten glatt zu feilen – vielmehr ist schweres Gerät nötig, um sie zu beseitigen.

In der Defensive werden gravierende individuelle Fehler begangen. Nach den ersten 45 Minuten in München, in denen der BVB zwar ebenfalls größte Bayern-Chancen zuließ, aber nach einem zauberhaften Kontertor von Marco Reus in Führung gegangen war (31.), musste Mats Hummels verletzt ausgewechselt werden. Er wird wegen einer Bänderdehnung drei Wochen lang ausfallen und vermutlich die Spiele gegen Mönchengladbach und Paderborn verpassen. Das macht die Sache nicht besser. Für ihn kam Neven Subotic. Traurig stand dieser später im Bauch der Münchner Arena und sagte: „Es waren zwei Patzer von mir.“ Vor dem 1:1 grätschte der Serbe den Ball unglücklich in die Füße des früheren Dortmunders und jetzigen Münchner Torschützen Robert Lewandowski, der den überragenden Roman Weidenfeller überwand (72.). Vor dem zweiten Tor geriet Subotic nach einer eigenen Nachlässigkeit in ein fatales Laufduell mit Franck Ribéry: Trikotzupfer, Pfiff, Elfmeter, Arjen Robben. 2:1 (85.) – und Ende.

Doch auch das offensive Spiel ist ein Problem. Es kreiert zu wenige Chancen gegen sehr defensive Gegner und verschaffte aktuell der Deckung unter dem Druck der Münchner zu wenig Entlastung. Die gesamte schwarz-gelbe Statik scheint gelegentlich ins Wanken zu geraten, weil Klopp permanent am personellen und taktischen Fundament arbeitet. Das ist dem Wunsch nach mehr Variantenreichtum geschuldet. Doch es geht einher mit einem Mehr an Verunsicherung. Die Mannschaft sucht Verlässlichkeit, Sicherheit, während auf der Gegenseite Pep Guardiola seine Spieler in einer Art geordnetem Chaos von Sieg zu Sieg dirigiert. München gegen Dortmund – das war über Jahre ein Duell auf Augenhöhe. Derzeit ist es das nicht mehr.

Watzke hofft auf Symbolkraft von Reus-Jubel

Dass nicht alles schlecht war, bemühten sich die BVB-Macher festzuhalten. „Seit zwei Wochen sehe ich einen Aufwärtstrend. Ich sehe, dass Spieler, die nach Verletzungen zurückgekommen sind, an Form gewinnen. Das ist der Schlüssel für die Zukunft“, sagt Watzke. Er meint Tempodribbler Henrikh Mkhitaryan, er meint den in München 90 Minuten lang zuschauenden Ilkay Gündogan, der in den guten Zeiten für Ideen und Struktur zuständig war. Und er meint Marco Reus.

Der Nationalspieler nahm an diesem Abend in München eine wesentliche Rolle ein. Sein Vertrag in Dortmund läuft bis 2017, München will ihn – und kann ihn theoretisch haben. Eine Ausstiegsklausel im Vertrag für den kommenden Sommer macht es möglich. Die Diskussionen um seine Zukunft haben eine tiefe Kluft gerissen zwischen beiden Clubs. Reus traf und klopfte sich mit der rechten Hand auf die linke Brust. Dorthin, wo das Herz sitzt, wo das BVB-Emblem auf das Trikot genäht ist. „Wenn Marco so etwas macht, dann bedeutet das auch etwas“, sagt Watzke. Hofft Watzke. Hofft auch Klopp.

Doch das Thema nervt den Trainer. Er hatte gesehen, dass es Reus war, der vor dem ersten Münchner Treffer nicht zu einem Kopfballduell hochgestiegen war. „Wir haben zu viele lange Bälle geschlagen und uns dann daraufhin auch noch schlecht verhalten. So ist das erste Tor entstanden.“ Selbst im sicheren Wissen, das Duell zu verlieren, mahnt Klopp, „müssen wir da mit hochgehen, damit Boateng nicht so klar rausköpfen kann.“ Der Vorwurf ging an Reus.

Klopp verliert die Contenance

Spät am Abend verlor er in einem Fernsehinterview mit dem ZDF angesprochen auf die Causa Reus die Contenance. Er warf dem Reporter fehlende Sensibilität für die Dortmunder Lage vor und blieb einsilbig wie selten. Ob er weiterhin überzeugt sei, dass Reus in Dortmund bliebe, wurde er gefragt. „Ich weiß es nicht, das ist jetzt nicht mein Thema. Mir wäre es aber ganz recht, wenn die Jungs, die da sind, ihren besten Fußball spielen, so lange sie da sind.“

Der Interpretation, Reus wäre mit den Gedanken schon in München, widerspricht Watzke energisch. „Ich weiß, woran ich bei ihm bin. Es ist noch keine Entscheidung gefallen“, sagt der BVB-Boss: „Ich wünsche mir, dass er bleibt. Aber wir können uns nicht auf einen Bieterwettbewerb mit Real Madrid, Barcelona oder Bayern München einlassen. Wenn wir im nächsten Jahr nicht Champions League spielen, wird es schwer, ihn zu halten.“ Danach sieht es nach derzeitigem Stand aus. „Es ist wahrscheinlich“, sagt Watzke im Hinblick auf die Millionen versprechende Teilnahme an der Königsklasse, „das wir nicht teilnehmen werden.“ Gar nicht gut zu sprechen ist der BVB-Chef in Sachen Reus auf seinen Vorstandskollegen vom FC Bayern: „Der Stil von Karl-Heinz Rummenigge hat auf der nach oben hin offenen Heuchelskala einen ganz hohen Wert.“ Rummenigge hatte über Vertragsinterna geplaudert.