Er war der Macher des Sommermärchens 2006. Nun führte Jürgen Klinsmann die USA zur WM 2014. Im Abendblatt spricht er den FC Bayern, Buddha-Figuren, den HSV und Manager.

Wien. Bäckersohn Jürgen Klinsmann hat seinen Lebensmittelpunkt in Kalifornien. Nach Europa kommt der 49 Jahre alte Trainer der US-Nationalmannschaft nur noch selten. Anlässlich eines Länderspiels seiner Auswahl in Wien fand der frühere Bundestrainer aber Zeit für ein Gespräch.

Hamburger Abendblatt: Herr Klinsmann, sehen Sie die spielerisch beeindruckenden Auftritte der deutschen Mannschaft eigentlich auch mit einem weinenden Auge?

Jürgen Klinsmann: Wie kommen Sie denn darauf?

Das deutsche Nationalteam spielt genauso, wie Sie es immer wollten. Attraktiv, spektakulär, mit dem Mut zum Risiko. Haben Sie zu früh aufgehört?

Klinsmann: Nein. Die Komplimente für den deutschen Fußball, die ich international überall höre, erfüllen mich mit Freude und Stolz. Der Jogi ist ein Freund von mir, es freut mich total, wenn ich sehe, wie viele großartige Talente er einbaut. Meine Entscheidung, nach der WM 2006 aufzuhören, war dennoch vollkommen richtig.

Damals gab es eine richtige Fanbewegung, um Sie zum Bleiben zu überreden.

Klinsmann: Ich habe zwei Jahre lang all meine Energie in dieses Projekt gesteckt. Denn jeder von uns wusste, dass die WM im eigenen Land ein einmaliges Projekt war. Selbst wenn wir Weltmeister geworden wären, wäre auf jeden Fall Schluss gewesen. Ich war leer.

Kein Bundestrainer vor und nach Ihnen hat einen solch extremen Stimmungswandel je erlebt. Vom öffentlich attackierten Trainernovizen, der sogar vor den Sportausschuss des Deutschen Bundestages zitiert werden sollte, bis zum Helden des Sommermärchens.

Klinsmann: Ich wusste ja zum Glück immer genau, wer was und vor allem auch warum gerade in die Öffentlichkeit lanciert hatte. Auch beim DFB gab es viele Zweifler, der damalige Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder war die große Ausnahme. Geholfen hat mir, dass ich völlig unabhängig war. Ich habe immer gesagt: Wenn ihr nicht mehr wollt, gehe ich zurück nach Kalifornien, das ist gar kein Problem.

Sie haben jetzt die US-Boys zur WM geführt. 2008 sind Sie aber bei Ihrem Engagement beim FC Bayern gescheitert. Funktioniert Ihre Denke nur bei Nationalmannschaften?

Klinsmann: Nein, Bayern war halt was ganz Spezielles. Aus meiner Sicht hätte meine Arbeit auch dort langfristig funktioniert. Dann ist es halt anders gekommen. Ich bin mit mir im Reinen.

Aber Sie mussten nach nicht einmal zehn Monaten gehen.

Klinsmann: Bei jeder Veränderung ist es wichtig, dass alle Seiten vom neuen Weg überzeugt sind. Doch bei den Bayern sind am Ende zwei Auffassungen aufeinandergeprallt.

Sie spielen auch an auf die Torwartentscheidung. Sie wollten anscheinend Jörg Butt als Nachfolger von Oliver Kahn, die Chefetage bestand auf Michael Rensing, weil man bei ihm im Wort stand. Und Louis van Gaal konnte unmittelbar nach Ihrem Rausschmiss für 70 Millionen Euro neue Spieler holen.

Klinsmann: Ich werde mich zu Details nicht äußern, das ist alles längst abgehakt. Ich möchte dieses Jahr überhaupt nicht missen. Meine Familie hat sich sehr wohl gefühlt, unsere Kinder schwärmen heute noch von München. Insofern war es sehr schade, dass es so schnell zu Ende ging. Für mich aber war diese Zeit wahnsinnig lehrreich.

Was ist die wichtigste Lehre?

Klinsmann: Dass ein solcher Job nur Sinn macht, wenn alle Seiten vom neuen Weg überzeugt sind und ihn gemeinsam gehen wollen. Rückblickend hätte ich den Job bei den Bayern viel früher beenden müssen, als ich merkte, es passt einfach nicht. Aber dafür bin ich eben zu sehr Fighter. Ich dachte, ich habe in meiner Laufbahn so viele Krisen durchgestanden, dann stehe ich das auch noch durch.

Stattdessen wurden die Buddha-Figuren auf dem von Ihnen entwickelten Leistungszentrum in München zu einem Symbol.

Klinsmann: Ein gutes Beispiel. Die Buddha-Figuren habe ich erst gesehen, als ich nach München kam. Die hat der Architekt draufgesetzt. Jeder, der mich kennt, weiß, dass es mir immer nur um Inhalte geht. Ich habe mich ausschließlich darum gekümmert, dass die Bayern das modernste Leistungszentrum in Europa bekommen. Das war das Ziel, das haben wir umgesetzt – aber davon hat keiner mehr gesprochen. Aber wie gesagt: So ist es halt.

Sie haben vor einigen Jahren auch mal mit den damaligen HSV-Vorständen Bernd Hoffmann und Katja Kraus gesprochen. War ein Wechsel zum HSV eine Option?

Klinsmann: Nein, wir hatten nur ein langes und gutes Gespräch über die Führung eines Fußballvereins. Mich hat es sehr gefreut, dass Bernd Hoffmann mich angerufen hat.

Und was haben Sie dem HSV-Vorstand geraten?

Klinsmann: Dass ein Verein sich nur weiterentwickeln kann, wenn alle Personen im inneren Kreis die gleiche Sprache sprechen. Von den Aufsichtsräten über den Vorstand, den Sportdirektor, den Trainer, die Spieler bis hin zum Zeugwart und Busfahrer: Alle müssen überzeugt sein, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Streit im Verein spiegelt sich immer in der Mannschaft wider. Die Spieler spüren sofort, wenn etwa Trainer und Sportdirektor unterschiedlicher Meinung sind. Das schwächt den Trainer.

Stören Sie die vielen schnellen Wechsel auf Spitzenpositionen in diesem Geschäft?

Klinsmann: Wenn der Vorstandschef von Microsoft ein kleineres Computerunternehmen kauft, hat er selbstverständlich das Recht, den Stab komplett neu aufzustellen. So muss es auch im Fußball sein. Aber alle Beteiligten müssen sich vorher auf den neuen Weg verständigen, und den muss man dann gemeinsam gehen. Auch Sportdirektor und Trainer, und vor allem auch, wenn es mal etwas ungemütlicher wird. Da darf man nicht nach ein paar Wochen sagen, jetzt werfen wir den Trainer raus und anschließend wieder alles um.

Welche Qualifikation braucht ein Sportdirektor?

Klinsmann: Ich verstehe nicht, warum es nicht längst eine Ausbildung in Deutschland gibt. Diese Position erfordert so viel Kenntnis in Bereichen wie Personalführung und Management. Stattdessen werden solche Jobs weiter danach vergeben, wie gut früher einer mal kicken konnte. Dieses Kumpelprinzip kann es doch nicht sein. Wir müssen weg von dem Inseldenken, wir brauchen die Impulse von außen. Ich bilde mich beispielsweise weiter, indem ich mich mit Top-Leuten aus anderen Sportarten treffe. Das heißt doch nicht, dass man alles 1:1 auf den Fußball überträgt, aber möglichst viel zu wissen hat noch niemandem geschadet.

Viele Fans vermissen die echten Typen auf dem Platz.

Klinsmann: Wo gibt es die denn überhaupt noch in unserer Gesellschaft? In der Politik, in der Wirtschaft? Der Fußball ist doch nur ein Spiegelbild. Unsere Gesellschaft läuft in einem viel höheren Tempo als noch vor 20, 30 Jahren. Wer sich nicht anpasst, hat fast schon verloren.

Erst recht im Fußball.

Klinsmann: Da müssten wir erst mal definieren, was ein sogenannter Typ ist. Wer heute nach einem Spiel eine Packung Zigaretten durchzieht oder die halbe Nacht durchfeiert, ist meines Erachtens kein Typ und wird am nächsten Tag beim Training ohnehin rasiert. Wenn du nicht total auf das Ziel fokussiert bist, hast du bei diesem athletischen Fußball nicht einmal mehr in deinem Verein eine Chance, geschweige denn in der Nationalmannschaft.

Dennoch fällt auf, dass Spieler wie Michael Ballack oder Torsten Frings, die auch mal gegen den Strom schwimmen, am Ende im Unfrieden aus dem Nationalteam ausgeschieden sind. Hat Löw ein Problem mit solchen Spielertypen?

Klinsmann: Entschuldigung, aber das ist totaler Quatsch. Jogi hat gezeigt, dass er mit jedem Spielertyp zurechtkommt. Bei Michael Ballack gab es am Ende leider ein Kommunikationsproblem. Man hätte sich früher bei einem Kaffee zusammensetzen sollen. Aber wenn die Medien diese Geschichte erst einmal entdecken, kriegst du das Thema nicht mehr eingefangen.

Wie hat sich die Mannschaftsführung in den vergangenen Jahren geändert?

Klinsmann: Die sozialen Medien spielen eine wichtige Rolle, gerade in meinem Job in den USA. Meine Jungs spielen zu 70 Prozent in Europa, in sechs verschiedenen Ländern. Wenn ich sie für eine Leistung in ihrem Verein loben will, mache ich das lieber über Twitter oder Facebook als über eine SMS. Für sie ist ein öffentliches Lob vor ihren zigtausend Fans eine Art Ritterschlag.

Viele Spieler haben inzwischen Millionen Fans, die ihnen auf Facebook oder Twitter folgen. Ist das nicht gefährlich?

Klinsmann: Die Gefahr, dass diese Spieler abheben, ist groß, keine Frage. Nicht nur wegen Facebook oder Twitter. Denn hinzu kommen die enormen Gehälter, die vielen Schulterklopfer im direkten Umfeld, die Talente nach ein paar guten Spielen zu Megastars erklären. Die Vereine werden nicht daran vorbeikommen, hauptamtliche Teambetreuer einzustellen, die sich ganz auf das Verhalten der Spieler außerhalb des Platzes konzentrieren.

Wie erden Sie abgehobene Spieler?

Klinsmann: Für mich ist das relativ einfach, da nur ganz wenige meiner Spieler in der Champions League, also in der Königsklasse, kicken dürfen. Sie haben das große Ziel noch lange nicht erreicht. Wenn dennoch jemand die Bodenhaftung verliert, dauert mein Gespräch meist nur 30 Sekunden. Ich frage dann: ‚Spielst du schon für Barcelona, Manchester oder die Bayern? Komisch, ich habe dich da noch nie gesehen.‘ Das reicht in der Regel.

Von Joachim Löw erwarten die Fans den ersehnten Titel. Hat er es schwerer als Sie? Die USA gelten als Außenseiter.

Klinsmann: Das kann man nicht vergleichen. Wir wollen die Gruppenphase überstehen, dann einen der Großen kitzeln, um an die Top 15 der Welt näher heranzurücken. Die deutsche Erwartungshaltung ist mit Recht eine ganz andere. Neben Brasilien und Spanien ist Deutschland der Favorit auf den Titel. Ich finde, das muss man auch ganz klar aussprechen. Nur dann ist auch der Glaube da, dieses Ding wirklich durchzuziehen. Wir haben ja vor der WM 2006 auch gesagt, unser Ziel ist der WM-Titel. Mit einer Mannschaft, die noch nicht so gefestigt war.

Im nächsten Jahr werden Sie 50 Jahre alt. Zeit für ein neues Abenteuer, etwa die Rückkehr nach Deutschland?

Klinsmann: Ich habe noch nie etwas in meinem Leben kategorisch ausgeschlossen. Aber ich habe hier eine sehr spannende Aufgabe. Es geht ja nicht nur um das Nationalteam. Ich kümmere mich auch um die Verzahnung mit den ganzen Bereichen wie Jugendfußball, Talentsuche und Talentförderung, College-Fußball. Das ist mir Abenteuer genug. Meine Familie ist glücklich. Und ich habe Zeit für meine Hobbys.

Welche?

Klinsmann: Vor allem Hubschrauber fliegen.

Sie fliegen selbst?

Klinsmann: Ja, meine Privatfluglizenz habe ich. Ich kann jederzeit fliegen und darf Gäste mitnehmen.

Traut sich Ihre Frau in den Helikopter?

Klinsmann: Natürlich, schon oft. Jetzt arbeite ich an meiner Berufsfluglizenz. Dann könnte ich Ihnen sogar Geld abnehmen, wenn ich Sie fliegen würde.

Hm, eilt nicht.

Klinsmann: Keine Angst, Hubschrauberfliegen ist ungefährlicher als mit dem Flugzeug. Da brauchen Sie immer eine Landebahn. Beim Helikopter nur einen freien Platz.

Hatten Sie schon ein Problem in der Luft?

Klinsmann: Ja, einmal gab es eine Alarmmeldung, die ich nicht genau einordnen konnte. Ich bin dann sofort wieder runter. War am Ende zwar harmlos, trotzdem die richtige Entscheidung. Beim Fliegen eines Hubschraubers muss man sich total fokussieren, jede Unkonzentriertheit kann bestraft werden. Das fasziniert mich.