Vor dem Test gegen Frankreich heizt der Bundestrainer ganz bewusst den Konkurrenzkampf an im Hinblick auf die WM 2014 in Brasilien.

Paris. Dienstag, 17.30 Uhr, Stade de France. Der Arbeitstag von René Adler beginnt. Ungemütlich zugig ist es im fast menschenleeren Rund, als der HSV-Torhüter die Vorbereitung für sein Comeback beginnt. Adler jongliert, beweist auch mit Hacke und Kopf Ballgefühl. Über 75.000 Zuschauer werden erwartet, wenn der 28-Jährige beim ewigen Duell zwischen Frankreich und Deutschland nach über zweijähriger Pause wieder das Trikot der Nationalmannschaft tragen wird (21 Uhr/ARD). Es ist nur ein Test. Aber für Adler ein Festtag, das Ende einer Leidenszeit nach vielen Verletzungen, die ihn auch den Platz im DFB-Tor gekostet hatten.

14 Uhr, Hotel Concorde La Fayette. Joachim Löw bläst die Backen auf. Diese Frage muss erst mal verdaut werden. "Fühlen Sie sich wie unsere Goldene Generation als romantische Verlierer?" Der Vergleich zum damaligen Team um Michel Platini, das bei den Weltmeisterschaften 1982 und 1986 leer ausgegangen war und "nur" 1984 den EM-Titel gewinnen konnte, passte dem Bundestrainer überhaupt nicht. Nach einigen Sekunden jedoch hat sich der 53-Jährige wieder im Griff und entgegnet, wie stolz er auf das bereits erreichte Niveau sei: "Die Fortschritte waren enorm, wir arbeiten weiter daran, unsere Ziele erreichen zu können." Und überhaupt: "Diese Mannschaft, die das jüngste Team bei der EM 2012 stellte, hat ihre beste Zeit noch vor sich."

Ob die WM 2014 der letzte Angriff des seit 2006 amtierenden, aber noch titellosen DFB-Coachs sein wird, weiß niemand. Dafür skizzierte Löw am Dienstag, wie er sich, beginnend mit dem Frankreich-Spiel, die Vorbereitung auf die WM-Endrunde vorstellt. "2013 ist das Jahr der Weiterentwicklung einzelner Spieler, das Jahr der Konzentration", formulierte er. "Einige Spieler machen sich Hoffnungen auf einen Platz in der Startformation. Wir werden den Konkurrenzkampf weiter forcieren und fordern. Und wir brauchen mehr als elf Spieler, wenn wir uns in der Weltspitze etablieren wollen. Bei einem Turnier muss jede Position doppelt besetzt sein."

Wie zum Beispiel im Tor. Auf das laute Nörgeln Manuel Neuers, der sich öffentlich beschwerte, dass er sehr gern gespielt hätte, reagierte Löw gelassen: "Wir haben mit Manuel gesprochen, er ist unangefochten die Nummer eins. Dass er gerne gespielt hätte, ist klar. Es hätte mich gewundert, wenn er etwas anderes gesagt hätte." Es gelte eben, Alternativen zu schaffen für den Fall, dass es Verletzte gibt. Was Löw nicht sagt: Es gilt auch, Neuer nicht zu bequem und sicher werden zu lassen, der in 20 Bundesliga-Spielen nur sieben (!) Tore hinnehmen musste. Löw braucht mit Adler einen ernsthaften Rivalen, um Druck aufzubauen, keinen talentierten Nachwuchs wie Ron-Robert Zieler.

Dass Adler die Klasse hat, um Neuer dauerhaft Konkurrenz zu machen, davon ist man in Hamburg überzeugt: "René hat definitiv die gleiche Qualität wie vor seinen ganzen Verletzungen, als er bereits ein fester Bestandteil der Nationalmannschaft war", sagte HSV-Trainer Thorsten Fink am Dienstag. "Das ist schon eine bewundernswerte Leistung, nach so langer Zeit wieder zurückzukommen. So viele haben das vor ihm nicht geschafft." Als Lehrbeispiel dient Lothar Matthäus, der nach vierjähriger Auszeit 1998 wieder zum DFB zurückkehrte und nach der WM in Frankreich sogar noch die EM in Belgien und den Niederlanden spielte.

Wo wir gerade bei Comebacks sind: Hoffnungen auf eine Bewährungsprobe, zumindest für einige Minuten, darf sich auch HSV-Profi Heiko Westermann machen, der bereits im November gegen die Niederlande zum Aufgebot gehörte und wie Adler zuletzt 2010 gegen Schweden auf dem Platz gestanden hatte. Da sich Löw festgelegt hat, nach dem Ausfall Marcel Schmelzers Philipp Lahm auf der rechten Abwehrseite zu belassen, dürfte Jerome Boateng als Notlösung links verteidigen, im Laufe der zweiten Hälfte könnte dann Westermann zum Zuge kommen.

Trotz der vielen Ausfälle (auch Schweinsteiger, Klose, Götze, Reus und Badstuber fehlen) bezeichnete Löw die Partie im Stade de France als "Härtetest". Nach dem berauschenden und zugleich ernüchternden 4:4 gegen Schweden fordert der Bundestrainer von seinen Spielern beim Klassiker anlässlich des 50. Jubiläums des Élysée-Vertrages eine bessere Balance zwischen kreativer Offensive und stabiler Defensive. Auf stürmische Romantik, die tränenreich mit einer Ergebnistragödie endet, hat Löw ganz sicher keine Lust. Aber auch er tritt ab sofort in einen Konkurrenzkampf - mit dem alten Löw, er tritt in eine neue Phase seines Fußballehrerdaseins.

War er anfangs der Reformator, der den deutschen Fußball wieder in die internationale Spitze hob, so ist er nun eher als Gestalter gefragt, um den Abstand zu Welt- und Europameister Spanien zu verringern. Dabei wird sich zeigen, ob die "Kratzer", die er nach dem Halbfinalaus bei der EM 2012 gegen Italien und dem 4:4 gegen Schweden in der WM-Qualifikation abbekam, größere Schäden anrichteten oder er den Status des Unantastbaren aufrechterhalten kann. Mit Personalien wie jetzt Adler zeigt Löw deutlich, dass er entgegen anderer Mutmaßungen alles andere als eine Komfortzone im Kreise der Nationalmannschaft plant.

Mitarbeit: Kai Schiller