Hamburg fiebert am Sonnabend zwei Nord-Süd-Duellen entgegen: St. Pauli spielt bei 1860 München, danach empfängt der HSV den FC Bayern.

Hamburg/München. Auf den ersten Blick ist alles ganz eindeutig. Natürlich ist das Wetter in München besser als in Hamburg. Und ohne Zweifel ist München mit dem FC Bayern als Aushängeschild und den weiteren Profiteams TSV 1860 (Zweite Liga) und SpVgg Unterhaching (Dritte Liga) Deutschlands Fußball-Hauptstadt. Doch siehe da: Mit knapp 970 Litern pro Jahr und Quadratmeter regnet es in München sogar mehr als in Hamburg (770 Liter). Und kann die Elbmetropole mit dem HSV und dem FC St. Pauli nicht auch fußballerisch mit der vermeintlichen süddeutschen Übermacht mithalten?

Am Sonnabendabend, wenn die Kiezkicker ihr Spiel bei den Münchner Löwen (13 Uhr) und der HSV seine Partie gegen den Rekordmeister (18.30 Uhr) absolviert haben, wird diese Frage anhand von zwei nüchternen Ergebnissen für den Moment beantwortet sein - doch der immer wiederkehrende Nord-Süd-Vergleich verdient eine tiefer gehende Betrachtung.

Aktuelle Situation: Der FC Bayern ist in dieser Saison national das Maß der Dinge und in der Champions League auf gutem Weg. 1860 liegt in der Zweiten Liga in Reichweite der Aufstiegsplätze und hat das Achtelfinale des DFB-Pokals erreicht. Und Unterhaching ist trotz eines Mini-Etats plötzlich einer der Aufstiegsfavoriten in der Dritten Liga. Dagegen hat Hamburg nichts zu melden: Der HSV stagniert im Bundesligamittelmaß, hat sich im Pokal in der ersten Runde verabschiedet, und internationalen Fußball gibt es seit Mai 2010 nur noch im Fernsehen zu bewundern. St. Paulis Glanzzeiten sind ebenso vorbei - Abstiegskampf in Liga zwei wird den Ansprüchen der Braun-Weißen nicht gerecht. Und dahinter? Der SC Victoria bemüht sich um den Verbleib in der Regionalliga. Ein weiteres Profiteam ist nicht in Sicht. Klarer Vorteil München.

Erfolge: Das Synonym "Rekordmeister" ist wohl auf alle Zeiten an den FC Bayern gekoppelt: 22 deutsche Meistertitel, 15 DFB-Pokalsiege, dreimaliger Gewinner des Europapokals der Landesmeister, Champions-League-Sieger - was zu gewinnen ist, haben die Bayern gewonnen. Die Erfolge der 1860er sind schon ein wenig her, doch auch der im Stadtteil Giesing beheimatete Verein gewann zweimal den deutschen Pokal und im Jahr 1966 sogar die deutsche Meisterschaft. Im Jahr 2000 hatten die Blau-Weißen mit der Teilnahme an der Qualifikation zur Champions League noch mal ein Zwischenhoch.

Der HSV hat immerhin sechs deutsche Meisterschaften sowie drei nationale Pokalsiege und jeweils einen Europapokalsieg der Landesmeister und Pokalsieger vorzuweisen. Zwei Rekorde darf der HSV zudem noch für sich beanspruchen: Er ist der einzige Verein, der gegen alle 51 möglichen Gegner in der Bundesliga gewonnen hat. Zudem blieb die Mannschaft 1982/83 in 36 Bundesligaspielen in Folge unbesiegt.

Die Erfolge des FC St. Pauli halten sich noch in Grenzen. Immerhin gibt es nicht viele Klubs, die sich "Weltpokalsiegerbesieger" nennen dürfen: 2002 gewann der damalige Tabellenletzte der Bundesliga gegen den Weltpokalsieger FC Bayern mit 2:1. Nicht zu vergessen: Altona 93 erreichte 1964 immerhin das Halbfinale des DFB-Pokals. Dennoch klarer Vorteil München.

Tradition: Nur der HSV gehört seit der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 ununterbrochen der deutschen Eliteklasse an. Ein Alleinstellungsmerkmal, in dem sich der Verein seit geraumer Zeit sonnt. Die Feierlichkeiten zum 125-jährigen Vereinsbestehen in diesem Jahr setzten Maßstäbe. Der FC St. Pauli machte vor zwei Jahren die 100 rund und kann somit ebenfalls auf eine lange Tradition zurückblicken. Hamburg kann zudem mit weiteren Vereinen punkten, die eine lange Historie aufweisen, vor allem der SC Victoria, der SC Concordia und Altona 93.

München hat mit dem TSV 1860 einen der ältesten deutschen Sportvereine überhaupt in seinem Stadtgebiet, der erstmals sogar schon 1848 aufkam. Nach einem zwischenzeitlichen Verbot gründete sich der Klub im Jahr 1860 neu. Der FC Bayern existiert seit 1900. Im Stadtteil Schwabing wurden als Vereinsfarben damals übrigens Blau und Weiß festgelegt - erst infolge einer Fusion trat der Klub ab 1906 in weißen Hemden und roten Hosen an. Die SpVgg Unterhaching wurde 1925 gegründet. Unentschieden im Stadtvergleich.

Anhängerschaft: Der FC Bayern ist mit rund 185.000 Mitgliedern der größte Verein in Deutschland, der zweitgrößte weltweit (nach Benfica Lissabon). Der HSV hat knapp 72.000 Mitglieder. 1860 kommt auf rund 20.000, St. Pauli auf knapp 18.000 Beitragszahler. Unterhaching freut sich immerhin über das 1000. Mitglied. Auch im sozialen Netzwerk Facebook ist der FC Bayern mit über fünf Millionen Fans der absolute Vorreiter. Der HSV (384.000), St. Pauli (307.000) und 1860 (68.000) haben hier noch Nachholbedarf.

Doch Quantität ist nicht alles. Wenn der FC St. Pauli in einer Kategorie für seine Stadt punkten kann, dann mit seinen Fans. Kreativ, lautstark und auch in schlechten Zeiten immer dabei. Sie waren Vorreiter in der Fanszene, was die Toleranz gegenüber Minderheiten angeht, und brachten das erste relevante "Fanzine" (Magazin von Fans für Fans) heraus. Auch der HSV hat sich in Jahren sportlicher Erfolglosigkeit auf seine Anhänger verlassen können, die nicht nur von den eigenen Spielern viel Lob einheimsten. Die Stadionshow mit Lotto King Karl und den Fans wird sogar von Bayern-Boss Uli Hoeneß bewundert.

Die Fans des FC Bayern gelten hingegen als unterkühlt, die Stimmung ist nur bei überzeugenden Siegen angemessen, und immer wieder gibt es Reibereien mit der Klubführung. München punktet hingegen mit dem erstaunlichen Zuschauerschnitt von über 27 000 bei den 60ern in Liga zwei. Dennoch leichter Vorteil Hamburg.

Aktive Fußballer: In Hamburg gibt es 436 Fußballvereine, in München nur 250. Zur Ehrenrettung der Süddeutschen muss jedoch erwähnt werden, dass Hamburg mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern rund 400.000 Menschen mehr beheimatet als die Isarmetropole. Dennoch ist vor allem im Nachwuchsbereich in Hamburg größeres Potenzial zu finden: Mehr als 2000 Junioren- und Juniorinnenmannschaften gegenüber etwa 950 Teams in München sind auch unter der Berücksichtigung der Einwohnerzahl ein erstaunlicher Wert. Deutlicher Vorteil Hamburg.

Image: Ein Forscherteam der TU Braunschweig untersuchte die Beliebtheit aller Teams. Danach landen die Bayern immerhin auf Rang zwei. Gelungen sei der Claim des Vereins: "Mia san mia." Er stehe für die Aussage, sich von allen anderen zu differenzieren, so die Autoren der Studie. Die Bayern polarisierten zwar, aber die Anzahl der Unterstützer fange die der Kritiker bei Weitem auf.

Der HSV landete trotz der schlechtesten Saison der Vereinsgeschichte immerhin auf Platz acht. Doch der FC St. Pauli schlägt den Stadtrivalen in diesem Ranking mit Platz vier um Längen. Weltoffen, rebellisch und sympathisch sei der Klub. Ganz anders die Münchner Löwen: Sie landen auf Platz 25 und sind damit Schlusslicht der Image-Tabelle. Leichter Vorteil Hamburg.

Fazit: Hamburg hat das Potenzial, die Fußball-Hauptstadt zu werden - doch noch liegt diese in München. Die Triumphe des FC Bayern überstrahlen alles, sodass selbst Überraschungserfolge der Hamburger Teams am Sonnabend nur vorübergehend für eine Verschiebung der Verhältnisse sorgen können. Aber dann dürfen sich die Hamburger zumindest genauso als Fußball-Hauptstädter fühlen wie die Münchner sich als Schönwetter-Metropolisten.