Der Hamburger Piotr Trochowski steht auf dem Sprung in die Startformation des DFB gegen Australien. Sonntag wird es für Deutschland ernst.

Erasmia. Es ist schon eine ganz spezielle Atmosphäre auf dem Gelände des Velmore Grande. Die beiden herrschaftlichen Haupthäuser, die großzügig angelegten Wege und die prächtige Gartenanlage lassen das Anwesen wie eine noble Herberge wirken, die sich versehentlich in die südafrikanische Steppe verirrt hat.

Für die Nationalspieler ist das Hotel in den nächsten Wochen eine Art Luxuskaserne mit viel Auslauf - ohne dabei eine Minute unbeobachtet zu sein. Still ist es in der Einöde, aber überall stehen Sicherheitsleute, die gelegentlich mit ihren Quads (Karts für erwachsene Jungs) herumheizen.

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Gerade haben Piotr Trochowski und seine Kollegen mit dem Bus die Einfahrt passiert, inklusive Polizeieskorte. Frisch geduscht nach der eineinhalbstündigen, morgendlichen Trainingseinheit erscheint der HSV-Profi auf der Terrasse. Unter ständiger Beobachtung zu sein, sei kein Problem, sagt er, schließlich wollten die Gastgeber nur das Beste und würden mehr Personal bereitstellen, als man bräuchte.

Trochowski wirkt entspannt und bestens gelaunt, er scherzt, lacht viel. Er weiß, dass er kurz davor steht, beim ersten WM-Spiel gegen Australien (20.30 Uhr) in der Startaufstellung zu stehen. "Ich war bei allen Testspielen dabei, im Training läuft es auch gut. Bisher sieht es ganz gut aus und ich bin zuversichtlich, auch wenn sich der Trainer erst noch für seine Mannschaft entscheiden muss", sagt der 26-Jährige, der mit seinen 31 Länderspielen weit mehr Erfahrung aufweist als Thomas Müller, sein Konkurrent im rechten Mittelfeld, mit erst zwei Einsätzen im DFB-Trikot.

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Dass es mit seiner Lobby in Fußball-Deutschland nicht zum Besten bestellt ist und viele (vermeintliche) Experten für Müller votierten, hat er registriert, aber es bekümmert ihn nicht: "Ich lebe schon ein wenig länger damit, umstritten zu sein. Ich bleibe da ganz ruhig." Allerdings dürfte Trochowski auch wissen, dass er wie Miroslav Klose auf Bewährung spielt - sollte er nicht auf Anhieb "funktionieren", droht die Verbannung auf die Bank.

Warum Bundestrainer Joachim Löw wohl auf Trochowski setzt, liegt am leicht veränderten System: "Früher war unser Spiel mehr auf Michael Ballack fixiert, er war der Mann in der Nationalmannschaft, das Spiel lief meistens über ihn", erklärt der Hamburger. "Jetzt sind die Aufgaben einfach mehr auf viele junge, technisch starke Spieler verteilt, die gut Fußball spielen können. Dadurch kann man noch besser kombinieren." Für einen technisch versierten Fußballer wie ihn sind das Ein- oder Zwei-Kontakte-Spiel oder die Fünf-Meter-Pässe wie maßgeschneidert und auch alternativlos: "Schauen Sie sich die stärksten Mannschaften in Europa an, die spielen genauso. Daran müssen wir uns orientieren."

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Die Aufgaben der Außenspieler sind im Löwschen 4-2-3-1-System klar definiert. Trochowski erläutert: "Du musst außen breit stehen, damit wir Platz für den Aufbau haben, sich Lücken öffnen. Mit Schweinsteiger, Khedira und wahrscheinlich Özil in der Mitte haben wir drei Mittelfeldspieler, die unser Spiel aufbauen, und mit fünf Mann im Mittelfeld meistens Überzahl. Erst wenn es im letzten Drittel Richtung Tor geht, darfst du als Außenspieler in die Mitte ziehen, schließlich müssen wir darauf achten, dass auch genügend Spieler im 16er sind, um einen Angriff abzuschließen, damit die einzige Spitze nicht alleingelassen wird."

Trochowskis zweiter Vorteil heißt Philipp Lahm. Den neuen DFB-Kapitän kennt er schon seit 1999, als sie in der B-Jugend von Bayern München zusammen spielten. Nach der A-Jugend, den Amateuren und den Junioren-Auswahlteams trennten sich ihre Wege, da Lahm an Stuttgart verliehen wurde, als Trochowski zu den Profis aufstieg. "Es ist kein Geheimnis, dass wir uns gut verstehen, aber ob das wirklich ein Vorteil ist, weiß ich nicht. Philipp ist ein sehr guter Fußballer, der einfach spielt, mit ihm macht es Spaß. Aber mit ihm versteht sich zwangläufig jeder gut."

Mit Lahm verbindet Trochowski aber mehr als die bloße Arbeit auf dem Platz. 2007 flogen sie gemeinsam nach Südafrika, um Hilfsprojekte zu unterstütze, besuchten Townships in Südafrika und in Swasiland und spielten dort mit den Jugendlichen Fußball. Diese wurden von Betreuern über Krankheiten, vor allem Aids, aufgeklärt, und wie sie sich dagegen schützen können. "Das war eine wirklich tolle Erfahrung, ich habe viel über die Menschen und die Kultur gelernt während dieser Reise. Gerade wenn man wie wir Nationalspieler einen anderen Lebensstandard gewohnt ist, tut so ein Trip gut, um mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren und nicht auf der Seite des Ruhms zu leben."

Seine Freundin Melanie hat ihn damals nach Afrika begleitet. Beim Erreichen des Achtelfinales will sie Trochowski besuchen. "Aber mein Ziel wäre es eigentlich, dass sie erst zum Halbfinale kommt." Platz genug wäre jedenfalls im Velmore Grande.