Die 28-jährige Ehegattin von Freezers-Profi Brandon Reid schreibt in Internetportalen professionell über ihr Leben in Deutschland.

Hamburg. Diese Geschichte mit dem Saunabesuch in Davos zum Beispiel. Wie hat sie sich damals erschrocken, als sie die Tür zur Umkleidekabine öffnete und ihr plötzlich nackte Männer gegenüberstanden! "In Nordamerika geht niemand ohne Bikini in die Sauna, und dann sehe ich auf einmal nur Nackte. Das war ein Kulturschock", sagt Jessica Scott-Reid. Oder der kleine Vorfall in Düsseldorf, wo sie beim Ausparken ein Auto rammte, ihre Telefonnummer und einen netten Gruß hinterließ - und lernen musste, dass man in Deutschland am Unfallort warten muss, um sich nicht der Fahrerflucht verdächtig zu machen. "Seitdem bin ich traumatisiert und fahre nur noch Strecken, die ich gut kenne", sagt sie.

Jessica Scott-Reid kann viele solcher Anekdoten erzählen, und wer dann hört, dass sie die Frau des bei den Hamburg Freezers engagierten Eishockeyprofis Brandon Reid ist, der könnte die 28-Jährige für eine dieser Klischee-Spielerfrauen aus Nordamerika halten. Die wie Dummchen durch die ihnen fremde Welt laufen und sich von Wellnesscenter zu Einkaufszentrum hangeln, um ihre Langeweile totzuschlagen. Doch für Klischees ist in Jessica Scott-Reids Leben wenig Platz.

Die Anekdoten, die die im kanadischen Winnipeg aufgewachsene Kulturwissenschaftsstudentin in den zurückliegenden fünfeinhalb Jahren, die sie an der Seite ihres Mannes in Europa verbracht hat, erlebte, kann sie nicht nur erzählen, sondern vor allem aufschreiben. Das tut sie seit eineinhalb Jahren in dem Internet-Blog german-way.com. Dort finden im deutschen Sprachraum lebende Nordamerikaner Erfahrungsberichte von Gleichgesinnten, und die Beobachtungen, die Scott-Reid dort teilt, sind von einem feinen Sinn für ihre Umwelt geprägt. Wer sie als Deutscher liest, erhält einen unverstellten Blick auf Alltagsdinge, die man selber nicht als besonders wahrnimmt.

Für Jessica Scott-Reid war der Schritt nach Europa hart, sie kannte ihren Mann gerade drei Monate. Ihre Mutter ermutigte sie, ihm zu folgen. "Es war die beste Entscheidung meines Lebens", sagt sie heute. Allerdings war die Langeweile anfangs immens, sie hatte ihren Job als Eventmanagerin aufgegeben und saß in einem Land, dessen Kultur und Sprache ihr fremd war. "Aber ich wollte nicht nur rumsitzen, deshalb fing ich an, mich mit der Kultur zu beschäftigen", sagt sie.

Aus dieser Beschäftigung ist längst (bezahlte) Berufung geworden. Für das kanadische Internetportal notable.ca schreibt sie mehrmals pro Woche Produktrezensionen, für das Magazin "Food loves Beer" testet sie Restaurants und entdeckte so ihre Leidenschaft für deutsche Weihnachtsmärkte, wo sie zum ersten Mal Kartoffelpuffer probierte, die seitdem ihr Leibgericht sind. Dazu ist sie in den sozialen Netzwerken Facebook und Twitter aktiv. Ihr vorrangiges Anliegen dort ist es, ihren Mann im Besonderen und die Hamburg Freezers im Allgemeinen zu promoten.

"Gerade jetzt, wo in Nordamerikas Topliga NHL der Arbeitskampf herrscht und sich viele Fans abwenden, finde ich es wichtig, den Leuten zu erzählen, dass es hier in Deutschland eine tolle Alternative gibt", sagt sie. Wann immer die Freezers live im Internet zu sehen sind, weist sie ihre Follower, wie die Leser von Blogs, Facebook oder Twitter genannt werden, darauf hin. Bei allen Heimspielen, auch morgen (19.30 Uhr, O2 World) gegen die Eisbären Berlin, sitzt sie auf der Tribüne, sie ist Eishockeyfan, interessiert sich sehr für den Sport und nicht nur für ihren Mann.

Mit dem Begriff "Spielerfrau" hat sie kein Problem, "ich bin Brandons größter Fan, aber ich will nicht darauf reduziert werden", sagt sie. Seit sie in einer Abschlussarbeit eine Studie über "Schreibtherapie anhand von Gedichten" vorlegte, die in einem wissenschaftlichen Magazin abgedruckt wurde, nutzt ihr Mann diese Form der Stressbewältigung. Mit Gedichten über einen Muskel, der schmerzt, oder mit freiem Schreiben über die Dinge, die ihn belasten, hat der Angreifer gute Erfahrungen gemacht. Seine Frau würde ihre Hilfe gern dem gesamten Team anbieten. "Aber da ist Europa wie Nordamerika: Männer reden nicht gern über psychische Belastungen oder Wege, diese zu bekämpfen", sagt sie.

Jessica Scott-Reid hat sich an ihre neue Heimat mittlerweile so sehr gewöhnt, "dass der Kulturschock, den ich anfangs hatte, jetzt eintritt, wenn ich in Winnipeg bin". Sie schätzt an den Deutschen vor allem die offene Ansprache, "dass ihr Dinge sagt, die ihr wirklich so meint, und nicht, um nett zu sein". Und dann liebt sie noch etwas: "Oktoberfest und deutsche Schlager!" Ganz ohne Klischees geht es dann wohl doch nicht.