Im Qualifying beim Saisonfinale in Abu Dhabi ist der Mercedes-Fahrer Nico Rosberg am Sonnabend 0,386 Sekunden schneller als sein britischer Teamkollege Lewis Hamilton gewesen und startet so von der Pole.

Abu Dhabi. Paukenschlag durch Nico Rosberg im Titel-Thriller: Der 29-Jährige hat seinen Silberpfeil im letzten Qualifying des Jahres auf Startplatz eins gesteuert und geht damit beim Großen Preis von Abu Dhabi am Sonntag um 14 Uhr vor seinem Mercedes-Teamkollegen und WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton ins Rennen.

„Ein großartiger Tag, aber es ist nur ein kleiner Schritt“, sagte Rosberg: „Es geht um den Titel, nicht ums Qualifying. Ich hatte gehofft, dass sich noch ein Williams zwischen uns schiebt, aber das kann ja morgen noch passieren. Lewis hat heute ein bisschen Nerven gezeigt, vielleicht zieht es sich ja durch bis morgen.“

Hamilton war allerdings nicht unglücklich über Rang zwei: „Das Auto war fantastisch. Wie Nico gesagt hat, morgen ist der große Tag.“

Rosberg, der 17 Punkte hinter dem Champion von 2008 liegt, reicht ein Sieg allein nicht zum ersten WM-Titel. Hamilton würde sich schon als Zweiter erneut die Krone der Formel 1 aufsetzen.

Rosberg fuhr auf dem 5,554 km langen Yas Marina Circuit in 1:40,480 Minuten im entscheidenden Moment die beste Zeit des Wochenendes und lag 0,386 Sekunden vor Hamilton. Dritter wurde Williams-Pilot Valtteri Bottas (Finnland/1:41,025).

Weltmeister Sebastian Vettel (Heppenheim) belegte im Red Bull zunächst den sechsten Platz und zeigte sich „überhaupt nicht zufrieden. Wir waren im Training noch ganz gut unterwegs, aber Qualifying ging nicht mehr viel“, sagte der 27-Jährige bei RTL: „Es fuchst einen, wenn es nicht erklärbar ist. Wenn ich das Auto raushaue, weiß ich wenigstens, woran es liegt. Aber so ist es, als würde ich auf einmal ein anderes Auto fahren. So kommt man auf keinen grünen Zweig.“

Im Nachhinein wurde Vettel und sein Red-Bull-Kollege Daniel Ricciardo aber noch nach ganz hinten gesetzt. Beide Fahrer wurden wegen eines Verstoßes gegen die Aerodynamik-Regeln bei ihren Autos nachträglich von der Qualifikation ausgeschlossen. Das entschieden die Rennkommissare am Agabend. Ricciardo hatte zuvor Platz fünf belegt, Vettel war Sechster geworden. Offenbar beanstandeten die Rennrichter die Frontflügel an beiden Red Bulls, weil diese sich irregulär stark verbogen.

Ferrari-Star Fernando Alonso (Spanien) wurde Zehnter. Nico Hülkenberg (Emmerich) belegte in seinem Force India den 14. Rang, Adrian Sutil (Gräfelfing) fuhr im Sauber auf den 15. Platz.

„Lewis hat alles zu verlieren, ich habe alles zu gewinnen“, hatte Rosberg vor dem Qualifying gesagt: „Ich muss ja versuchen, ihn so gut wie möglich nervös zu machen dieses Wochenende. Das ist ja meine Aufgabe.“

Hamilton betonte dagegen, er werde auf keinen Fall „dumme Risiken“ eingehen, weil er es nicht nötig habe. Trotzdem hofft Rosberg, der „etwas Hilfe von Lewis braucht, damit er nicht Zweiter wird“, dass sich der Engländer sich „etwas einfallen lässt“.

„Nico hat nichts mehr und Lewis alles zu verlieren. Da sind Nerven breiter als die Rennbahn gefragt“, sagte der langjährige Mercedes-Teamchef Norbert Haug in der Bild-Zeitung: „Wer glaubt, dass Lewis nur hinter Nico herfahren wird, um dann als Zweiter im Ziel seinen Titel zu feiern, täuscht sich. Lewis will gewinnen, und Nico muss gewinnen.“

Derweil drückt die Prominenz Rosberg die Daumen. Kaiser Franz Beckenbauer, die ehemalige Ski-Königin Maria Höfl-Riesch und Fußball-Weltmeister Lukas Podolski meldeten sich per Video-Botschaft bei Rosberg. „Den Hamilton packst du schon“, war sich „Poldi“ sicher, Beckenbauer forderte zum lautmalerisch richtigen „Wrumm“ im letzten Rennen auf.

Auch Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff hofft auf den Titelgewinn Rosbergs. „Ich habe schon vor einiger Zeit gesagt, dass für Nico noch alles drin ist“, sagte Bierhoff: „Nico, Du hast uns vor der WM besucht, wir sind Weltmeister geworden. Und jetzt bis du an der Reihe. Wir drücken dir ganz fest die Daumen, dass es im letzten Rennen doch noch klappt.“

Die beiden Silberpfeile hatten in den drei Trainings-Sessions die Konkurrenz deutlich dominiert. Nachdem Hamilton am Freitag zweimal vorne gelegen hatte, drehte Rosberg am Samstag den Spieß um.

Rechenspiele zum Saisonende

Nico Rosberg kann im Saisonfinale der Formel 1 quasi auf der Zielgeraden doch noch Weltmeister werden. Sein Mercedes-Teamkollege Lewis Hamilton startet zwar mit 17 Punkten Vorsprung in den letzten WM-Lauf am Sonntag in Abu Dhabi, doch weil in dem Emirat erstmals doppelte Punkte (für einen Sieg 50 statt 25 Zähler) vergeben werden, hat der Wiesbadener Rosberg durchaus Chancen auf den Titel, ist allerdings auf Schützenhilfe angewiesen. Der Plan des Weltverbandes ist also aufgegangen: Bis die Zielflagge am Persischen Golf nicht geschwenkt ist, bleibt das Titelrennen offen. „Es ist vielleicht das größte Wagenrennen seit Ben Hur“, frohlockte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff.

Die Weltmeister-Szenarien:

Nico Rosberg wird Weltmeister, wenn

– er gewinnt und Hamilton höchstens Dritter wird,

– er Zweiter wird und Hamilton höchstens Sechster,

– er Dritter wird und Hamilton höchstens Siebter,

– er Vierter wird und Hamilton höchstens Neunter,

– er Fünfter wird und Hamilton höchstens Zehnter.

Lewis Hamilton wird Weltmeister, wenn

– er in Abu Dhabi gewinnt oder Zweiter wird,

– er vor Rosberg ins Ziel kommt,

– er keine Punkte holt und Rosberg höchstens Sechster wird,

– beide ausfallen oder keine Punkte holen.

Die doppelte Punktvergabe war nach dem vorzeitigen Titelgewinn von Sebastian Vettel im vergangenen Jahr eingeführt worden um die Spannung aufrechtzuerhalten. Würden die Ergebnisse der aktuellen Saison auf die traditionelle, bis 2009 gültige Zählweise übertragen (Sieger zehn Punkte, Zweiter acht), betrüge Rosbergs Rückstand nur noch einen Zähler. Unter den damaligen Bedingungen könnte Rosberg im letzten Rennen sogar noch aus eigener Kraft Weltmeister werden. Spannender geht es nicht.

So zeigt dieses Rechenspiel den Irrtum der Formel-1-Oberen bei der Punktreform vor vier Jahren. (dpa)