Sebastian Vettel geht mit 13 Punkten Vorsprung ins Saisonfinale, doch der Titel ist noch nicht sicher. Das erste Training hier live.

Sao Paulo. Sebastian Vettel ist sich selbst die beste Warnung. 13 Punkte Vorsprung nimmt der Formel-1-Weltmeister mit in den Titel-Showdown in Sao Paulo, doch die Geister von 2010 sind allgegenwärtig. Damals machte „Muskelprotz“ Vettel, der nun Sonderschichten im Kraftraum schob, im letzten Rennen sogar 15 Punkte wett - auf Fernando Alonso, der auch am Sonntag erneut der Rivale ist und somit auf Rache sinnt.

+++ Das erste Training in Sao Paolo hier im Liveticker +++

„Damals waren wir in der Situation, in der Fernando nun ist, und wir haben trotzdem den Titel geholt“, erinnert sich Vettel: „Dennoch: Wenn ich wählen darf, bin ich lieber der Führende vor dem letzten Rennen.“ Trotzdem versprach er, nicht zu taktieren, sondern „Vollgas auf Sieg zu fahren“.

Alonso hat derweil von seinem Team Ferrari ausgerechnet vor dem letzten Rennen offenbar weitreichendes Twitter-Verbot bekommen. Auf die Frage, ob er angesichts seiner neu entflammten Leidenschaft nicht auch mal ein Foto aus dem Cockpit twittern wolle, antwortete der Spanier. „Es gäbe natürlich schon eine Menge interessanter Dinge, die ich den Fans im Verlauf eines Rennwochenendes mitteilen könnte, aber natürlich gibt es auch eine Presseabteilung, die ständig ein Auge auf mich hat.“

Vor allem seine letzte Aktion, als er Vettel vor dem Rennen in Austin/Texas mit einem riesigen Paintball-Gewehr praktisch den Krieg erklärt hatte, war bei der Scuderia nicht gut angekommen. Die ständigen Samurai-Weisheiten, mit denen er Vettel zuvor zu verunsichern versuchte, hatte man noch zähneknirschend akzeptiert. Alonsos neuester Tweet am Donnerstag war jedenfalls auffällig belanglos. Er twitterte ein Foto seiner Flugstrecke in New York nach Brasilien und schrieb dazu „Guten Morgen, Sao Paulo.“

Dass Vettel sich um Verbote nicht kümmert, zeigte er unfreiwillig am Donnerstag. Auf die Frage nach der Kritik von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone („Vettel fehlt noch Charisma“), wollte er zunächst antworten, dass dieser nicht alle seine eigenen Aussagen ernst nehme und Fragesteller manchmal gerne veralbere. Dabei benutzte Vettel die englische Formulierung „to take a piss“, erinnerte sich dann aber das neue Fluchverbot und korrigierte seinen Fehler charmant, indem er sich die Hand vor den Mund hielt.

Die Szene zeigte aber auch, dass Vettel locker und gelöst in das Saisonfinale geht. Jedenfalls hat er sich bestens vorbereitet. Neben dem speziellen Muskeltraining lotete der 25-Jährige auch alle Wetter-Eventualitäten aus. „Ich habe bei Pirelli (Reifenhersteller, d. Red.) nachgefragt, ob alle Container mit Regenreifen angekommen sind. Das ist so, deshalb fühle ich mich sicher“, sagte er schmunzelnd.

Er habe auch extra Einheimische auf das Wetter in Brasilien angesprochen: „Vor zwei Tagen hat es offenbar unerwartet Regen gegeben, vielleicht kommt dafür am Wochenende keiner. Aber Sao Paulo ist wie Spa, da kann mit dem Wetter immer alles passieren.“ Unabhängig davon sei er „zuversichtlich, denn wir sind in einer guten Position, und die Strecke liegt unserem Auto“.

Alonso gab sich ebenfalls vorsichtig optimistisch. „Wir haben es nicht in unserer Hand, aber das heißt, dass wir nichts zu verlieren, aber eine Menge zu gewinnen haben“, sagte der Spanier: „Wir müssen aufs Podium fahren, damit wir mehr als 13 Punkte haben. Und dann müssen wir schauen, wie Sebastian abschneidet. In der Formel 1 kann bis zur letzten Flagge immer alles passieren. Wenn Sebastian den Titel holt, werden wir ihm gratulieren und es nächstes Jahr wieder versuchen.“

Dabei kann sich Alonso in Brasilien wohl nur bedingt auf Felipe Massa verlassen. Der in Sao Paulo geborene Teamkollege, der sich in Austin selbstlos fünf Plätze zurückversetzen ließ, will Alonso in seiner Heimatstadt auf jeden Fall nicht den Sieg überlassen. „Dieses Rennen bedeutet mir sehr viel, deshalb will ich gewinnen“, sagte Massa: „Ich hoffe aber, dass Fernando hinter mir Zweiter wird und das für den WM-Titel reicht.“ Massa hat allerdings seit vier Jahren kein einziges Rennen gewonnen, das bisher letzte 2008 ausgerechnet in Sao Paulo.

Die Faktoren im Check: Von Alonso und Vettel bis zum Zitterwetter

Fahrer: Sebastian Vettel: Er ist der jüngste Doppel-Champion der Grand-Prix-Geschichte. Allein das sagt schon viel über seine Qualitäten aus. Obwohl erst 25 Jahre alt, hat er sich bei Red Bull längst den Status als Nr. 1 erarbeitet. Vettel treibt das Team permanent an, ist ein großer Motivator. Über seine fahrerische Klasse gibt es keine Zweifel. Manchmal reitet ihn aber der Teufel. Statt ruhig und taktisch clever einen Platz nach Hause zu fahren, attackiert er wild und riskiert damit Punktverluste. Fernando Alonso: Viele halten den Spanier für den besten Piloten. Der zweifache Weltmeister hat sich in dieser Saison keinen einzigen Fehler erlaubt. Alonso ist der absolute Teamleader bei Ferrari. Er treibt die Roten unermüdlich an. Er ist ein glänzender Stratege und Taktiker. Erfordert es die Situation, sammelt er lieber die sicheren Punkte, als ein unnötiges Risiko einzugehen. Dabei kommt dem 31-Jährigen seine große Erfahrung zugute: Alonso ist doppelt so lang wie Vettel in der Königsklasse unterwegs und hat fast doppelt so viele Rennen bestritten.

Team: Red Bull: Technik-Genie Adrian Newey ist seit vielen Jahren ein Sieggarant in der Formel 1 und unumstrittener Design-Star. Dank seiner genialen Ideen sind die „Roten Bullen“ der Konkurrenz überlegen. Zur Saisonmitte, als Vettel den Anschluss an Alonso verloren hatte, zauberte Newey wieder ein paar technische Feinheiten aus dem Hut, und plötzlich drehte sich das Kräfteverhältnis. Ferrari: Bei den Roten ragt kein Einzelner heraus, es gibt – hinter Nummer-1-Fahrer Alonso – keine One-Man-Show. Das Team des ältesten aktiven Rennstalls ist über die Jahre kontinuierlich gewachsen. Allerdings gab es in den letzten Jahren mangels Erfolgen gerade an der Spitze häufiger personelle Wechsel.

Teamkollege: Mark Webber: Der Australier ist kein Freund Vettels und macht daraus auch kein Hehl. Die beiden lieferten sich in der Vergangenheit atemberaubende, teilweise auch dumme Duelle bis aufs Messer. Selbst wenn dabei einer oder beide auf der Strecke blieben. Webber akzeptiert seinen faktischen Nummer-2-Status nicht und hilft Vettel nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Felipe Massa: Der Brasilianer ist ein widerstandsloser Wasserträger. Als er zuletzt in Austin auf Anordnung von oben das Getriebe wechseln lassen musste und so seine gute Startposition verlor, damit Alonso einen Vorteil bekam, akzeptierte er das klaglos. Bei Webber undenkbar. Trostpflaster für den idealen Adjutanten Massa: Er darf auch 2013 für Ferrari fahren.

Rennwagen: RB8: Der Red Bull ist das beste Auto. Weil Newey bei seinen Konstruktionen bis ans Limit geht, ist die schnellste Dose der Welt aber auch anfällig. Vor allem die drei Ausfälle wegen einer defekten Lichtmaschine – Vettel war davon in Valencia und Monza betroffen - müssen Vettel & Co. Anlass zur Besorgnis geben. Probleme gab es in dieser Saison auch schon mit den Bremsen und dem Kühlwasser sowie vor allem mit dem Hybridsystem KERS. F2012: Der rote Renner ist in punkto Zuverlässigkeit einsame Spitze. Noch kein Defekt in bislang 19 Grand Prix. Alonso fiel nur deshalb zweimal aus, weil er unschuldiges Opfer von Unfällen wurde. Bei den Tests war der Ferrari noch um Welten langsamer als die Konkurrenz. Diesen Riesennachteil konnten die Techniker beheben.

WM-Stand: Hier spricht alles für Vettel: Der Spitzenreiter (273 Punkte) hat 13 Zähler Vorsprung vor Alonso (260). Selbst wenn der Verfolger gewinnen sollte, reicht Vettel ein Platz vier zum WM-Hattrick. Wird Alonso Zweiter, genügt dem Heppenheimer Rang sieben. Fährt der Spanier auf Platz drei, muss Vettel nur Neunter werden. Gewinnt der Titelverteidiger oder landet vor Alonso, ist eh alles zu seinen Gunsten entschieden. Ebenso, wenn Alonso maximal Vierter wird.

Strecke: Das Autodromo José Carlos Pace hat sich in den letzten drei Jahren als perfekte Red-Bull-Piste entpuppt: Webber gewann in dem Zeitraum zweimal auf dem 4,309 Kilometer langen Berg-und-Tal-Kurs; Vettel schaffte 2010 mit seinem Sieg die Grundlage für seinen ersten WM-Triumph im abschließenden Rennen in Abu Dhabi. Alonso gewann in bislang zehn Anläufen noch nie in Sao Paulo, sicherte sich dort allerdings 2005 vorzeitig seinen ersten WM-Titel.

Wetter: Für den Rennsonntag ist Regen angesagt. Der Ferrari funktionierte bislang unter nassen Bedingungen am besten: Alonso gewann in Malaysia und holte in Silverstone und Hockenheim jeweils die Pole-Position. Vettel hat seine Qualitäten im Regen ebenfalls eindrucksvoll bewiesen: Im B-Bullen Toro Rosso preschte der Jungspund 2008 in Monza erst auf die Pole und feierte einen Tag später auf ebenfalls nasser Strecke seinen ersten Formel-1-Sieg.