Hamburg. Jede Woche Ärger, jede Woche andere Auslegungen – Einheitlichkeit suchen Fußballfans bei Entscheidungen in den Bundesligen vergebens.

Herzlich willkommen zum aktuellen Schiedsrichter-Bashing, zur Schmähung der unfähigen Unparteiischen und ihrer blinden Zuarbeiter im Kölner Keller. Zur großen Abrechnung mit dem nicht erfüllten Versprechen von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und gerechterem Fußball.

Nein, keine Sorge, das passiert hier natürlich nicht, und obiger Einstieg ist eine Polemik. Aber: Enttäuscht sein wird man ja wohl dürfen, wieder einmal nach aktuellen Entscheidungen gegen den FC St. Pauli und den HSV. Und leider immer wieder. Oder, wie der Fan auf der Tribüne singt: „Ihr macht unser Spiel kaputt!“

VAR: In der sechsten Saison in der Bundesliga

Seit der Saison 2017/18 werden die Schiedsrichter nun schon in der Fußball-Bundesliga bei ihrer Entscheidungsfindung von Kollegen am Videoschirm in Köln unterstützt. Zwei Jahre später kam die Zweite Liga auch in den Genuss des Video Assistant Referee (VAR).

Der trägt vor dem Bildschirm in dem fensterlosen Raum in Deutz tatsächlich genau die gleiche Schiedsrichter-Uniform wie der aktive Spielleiter, seine beiden Assistenten und der Vierte Offizielle im Stadion – grün, gelb, rot oder schwarz, man stimmt sich ab. Das soll den Ernst der Sache betonen und den Teamgedanken fördern. Der VAR gehört dazu, dass ihr es nur seht und fühlt.

Schiedsrichter machen Fehler, der VAR auch

Aber auch in der nunmehr also sechsten, beziehungsweise vierten Saison lässt sich eine verlässliche und nachvollziehbare, klare Linie schwer erkennen. Wer pfeift was warum, wann greift Köln ein, wann nicht und warum nicht?

Wo in Karlsruhe ein klares Schubsen von hinten nicht zum Elfmeterpfiff reichte, genügte in Magdeburg ein leichtes Touchieren am Oberarm für Strafstoß und Rot. Wo in Karlsruhe das „Stempeln“ des Gegners im Strafstoß straffrei blieb, weil es ein „Unfall“ war, gab es in Magdeburg für einen Sturz in den Rücken eines Gegners erneut Elfmeter, da galt die Unschuldsvermutung „Unfall“ nicht mehr. Es ist müßig, eine Liste all der ungleichen Wahrnehmungen und Auslegungen aufzuführen, es bleibt die Erkenntnis: Es handeln Menschen, und die machen Fehler. Auch und gerade als Schiedsrichter.

Nur Abseits entscheidet der VAR allein

Leider tun sie sich so schwer, das einzugestehen. Um der Menge kritischer Nachfragen zu begegnen und für Transparenz zu sorgen, hat die DFB Schiri GmbH im Juni 2023 die Stelle des „Leiters Kommunikation und Medienarbeit“ neu geschaffen. Der Mann hat den schwersten Job, aber seine Kreativität im Begründen strittiger Entscheidungen ist schon zu bewundern.

Unter dem Strich, darauf weisen die deutschen Schiedsrichter immer wieder hin, hat der Videobeweis die schweren Fehler tatsächlich reduziert. Das ist eine gute Sache, auch wenn man über das Millimeterpapier-Abseits geteilter Meinung sein kann und sich fragt, ob die Suche mithilfe einer kalibrierten Linie nach einer mit dem menschlichen Auge nicht erkennbar im Abseits befindlichen Zehenspitze oder Schulterecke wirklich der Spielidee entspricht. Aber da gibt es wenigstens einen objektiv wahrnehmbaren Sachverhalt.

Fans und Spieler fühlen sich oft ausgeliefert

Bei vielen anderen Eingriffen bleibt dagegen bei hunderttausenden Fußballfans, vielen Spielern, Trainern und Funktionären oft das Gefühl, den Lüsten und Launen im Kölner Keller ausgeliefert zu sein. Dass man abhängig davon ist, wie der jeweilige VAR aufgestanden ist an diesem Tag und was für ein Typ er ist.

Der Eindruck, bei allem Respekt, aus der Ferne ist zu oft auch der, dass dort Menschen vor den Monitoren sitzen, die Befriedigung daraus ziehen, selbst detektivisch tatsächliche oder vermeintliche Fehler aufzuspüren. Anstatt – wie es eigentlich ihre Jobbeschreibung ist – den Schiedsrichter vor Ort nur auf „klare und offensichtliche Fehlentscheidungen“ hinzuweisen.

Der VAR ist kein Oberschiedsrichter

Es ist also eben nicht einzuschreiten, wenn eine „Berührung“ vorliegt und es eine Fifty-fifty-Sache ist. Und dennoch passiert eben dies praktisch an jedem Wochenende. Und manchmal passiert eben genau nichts in Fällen, wo der Schiri doch noch mal hätte nachschauen sollen. Man versteht es alles nicht.

Wenn der Videoassistent in Köln latent glaubt, er sei ein Oberschiedsrichter, der den Kollegen auf dem Platz beaufsichtigt und nicht nur unterstützt, dann ist das falsch. Und wenn der Entscheider im Stadion, der außer bei Abseits immer das letzte Wort hat, viel zu selten den Mumm aufbringt, bei seiner ursprünglichen Wahrnehmung zu bleiben, dann ist das auch Mist.

Akzeptanz des Videoassistenten immer noch gering

Ob durch die VAR-Unterstützung – oder Überwachung, ganz, wie man will – das Niveau der deutschen Schiris gesunken ist, kann man nur spekulieren. Fakt dagegen ist: Die Einsätze deutscher Schiedsrichter bei großen internationalen Spielen sind seltener geworden.

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Die Akzeptanz des Videoassistenten und schließlich auch der Schiedsrichter ist in der sechsten Saison nicht größer geworden. Vielleicht würde dafür helfen, wenn in den Stadien nach dem VAR-Eingriff die strittige Szene auf der Videowand gezeigt wird. Damit die Fans auch sehen, worum es geht. Denn leider wird ein technisches Hilfsmittel, das den Fußball tatsächlich gerechter macht, durch die derzeitige Anwendung leider immer noch diskreditiert. Auch das ist enttäuschend.