Wladimir Klitschko über fehlende Konkurrenz im Schwergewicht, die letzte Beichte seines toten Vaters und Gegner Jean-Marc Mormeck.

Going. Tirol erlebt den trockensten Herbst seit 1976, selbst auf den Gipfeln des Wilden Kaisers ist kein Schnee zu sehen. Wladimir Klitschko, 35, lässt das Wetter jedoch kalt. Der ukrainische Schwergewichtsweltmeister ist nicht zum Skifahren gekommen, sondern bereitet sich wie üblich im Fünf-Sterne-Hotel Stanglwirt auf sein nächstes Ziel vor: die Verteidigung seiner WBA-, WBO- und IBF-Titel am 10. Dezember in Düsseldorf gegen den Franzosen Jean-Marc Mormeck, 39.

Hamburger Abendblatt: Herr Klitschko, nach Ihrem Sieg über David Haye im Juli sagten Sie, ein Cruisergewichtler könne niemals ein gewachsenes Schwergewicht wie Sie besiegen. Nun versucht es mit Mormeck der nächste Ex-Cruiser-Weltmeister. Wie können Sie diesen Kampf als Herausforderung sehen?

Wladimir Klitschko: Es ist meine Überzeugung, dass ehemalige Cruisergewichtler mich nicht besiegen können, aber das heißt nicht, dass das auch so ist. Solange es immer wieder welche gibt, die es versuchen wollen, werde ich diese Herausforderung gern annehmen. Außerdem ist es schwieriger, gegen kleinere Boxer zu kämpfen, als gegen welche, die meine Größe haben. Sie sind schneller und deshalb schwieriger zu treffen.

Mormeck hat gegen Haye, den Sie klar beherrscht haben, durch K. o. verloren.

Klitschko: Mormeck wird genau daraus seine Motivation ziehen. Er kann gegen mich beweisen, dass er besser ist als Haye, indem er mich besiegt. Für ihn ist es die Chance seines Lebens, er könnte Frankreichs erster Schwergewichtsweltmeister werden. Er ist überzeugt von sich, und er ist in Topform. Ich denke, dass alle Experten ihn maßlos unterschätzen.

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Müssen Sie Mormeck starkreden, um den Kampf zu vermarkten, oder um sich selbst besser motivieren zu können?

Klitschko: Weder noch. Ich sage das aus Überzeugung. Ich bin motiviert genug, vielleicht noch motivierter als gegen Haye, weil ich weiß, dass ich viel zu verlieren habe.

Ist es schwierig, die Konzentration zu wahren, wenn alle davon reden, dass Mormeck ein einfacher Gegner ist?

Klitschko: So etwas muss man ausblenden. Wenn man Leistungssportler sein will, muss man sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Es darf keine Rolle spielen, was andere sagen.

Haye hat Sie im Vorfeld des Duells auf übelste Weise provoziert. Mormeck dagegen ist freundlich und ruhig. Fehlt Ihnen dieses Stück Extramotivation, das Provokationen des Gegners verursachen können?

Klitschko: Überhaupt nicht. Jeder Gegner ist anders, aber als ich gehört habe, wie ruhig und überzeugt Mormeck gesagt hat, dass er Weltmeister werden wird, war ich beunruhigter als nach den ganzen Sprüchen von Haye. Ich weiß, dass Mormeck gefährlich ist, und ich werde nie wieder den Fehler machen, einen Gegner zu unterschätzen. Deshalb brauche ich keine Extramotivation, ich bin motiviert genug. Es wäre doch fatal, wenn ich mich nach einem großen Kampf wie dem gegen Haye zurücklehnen und glauben würde, dass gegen Mormeck alles von selbst funktioniert. Wenn ich solche Gedanken habe, läuten sofort die Alarmglocken.

Mormeck ist in Deutschland völlig unbekannt, selbst in Frankreich ist das Interesse eher gering. Trotzdem kämpfen Sie wieder in einem Stadion. Was ist das für ein Gefühl zu wissen, dass der Gegner egal ist, weil die Leute eh nur kommen, um Klitschko zu sehen?

Klitschko: Ich bin unseren Fans in Deutschland sehr dankbar, dass sie meinen Bruder Vitali und mich so großartig unterstützen. Ich glaube, dass der Grund für die Unterstützung darin liegt, dass wir als Gesamtpaket ein Event bieten, das niemand verpassen will. Deshalb spielt es keine so große Rolle, gegen wen wir antreten.

Mit Marco Huck vom Berliner Sauerland-Team hat schon der nächste Cruisergewichtler Ambitionen auf einen Kampf gegen Sie angemeldet. Gibt es keine echten Schwergewichtler mehr?

Klitschko: Doch, es kommt eine neue, interessante Generation nach, deshalb habe ich auch keine Sorge, dass mir die Gegner ausgehen. Jeder, der sich traut, gegen mich anzutreten, darf sich gern ins Gespräch bringen.

Beim Hamburger Universum-Stall sollen die Kämpfer Ihren Namen nicht nennen, weil Ihnen sowieso niemand das Wasser reichen könne. Wie denken Sie darüber?

Klitschko: Das höre ich zum ersten Mal, und ich finde es schade. Die Jungs sollen sich ruhig trauen.

Der Kampf gegen Mormeck ist für Sie der erste seit dem Tod Ihres Vaters. Was ändert sich dadurch für Sie?

Klitschko: Nichts. Auch wenn mein Vater körperlich nicht mehr da ist, ist er immer bei mir. Ich war mir allerdings gar nicht bewusst, was für ein großer Fan er war, bis ich auf der Beerdigung hörte, was er dem Priester bei seiner letzten Beichte gesagt hat. Er sagte, er sei rundum glücklich, weil mein Bruder und ich endlich alle WM-Titel in die Familie geholt hatten. Das hat mich sehr beeindruckt.

Ihr Bruder ist 40 und wird nicht mehr allzu lange kämpfen. Denken Sie manchmal darüber nach, wie es wäre, alle vier Titel allein zu besitzen?

Klitschko: Diesen Gedanken habe ich in meinem Hinterkopf abgespeichert, und natürlich wäre das ein schönes Ziel. Aber Vitali soll boxen, solange er Spaß hat. Ich bleibe da ganz entspannt. Was kommt, das kommt.