St. Moritz. In seinem allerletzten Profi-Rennen trotzt der 32-Jährige den Rückenproblemen und holt per Stangentanz die erste deutsche Medaille.

Dieser Schnee. Diese Sonne. Diese Berge, Festsaal der Alpen genannt. Felix Neureuther reißt in der Bilderbuchlandschaft von St. Moritz die Arme hoch. Kurz darauf fließen sogar Tränen. Jubel! Bronze! Plötzlich ist alles perfekt. „Es ist so emotional“, sagt Neureuther schluchzend und mit roter Nase. Eine große Erleichterung, die das ganze deutsche Team ansteckt.

Zwölf lange WM-Tage müssen die Deutschen auf ihre erste und einzige Medaille warten. Im letzten Rennen erst kommt die Erlösung mit einem Stangentanz von Felix Neureuther, der alle Rückenprobleme, die er vorher hatte, vergessen macht. Bis zu diesem Tag sind gute Ansätze im Team sicherlich zu finden, aber man muss sie lange suchen. Im Slalom am Abschlusstag schlägt sich Marcel Hirscher wieder einmal am besten durch den Stangenwald, gefolgt von seinem österreichischen Landsmann Manuel Feller.

Für Neureuther schließt sich ein Kreis

Vom nahezu perfekten Stil verstehen sie etwas in der Schweiz. Ob das nun für das Design ihrer Uhren, für die Form ihrer Berge oder für ein Skifest gilt. Rund 150.000 Zuschauer sind an den zwölf WM-Tagen an die Corviglia, den St. Moritzer Hausberg, gereist und offensichtlich in friedlicher Mission gekommen: Von Scharmützeln zwischen der pelzbemantelten Stammkundschaft in der Hauptstadt des Schickimickis und dem funktionsbekleideten Sportfan wird nichts bekannt. Ihre Wege kreuzen sich nicht oft. Vielleicht stiftet auch der Himmel Frieden. Das Engadin hat zum Finale am Sonntag noch einmal ein Blau angerührt, das man ausschneiden und mitnehmen möchte.

Medaillen rieseln allerdings bis dahin nicht zuhauf von oben herab. Jedenfalls nicht auf die deutschen Fahrer. Erst auf den letzten Drücker poliert Routinier Neureuther die Bilanz mit seinem dritten Platz im Slalom ein wenig auf. „Hier schließt sich für mich ein Kreis“, sagt der 32-Jährige. Vor 14 Jahren hat er an gleicher Stelle seinen ersten WM-Auftritt — und am Sonntag wohl seinen letzten. Pechvogel des Vormittags: Stefan Luitz. Er verliert während des ersten Durchgangs früh seinen linken Schienbeinschoner und muss mehr als die Hälfte des Rennens mit blankem Bein herunterbringen. Er ärgert sich. Über die blauen Flecken und das Ergebnis, denn er ist raus.

Neureuther startet sagenhafte Aufholjagd

Von drei Medaillen ist vor der Reise in die Schweiz die Rede, der Verband rechnet damit, dass eine bei den Frauen, eine bei den Männern und eine im Teamwettbewerb herausspringen könnte. Mit zunehmender WM-Zeit scheint ein weiterer verbaler Angriff auf die Plätze eins bis drei aber so weit zu entrücken, wie die Ausrichtung einer Ski-Weltmeisterschaft auf dem Mond. „Ich denke nicht an die Medaille“, sagt selbst Felix Neureuther nach dem ersten Durchgang im Slalom noch, obwohl er als Zehnter bloß den Wimpernschlag von 0,28 Sekunden Rückstand auf Platz drei entfernt liegt. Wenig später startet er seine sagenhafte Aufholjagd.

Es gibt einige helle Momente zwischen Celerina, wo die Deutschen wohnen, und dem vier Kilometer entfernten St. Moritz, wo die Rennen ausgetragen werden. So sieht es auch DSV-Alpinchef Wolfgang Maier: „Es ist nicht alles negativ, was wir hier abgeleistet haben. Kritik muss man vernünftig ansetzen.“

Sander ist der deutsche Lichtblick

Zu den Lichtblicken aus deutscher Sicht gehört neben Felix Neureuther auch Andreas Sander. Der 27-Jährige aus Ennepetal kommt im Super-G auf Rang sieben und in der Abfahrt auf Platz acht — er ist so stark wie kein anderer deutscher Speed-Spezialist in den vergangenen zwölf Jahren. Oder Thomas Dreßen. Der 23-Jährige überrascht mit Platz zwölf in der Abfahrt und 14 in der Kombination — das lässt für die Zukunft hoffen. Und bei den Frauen? Ist Viktoria Rebensburg mit ihrem vierten Platz im Super-G gleich zur Eröffnung der Ski-WM so nah am Treppchen wie keine anderer DSV-Athletin in der Zeitrechnung nach Maria Höfl-Riesch. Für den meisten Gesprächsstoff sorgt unterdessen Christina Geiger. Allerdings nur wegen ihrer Playboy-Fotos. Zu einem Podestplatz führt das alles nicht.

Der Stammkundschaft von St. Moritz sind solche Themen fremd. Sie zieht dem letzten Ski-Rennen am Sonntag einen Besuch des White Turfs, des traditionellen Pferderennens auf Schnee unten am See, vor. Neureuther? Kennt sie nicht. Ab Montag ist sie wieder unter sich.