Duisburg. In der Bundesliga stellte er Rekorde auf, die erst Robert Lewandowski knacken konnte. Jetzt ist Michael Tönnies überraschend gestorben.
Michael Tönnies war einfach Michael Tönnies. Als er die Bundesliga mit fünf Toren in 57 Minuten erschüttert hatte, legte er sich am 27. August 1991 eine wärmende Decke um die verschwitzten Schultern - vom höchst aufgeregten TV-Reporter war er zu keiner emotionalen Regung zu bewegen.
"Nee, nee", fünf Tore, daran könne er sich nicht erinnern. Wohl einfach mal Glück gehabt, sagte er am Spielfeldrand unter seinem struppig-blonden Schnäuzer hervor, "en masse eben", naja: "Ich bin zufrieden."
Trocken wie ein Stück Kohle. Genauso feierte er auch, dass er einem vor Wut schäumenden Oliver Kahn, damals 22, die Bälle rechts und um links um die Ohren gezwirbelt hatte. Dreimal vor der blauen Wodka-Gorbatschow-Werbebande in nur fünf Minuten. Einmal per Fallrückzieher. "Ich bin in meine Stammkneipe gegangen, es war Dienstag, um ein Uhr hat der Wirt dicht gemacht. Zu Hause habe ich noch die US Open geguckt", erzählte er 2015. Ende.
Neururer nannte ihn Kultspieler
Der am Donnerstag mit nur 57 Jahren verstorbene Bundesliga-Stürmer des MSV Duisburg kam aus dem Ruhrpott, aus Essen, und man kann sagen: Irgendwie war er auch der Ruhrpott. "Er ist einer der großen Kultspieler des Ruhrgebiets", sagte der nicht weniger pott-kultige Trainer Peter Neururer. Tönnies selbst nannte sich "stinknormal".
Dabei war er ein Mann mit einer erst geradlinigen, dann erstaunlichen und schließlich tragischen Geschichte. Viele Jahre nach seinem größten Tag, jenem 6:2 gegen den Karlsruher SC und dessen damaligen Torhüter Oliver Kahn im Sommer 1991, erhielt er 2005 eine Nachricht, die sich für ihn wie ein Todesurteil anhörte: Lungenemphysem.
"Ich habe meinen Lebenswillen verloren", hat er darüber erzählt, "ich bin nur noch dahinvegetiert." Tönnies, der mit 13 zu rauchen begann, um einem Mädchen zu imponieren, vergeblich übrigens, sollte sich 33 Jahre später plötzlich "nie wieder eine anstecken".
Aber es ging nicht: "Nach 80 bis 100 Zigaretten pro Tag konnte ich nicht sofort aufhören." Er rauchte, er zockte. Er trank. Schon als Spieler: "Beim Saufen und Laufen", sagte einmal er über seine Karriere, "war ich immer der Letzte".
Tönnies schrieb ein Buch
Er schaffte es dann doch, den Teer zu besiegen. Zwangsweise. "Meine Lunge ist überbläht, das Gewebe verklebt, ich kann Luft nicht mehr ausatmen", sein Leben war keines mehr, so beschrieb er die ständige verfluchte Atemnot. Es wurde klar: "Mir kann nur eine Transplantation helfen."
Auch über diesen Kampf ist im 2015 erschienenen Buch mit dem schmerzhaft passenden Namen "Auf der Kippe" zu lesen. Es gab Tage, an denen er sich dafür hasste, dass er hoffte: "Ich habe gedacht: Vielleicht stirbt ja heute jemand, der als Spender passt."
Schreckte er nachts wegen einer Sirene hoch, erwischte er sich dabei, wie er jemandem den Tod wünschte, um leben zu dürfen. Diesem Elend wollte er mehrfach ein Ende machen: "Hätte ich die richtigen Tabletten gehabt, hätte ich sie genommen."
Die Wende und eine neue Freundin
Doch am 6. April 2013 nahm sein Leben eine erneute Wendung. Tönnies bekam eine Spenderlunge, er fand eine neue Freundin. Astrid zog zu ihm. Es ging ihm gut. Beim MSV war er stolzer Co-Stadionsprecher und las vor den Spielen die Zebra-Aufstellung vor. Er lebte: "Es ist ein Segen."
Selbstverständlich hat er jedem bereitwillig von jenem Tag erzählt, an dem im zugig-kalten Wedaustadion sogar die Anzeigetafel nicht mehr ausreichte. "Übertrag", stand auf der zweiten Seite ganz ordentlich über seinem fünften Tor. Die 15.000 Zuschauer lachten.
sid