Hamburg. Die Hamburgerin Carina Witthöft über Kerbers Triumphe, die Loslösung von ihrer Mutter und ihr Ziel, sich mental weiterzuentwickeln.

Der Erholungsurlaub nach der Saison 2016 ist längst vorbei, die Vorbereitung auf 2017 hat für Carina Witthöft am von ihren Eltern Gaby und Kai betriebenen Tenniscenter in Jenfeld begonnen. In der kommenden Woche schlägt die 21-Jährige als topgesetzte Spielerin bei den deutschen Hallenmeisterschaften in Biberach an der Riß auf, und am 26. Dezember geht es nach Australien, wo Anfang Januar die neue Spielzeit startet. Früher ist die Weltranglisten-86. noch nie ans andere Ende der Welt geflogen; ein Zeichen dafür, wie ernst sie ihren Beruf nimmt. Verzichten muss sie dennoch auf nichts. „Meine Mutter zieht das Festessen vom Zweiten Weihnachtstag extra für mich auf den 23. Dezember vor“, sagt sie.

Frau Witthöft, Bundestrainerin Barbara Rittner hatte Ihnen für 2016 ein sehr schwieriges Jahr vorausgesagt. Hatte sie recht?

Carina Witthöft: In Teilen schon. Gerade in der ersten Jahreshälfte war es hart für mich, weil es von außen so dargestellt wurde, als ob ich in der Krise wäre. Ich selbst hatte mich zwar gar nicht so gefühlt, aber die vielen Medienberichte haben mich schon runtergezogen. Dazu kam, dass ich einige Matches knapp verloren habe, obwohl ich gut gespielt hatte. Darunter hat zusätzlich das Selbstvertrauen gelitten, und so bin ich eine Negativspirale geraten.

Was war der Ausweg daraus?

Wimbledon. Als ich dort die dritte Runde erreicht habe, war das wie eine Befreiung, eine Bestätigung für mein Können. Von da an konnte ich besser mit der Situation umgehen, und mein Jahreshighlight war dann der Drittrundeneinzug bei den US Open. Da wusste ich, dass ich mithalten kann mit den Großen. Ich habe verstanden, dass man sich lösen muss von dem, was die Leute von außen sagen. Und ich habe mir fest vorgenommen, mich in der kommenden Saison nicht mehr von äußerlichen Einflüssen ablenken zu lassen.

Sie sind nun schon so lange auf der WTA-Tour unterwegs, dass der Talentebonus wegfällt. Ist es genau dieser Erwartungsdruck, der es Ihnen schwerer macht, befreit aufzuspielen?

Zu Beginn der Saison war das zweifellos so, weil ich spürte, dass ich anders wahrgenommen wurde. Aber in der zweiten Jahreshälfte habe ich darüber gar nicht mehr nachgedacht. Fakt ist aber, dass das Damentennis in Deutschland aufgrund der Erfolge von Angie Kerber mehr im Fokus steht. Das ist einerseits gut für uns alle, aber erzeugt natürlich auch Erfolgsdruck. Damit umzugehen musste ich lernen.

Was haben Kerbers unglaubliche Triumphe in diesem Jahr mit Ihnen persönlich gemacht? Ist das Motivation, Druck, oder kommt sogar Neid auf?

Neid überhaupt nicht. Ich fand es wahnsinnig cool, das alles aus der Nähe mitzuerleben, denn näher als wir deutsche Spielerinnen ist ja kaum einer dran an ihr. Ich habe alle Finals geschaut und richtig mitgefiebert. Für mich sind ihre Erfolge eine tolle Motivation, weil man sieht, dass man sich auch im Lauf seiner Karriere noch enorm verbessern kann. Dennoch weiß ich, dass Angies Weg einzigartig war und ich meinen eigenen Weg gehen muss.

Ihr Weg wurde in der Vergangenheit oft kritisiert, weil Sie sich zu eng an Ihre Eltern gebunden hatten und viele Ihnen rieten, sich abzulösen. Nun haben Sie mit Jacek Szygowski einen neuen Coach, Ihre Mutter betreut Sie nicht mehr. Ihr Freund Phillip Lang ist als Sparringspartner mit dabei. Was hat diese Änderung gebracht?

Ich will voranstellen, dass ich mich von meiner Mutter niemals eingeengt gefühlt habe, wie manche das vielleicht wahrgenommen haben. Es war so, dass sie nicht mehr so viel reisen wollte, weil sie ungern fliegt. Deshalb ist die neue Konstellation eine Lösung, mit der alle zufrieden sind. Meine Mutter bleibt mir als Ratgeberin natürlich erhalten, aber ich habe von Jacek auch neue Impulse bekommen, die mir nutzen.

Sie spielen mittlerweile auf einem Level, auf dem die Schritte zur Verbesserung immer kleiner und deshalb mühsamer werden. Was ist für 2017 Ihr wichtigstes Vorhaben? Bundestrainerin Rittner sagt, dass in Ihnen noch viel mehr steckt, als Sie bislang abgerufen haben.

Ich denke, dass sie auch da recht hat. Ich weiß, dass ich noch besser und erfolgreicher spielen kann. Der Schritt, den ich schaffen will, ist der zu mehr Konstanz in meinem Spiel. Meine besten Matches habe ich gespielt, wenn ich durchgehend aggressiv und mutig agiert habe. Leider bin ich in manchen Matches immer noch zu zögerlich und vorsichtig, ergreife die Chancen nicht. Deshalb habe ich enge Duelle mit Topspielerinnen wie Dominika Cibulkova und Swetlana Kusnetsowa knapp im dritten Satz verloren. Aber aus solchen Niederlagen lernt man auch am meisten, sie haben mich extrem weitergebracht. Deshalb weiß ich nun, woran ich arbeiten muss.

Aggressivität und Mut sind schwieriger zu trainieren als Vorhand oder Aufschlag, weil sie im Kopf funktionieren müssen und nicht im Schlagarm. Wie üben Sie das?

Tatsächlich ist das mentale Training viel anstrengender, weil es ein hohes Maß an Konsequenz und Selbstdisziplin erfordert. Man muss sich immer wieder dazu zwingen, dieses Gebiet nicht zu vernachlässigen. Ich arbeite mental intensiv mit meiner Mutter, die mir sehr hilft. Und ich glaube auch, dass das Vertrauen in die eigene Stärke mit der Anzahl der Erfolge wächst.

Viele Profis setzen sich vor Saisonstart ein Ziel in Form eines Weltranglistenplatzes, den sie erreichen wollen. Sie tun das nicht. Warum nicht?

Natürlich habe auch ich eine Vorstellung davon, wohin ich mich 2017 verbessern will. Aber ich werde das nicht öffentlich kommunizieren, denn ich sehe den Sinn nicht darin, sich an einer Platzierung festzuhalten, die man am Ende vielleicht nur deshalb nicht erreicht, weil man mal zwei Wochen krank oder verletzt war. Für mich ist viel wichtiger, eine Verbesserung meines Spiels zu realisieren. Und die ist nicht abhängig von einer Weltranglistenposition. Deshalb liegt mein Hauptfokus nicht auf einer Zahl wie Top 50, sondern darauf, die Konstanz in meinen Leistungen deutlich zu erhöhen. Alles andere kommt dann von allein.

Rund um den Übergang auf die WTA-Tour und nach Ihrem Abitur hatten Sie Zweifel, ob es richtig wäre, voll auf die Karte Profitennis zu setzen. Sind diese Zweifel mittlerweile verflogen und Sie voll angekommen?

Insgesamt habe ich ohne Zweifel die richtige Entscheidung getroffen. Mir macht das Leben als Tennisprofi Spaß, und solange man unter den Top 100 steht, ist die Basis für den Erfolg als Grundlage gegeben. Dennoch denke ich manchmal noch immer darüber nach, wie lange ich den Job machen werde und was danach kommen kann. Ich glaube aber, dass ich es heute bereuen würde, wenn ich ein Studium vorgezogen hätte, weil ich mich immer fragen müsste, wohin ich es als Profi geschafft hätte. Momentan kann ich sagen, dass Tennisprofi genau das ist, was ich machen möchte. Ich habe Spaß und fühle mich sehr wohl. Was will ich mehr?