Hamburg. Holger Geschwindner gilt nicht nur als Mentor das NBA-Stars Dirk Nowitzki, sondern auch von Towers-Mitgründer Marvin Willoughby.

Holger Geschwindner (71) meldet sich am Telefon stets mit: „Bei der Arbeit“. Der Mann ist ein Tausendsassa: Er war Kapitän des deutschen Basketball-Olympiateams 1972 in München, er ist Mathematiker, Physiker, Entdecker von Dirk Nowitzki und prägte auch Towers-Sportchef Marvin Willoughby. Seine unorthodoxe, sehr erfolgreiche Trainingsmethodik führte er kürzlich mit einigen Basketballtalenten auf Einladung von Nachwuchschef Bernhard Peters beim HSV vor. Vorher sprach Geschwindner, der in Peulendorf bei Bamberg wohnt, mit dem Abendblatt über die Freunde Nowitzki/Willoughby und seine Ratschläge für den Zweitligisten Towers. Dessen Spiel in Heidelberg am Sonntag wurde wegen zahlreicher erkrankter Spieler verlegt.

Erinnern Sie sich noch an den 19-jährigen Willoughby, als er zu Ihrer legendären Generation nach Würzburg kam? Wie haben Sie ihn erlebt?

Holger Geschwindner: Marvin hatte extrem viel Talent für die Sportart. Er kam damals aus der Großstadt Hamburg ins beschauliche Würzburg, sozusagen von der Reeperbahn in eine Stadt, wo Burg und Kirche eine große Rolle spielen. Sagen wir mal so: Es war nicht immer ganz einfach. Marvin ist ja auch ziemlich heißblütig. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat oder Ungerechtigkeit wittert, tritt er mit voller Kraft und Energie dagegen an. Was hier und da zu Problemchen führen konnte.

Willoughby beschreibt Sie – genau wie Nowitzki – bis heute als seinen Mentor, in sportlichen und auch in Lebensfragen. Wie kam dieser Draht zustande?

Wenn die Kerle merken, dass sie nicht belehrt oder über den Tisch gezogen werden, sondern mit ihren Problemen zu einem kommen können, wird man über kurz oder lang zum Ansprechpartner. Auch in Fragen, die sie daheim nicht stellen mögen. Wenn sie etwa Probleme mit der Damenwelt hatten, konnte ich sagen: „Lies das hier mal: ‚Djamila‘ von Tschingis Aitmatow!“ Damit konnten sie das Problem plötzlich literarisch und auf recht hohem Niveau angehen, anstatt sich irgendwelches Gesummse anhören zu müssen. Oder Jack London: wie er als Sechzehnjähriger nach Alaska loszog, um beim Goldrausch dabei zu sein. Es ging darum, den Jungen Möglichkeiten zu zeigen, mehr als nur ihr physisches Talent zu entwickeln. Alle sollten auch ein Instrument probieren, selbst wenn sie musikalisch hochprozentig talentfrei waren.

Welches Instrument spielte Nowitzki?

Saxofon, Gitarre und Schlagzeug.

Und Willoughby?

Marvin hat sich schnell auf das Rappen verlegt.

Gab es auch Auftritte?

Ja klar. In unserem Camp am Starnberger See haben wir damals auch den Trompeter Till Brönner eingeladen, der dann auch mit uns rudern musste. Morgens gab es Jazzgymnastik, dann wurde gerudert, nachmittags hatten wir Individualtraining. Und abends Training mit dem Team. Danach meinte ich dann: Wie sieht’s aus – München? P1? In die Disco? Die Jungs staunten nicht schlecht. Meine Generation musste sich ja noch heimlich abseilen. Aber wir haben sie mit dem Bus hingefahren, und sie haben bis morgens um drei gefeiert. Auf der Rückfahrt wollten sie mir das Frühtraining ausreden, aber wer feiern kann, der kann auch rudern! „Alkoholverdunstungstraining“ nannten wir das. Wir sind einmal um die Roseninsel gerudert, und dann waren alle Mann wieder nüchtern.

Wieso hält die Freundschaft zwischen Willoughby und Nowitzki bis heute?

Die beiden haben viel gemeinsam erlebt, sie sind durch dick und dünn gegangen, sie waren zusammen in der Nationalmannschaft. Aber vor allem haben sie all das dumme Zeug, was man in dem Alter so macht, zusammen angestellt.

Willoughby wohnte auch bei Familie Nowitzki mit Dirk und dessen Schwester Silke.

Ja, Dirks Mutter hat Marvin wie einen Sohn in ihre Familie aufgenommen.

Sie sind nach wie vor ein Ratgeber für Willoughby. Welche Tipps geben Sie ihm?

Wenn einer Hilfe braucht, kann er sich immer melden. Das Problem muss gar nichts mit Basketball zu tun haben oder die großen Lebensfragen betreffen. Bei Marvin ging es zum Beispiel einmal darum, dass seine Frau eine Prüfung in Mittelhochdeutsch ablegen musste. Und ich bin mit einem Germanistikprofessor in Hamburg befreundet, der dann jemanden vermitteln konnte, der mit ihr Mittelhochdeutsch lernte. Erfolgreich.

Welche Ratschläge haben Sie Willoughby für sein Towers-Projekt gegeben?

Als es um den Umbau der Blumenhalle der Internationalen Gartenschau ging, war ich ein paarmal in Wilhelmsburg, und wir haben überlegt, welche Fehler man hinsichtlich der Nachnutzung nicht machen darf. Ich habe ja ein paar Sporthallen auf dieser Welt gesehen.

Reicht die 3400-Zuschauer-Kapazität? Auch perspektivisch für Liga eins?

Ja. Alle wollen immer mehr. Aber in Hamburg gibt es viele Hallen, die gefüllt werden wollen. Wenn 3400 nicht mehr ausreichen, kann man ja umziehen. Um in der Basketballsprache zu bleiben: Man darf keinen Schrittfehler machen, sonst stolpert man in der Gegend herum. Für ein Projekt dieser Größenordnung braucht man einen langen Atem. Das entspricht ja auch eurer Mentalität im Norden. Bei den Muschelschubsern.

Wie bitte? Muschelschubser?

Die Buben haben immer herumgefrotzelt. Für die Würzburger war Marvin „der Muschelschubser“. Die Franken waren „die Weißwurschtesser“.

Wie oft telefonieren Sie mit Willoughby ?

Mal mehr, mal weniger. Wenn neue Projekte oder Entscheidungen anstehen, sprechen wir häufiger. Als beispielsweise damals Pascal Roller in die Stadt kam und ein Erstligateam aufbauen wollte, war mein Argument ganz einfach: Marvin, du machst Jugendarbeit, und wenn deine Jugendlichen 17, 18 sind, musst du sie wegschicken, wenn du ihnen keinen Erst- oder Zweitligisten bieten kannst.

Was haben Sie den beiden geraten?

Ihr zwei Holzköpfe müsst euch zusammentun. Der eine macht die Jugendarbeit, der andere die Profimannschaft. Aber haltet eure Läden sauber auseinander. Heutzutage in Deutschland eine Erstligamannschaft zu installieren, das ist gar nicht so einfach.

Es ging dann ja nur eine Saison lang gut mit den beiden „Holzköpfen“ ...

Das Problem ist: Jugendliche werden nicht schneller älter oder wachsen nicht schneller, weil man schnell Erfolg haben möchte. Mit Strukturen ist das ähnlich. Man darf sich nicht verrückt machen lassen. So ein Projekt Steinchen für Steinchen aufzubauen, das ist zäh. Man muss vorsichtig vorgehen. Hamburg ist zudem ein schwieriges Pflaster, um Basketball zu etablieren. Es gibt zwei Fußballprofivereine, es gab damals auch noch Eishockey und Handball. Und jetzt wollt ihr noch Basketball da reinbringen? Das geht nur, wenn man langsam und sukzessive Strukturen schafft.

Aber es wäre doch schön, wenn man die Toptalente halten könnte. Wie etwa Louis Olinde (18), den Sohn Ihres früheren Göttinger Teamkollegen Wilbert (61), der gerade zu Meister Bamberg gewechselt ist.

Wenn einer Talent hat für die Erste Liga oder sogar mehr, muss man ihn ziehen lassen. Das wurde uns in Würzburg ja immer vorgeworfen, als Dirk in die NBA gegangen ist. Was wir in Würzburg alles hätten erreichen können! Aber sein Talent war für eine ganz andere Kategorie gebaut. Wenn man einen guten Job gemacht hat, bleiben die Jungs der Grundidee verbunden. Und vielleicht kommen sie irgendwann zurück und engagieren sich in dieselbe Richtung.

Besprechen Sie mit Nowitzki noch die Verträge? Er hat gerade für zwei weitere Jahre für je 25 Millionen Dollar unterzeichnet.

Wir diskutieren natürlich, was sinnvoll ist und was dummes Zeug. Aber er ist inzwischen ein gestandener Mann und trifft seine Entscheidungen selbst. Für einen 38 Jahre alten Sportveteranen ist ein Zweijahresvertrag schon außergewöhnlich, erst recht ein so gut dotierter. Aber Dirk ist ja auch ein anerkannt außergewöhnlicher Athlet.

Holger Geschwindner (2. v. l.) 1999 als
Trainer des DJK Würzburg. Rechts der
junge Marvin Willoughby
Holger Geschwindner (2. v. l.) 1999 als Trainer des DJK Würzburg. Rechts der junge Marvin Willoughby © Imago

Wie wichtig ist Ihnen Demut?

Abheben? Das gibt’s bei mir nicht! Da kriegen sie Eisenketten um die Füße gebunden. Dirk sagt es ja in seinem Film perfekt, als er sich über seine große Berühmtheit wundert, „nur weil ich einen Ball ganz gut in ein Netz werfen kann“.

Die Dirk-Nowitzki-Stiftung finanzierte die Entwicklungsphase des Towers-Schulprojekts Learn-4-Life in den ersten Jahren. Zudem gibt es in Wilhelmsburg einen Standort Ihres Projekts BasKIDBall, bei dem Nowitzki Schirmherr ist. Dafür wird eine Sporthalle zweimal pro Woche aufgeschlossen für jeden, ohne Vereinsmitgliedschaften. Das Projekt feiert 2017 zehnjähriges Bestehen. Erklären Sie mal das Konzept.

BasKIDball gibt es mittlerweile in 16 Städten in Deutschland, zumeist in sozialen Brennpunkten. Wir führen gerade aber auch Gespräche mit Amsterdam, Kopenhagen und Kenia. Wir bieten den Kids an: Ihr könnt zu festen Zeiten immer zu uns kommen. Das Ganze kostet euch nichts. Wenn ihr in der Schule schlecht seid, bringt ihr eure Aufgaben mit, dann helfen wir euch mit Aufgaben und Prüfungen. Meistens kommen zuerst die Jungs aus dem Viertel, aber irgendwann stehen auch die jungen Damen auf der Matte. Die sollen aber nicht nur herumsitzen und ihre jungen Helden bewundern. Das gibt’s nicht! Die sollen selbst spielen. Oder wir bieten Tanzkurse für sie an.

Willoughby leistet mit seinem Verein Sport ohne Grenzen in Wilhelmsburg seit 2006 Sozialarbeit, er bekam dafür den Bundesverdienstorden. Was sagen Sie dazu?

Marvin ist ein Vorbild. Gerade in Zeiten wie diesen. Er ist solide ausgebildet, kennt die Probleme von beiden Seiten und agiert auf sehr hohem Niveau. Das ist richtig gut. Marvin bei seiner Arbeit zuzusehen macht richtig Spaß.