Hamburg. Marathonchef Thaleiser über die Weiterentwicklung des Rennens, den Umgang mit Dopingsündern und fehlende politische Unterstützung.

In den Büroräumen der Marathon Hamburg GmbH in der Fuhlsbüttler Straße türmen sich die Kartons. Der Umzug aus der Alsterdorfer Straße ist zwar längst abgeschlossen, aber so kurz vor dem 31. Haspa-Marathon am Sonntag treffen täglich Waren ein: Jacken und Beutel für die Helfer, Gummibärchen zum Verteilen am Messestand. Von Aufregung ist bei Marathonchef Frank Thaleiser, 50, aber wenig zu spüren. Er organisiert das Rennen bereits zum fünften Mal.

Hamburger Abendblatt: Herr Thaleiser, mit 30 kommen in der Regel die ersten Zipperlein. Wo tut es dem Marathon weh?

Frank Thaleiser: Wir haben die Leidenszeit bereits hinter uns. Die GmbH ist von zweieinhalb auf acht Mitarbeiter angewachsen plus zwei Praktikanten, wir schreiben eine schwarze Null. Der Verband profitiert von unserer Arbeit, indem wir einen festen Betrag für den Marathon abführen, aktuell 224.000 Euro. Aber es funktioniert nur dank der anderen Veranstaltungen, die wir haben, wie etwa dem Köhlbrandbrückenlauf. Und wir versuchen stets weitere Formate zu entwickeln.

Der Haspa-Marathon hatte im Vorjahr fast 15.000 Finisher. In diesem Jahr werden Sie die Zahl voraussichtlich um 2000 verfehlen. Ist das nur dem Jubiläums­effekt geschuldet?

Thaleiser: Davon ist auszugehen. Köln startet in diesem Jahr zum 20. Mal und verzeichnet ein Plus von 20 Prozent, München wie wir zum 31. Mal – mit einem Minus von 20 Prozent. Der Marathoni orientiert sich an diesen Daten. Wir sind wieder auf dem Stand von 2014 und haben den Verlust aufgefangen, indem wir erstmals seit fünf Jahren das Startgeld angehoben haben. Was auffällt: Die Zahl der Ausländer ist stabil, die der deutschen Teilnehmer überall rückläufig. Das könnte ein Effekt der Terroranschläge von Paris sein.

Wie reagieren Sie auf die Sicherheitslage?

Thaleiser: Für uns war der Anschlag von Boston 2013 die Zäsur. Zuvor hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ein Marathon Ziel eines Terrorangriffs wird. Wir gehörten damals mit 450 Sicherheitskräften zu den bestgeschützten Marathons. Aber ob 450 oder 5000: Das Risiko bleibt das gleiche. Die Präsenz ist im Übrigen nicht erkennbar, viele Beamte sind in Zivil unterwegs.

Der Marathonlauf stagniert in Deutschland, kürzere Läufe boomen. Warum bieten Sie nicht auch andere Distanzen an?

Thaleiser: Solange wir unser hohes Niveau halten können, machen wir uns darüber keine Gedanken. Köln ist ein abschreckendes Beispiel: Vor 19 Jahren startete der Marathon mit mehr als 11.000 Teilnehmern. Als der Hauptsponsor absprang, wurde aus der Not heraus der Halbmarathon eingeführt. Im vergangenen Jahr sind kaum mehr als 4000 Läufer über die volle Distanz gegangen, dafür fast 11.000 die halbe. Da hat sich die Wertigkeit komplett verschoben.

Sie haben 2012 die Staffeln eingeführt.

Thaleiser: Die haben damals den Marathon überhaupt wirtschaftlich am Leben erhalten. Die 1500 Plätze sind wieder seit Dezember ausverkauft. Wir hätten locker 2000 verkaufen können, aber das ist eine Gratwanderung. Düsseldorf hatte im vergangenen Jahr 12.000 Staffelläufer, aber nur 2651 Marathon-Finisher. Das ist dann kein Marathonlauf mehr. Wenn wir weiter expandieren, etwa die Skater wieder ins Programm nehmen wollen, können wir das aber nur im Zusammenspiel mit der Stadt.

Was meinen Sie konkret?

Thaleiser: Wir brauchen andere Sperrzeiten. Unser Zehntel-Kinderlauf ist seit sechs Wochen mit 7000 Teilnehmern ausverkauft. Für die Grundschüler könnten wir einen zweiten Lauf am Sonnabendvormittag machen, aber dagegen wehrt sich das City Management. Die Schulbehörde unterstützt unseren Lauf übrigens auch nicht, weil er außerhalb der Schulzeit stattfindet. Dabei ist es die größte Jugendsportveranstaltung Norddeutschlands. Noch ein Beispiel: Wir müssen dem Event-Ausschuss jedes Jahr aufs Neue unser Konzept darlegen und darauf hoffen, im Januar der Stadt zur Genehmigung empfohlen zu werden. Für jede Entwicklung über den jetzigen Zeitrahmen heraus brauchen wir den politischen Segen. Wir würden auch gern einen kürzeren Lauf am Sonnabendabend vor dem Marathon veranstalten. Das wäre vor allem für Frauen attraktiv und gäbe auch dem Marathon die Chance zu wachsen, weil er dadurch für Paare interessanter wird. Leider haben wir keine Genehmigung bekommen.

Dafür unterstützt die Stadt den Marathon als eine von fünf Großsportveranstaltungen mit 100.000 Euro aus der Kultur- und Tourismustaxe jährlich.

Thaleiser: Mit circa 40.000 Übernachtungsgästen am Marathonwochenende, die im Schnitt zwei Nächte bleiben, verdienen wir das Geld ja quasi selbst. Letztlich unterschätzt die Stadt, welche auch wirtschaftliche Kraft wir haben und wie die Veranstaltung auf die Karte Stadt einzahlt. Ich glaube, dass die großen Veranstaltungen wesentlich mehr für die Stadt leisten könnten – wenn die es denn wollte. Seit dem verlorenen Referendum scheint Hamburg in einer Art Schockstarre gefallen zu sein.

Hat die Olympiabewerbung denn gar nichts bewirkt?

Thaleiser: Bei der Danksagung von Olaf Scholz an die Olympiahelfer im Rathaus haben wir uns mit großen, leeren Augen angeschaut. Da war keine Botschaft zu vernehmen. Mag sein, dass die Akteure im Sport enger zusammengerückt sind, aber die Stadt muss jetzt wieder aufwachen, positiv nach vorne schauen.

Der Marathon hat in den vergangenen Jahren durch erstklassige Zeiten für Aufsehen gesorgt. Wird die Rekordjagd weitergehen, oder ist die Grenze erreicht?

Thaleiser: Der Frauenrekord von 2:24:12 Stunden ist sicher zu knacken. Bei den 2:05:30 Stunden von Eliud Kipchoge hat alles gepasst. In dem Jahr waren wir der viertschnellste Marathon der Welt.

Wieso ist das wichtig?

Thaleiser: Weil sich auch die Vierstundenläufer daran orientieren. Sie schauen danach, wo sie ihr Ziel am besten erreichen können – welche Strecke also mutmaßlich die schnellste ist. Die erste Frage von Debütanten ist immer, ob Hamburg flach ist. Da muss ich nur auf den Streckenrekord verweisen und setze mich deutlich von der Konkurrenz in Hannover, München oder Köln ab. Insofern ist das Geld für gute Athleten gut investiert. Wenn ich den gleichen Effekt über mediale Leistungen einkaufen müsste, wäre das deutlich teurer. Mein sportlicher Leiter Jos Hermens sagt immer: „Sag mir, wie viel Geld du hast, und ich sage dir, wie schnell deine Strecke ist.“ Wir haben es in diesem Jahr geschafft, mit einem geringeren Athletenetat mehr schnelle Leute zu verpflichten. Wir werden sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen den schnellsten Marathon erleben.

Für den deutschen Rekordhalter Arne Gabius hat es aber nicht gereicht, er bevorzugt einen Start in London, obwohl er für das Lauf Team Haspa-Marathon startet. Sie haben daraufhin angekündigt, seinen Vertrag nicht zu verlängern.

Thaleiser: Im Nachhinein bin ich über die Absage nicht traurig, wir hätten mit ihm nicht die Qualität an der Spitze des Feldes.

Und wenn er bei der EM und bei Olympia erfolgreich ist?

Thaleiser: Würde ich mich für ihn freuen. Aber im nächsten Jahr werden wir ein reines Frauenteam haben, da passt er nicht hinein.

Wäre es nicht eine Alternative zur Rekordjagd, alle deutschen Topläufer an den Start zu bringen?

Thaleiser: Für vergangenes Jahr hatten wir ein rein europäisches Frauenrennen zum Ziel. Aber es war nicht möglich, alle deutschen Starterinnen unter einen Hut zu bekommen. Deutsche Athleten sind, gemessen an ihrer Leistung, irrsinnig teuer. Eine Kenianerin im Bereich von 2:26 Stunden kostet vielleicht 3500 Euro Antrittsgeld. Bei den Deutschen bist du fünfstellig.

Aber die Gefahr, sich einen Dopingskandal einzukaufen, scheint bei einer Kenianerin auch größer zu sein. Wie schützen Sie sich davor?

Thaleiser: In letzter Konsequenz kann man das nicht. Wir setzen auf Abschreckung. Wir sind verpflichtet, sechs Proben durchzuführen, es werden aber acht sein. Jeder Athlet, der zu uns kommt, muss wissen: Wenn er gewinnt, wird er getestet, auch auf Epo. Wer auffällig ist, wer etwa in den letzten zwei Jahren keinen Wettkampf bestritten hat, darf bei uns nicht starten.

Wie sehr schadet die Dopingproblematik in der Leichtathletik einer Großveranstaltung wie dem Marathon?

Thaleiser: Ein konkreter Dopingfall würde sehr schaden. Aber seien wir ehrlich: Die Panama Papers zeigen doch, dass sich der Betrug aus der Gesellschaft nicht ganz eliminieren lässt. Warum sollte der Sport besser sein?