NFL-Profi Kasim Edebali und TV-Experte Patrick Esume über den Super Bowl, die Gefahren im Football und die Entwicklung in Deutschland.

Den Super Bowl in der Nacht zu Montag (0.30 Uhr/Sat.1 ab 23.15 Uhr) werden Kasim Edebali und Patrick Esume nur aus der Ferne verfolgen. Hamburgs erster Profi in der National Football League (NFL) und der einzige Deutsche, der je in der größten Profiliga der Welt gecoacht hat, stimmen von 20.15 Uhr an auf ProSieben Maxx die Fernsehzuschauer auf das große Finale ein – aus einem Studio in Unterföhring. „Wenn man nicht das Glück hat, an der Seitenlinie zu stehen, ist beim Super Bowl sowieso der beste Platz vor dem Fernseher mit Freunden“, sagt Esume, 42, der die Hamburg Huskies und die französische Nationalmannschaft trainiert. Edebali hätte es sogar fast aufs Feld geschafft: Er verlor in seiner zweiten NFL-Saison mit den New Orleans Saints zweimal nur knapp gegen die Carolina Panthers, die gegen die Denver Broncos als Favorit ins Spiel gehen.

Hamburger Abendblatt: Herr Edebali, wie geht es einem NFL-Profi, wenn die Saison zu Ende ist?

Kasim Edebali: Der Körper tut weh, vor allem die Knie, aber ich erhole mich langsam. Ich habe wieder angefangen, härter zu trainieren. So langsam beginnt die Vorbereitung auf die kommende Saison.

Tut es weh, am Sonntag nicht beim Super Bowl dabei zu sein?

Edebali: Wir haben zweimal ganz knapp gegen Carolina verloren. Da denkt man natürlich: Uns fehlte nur so wenig. Aber unser Coach sagt immer: So wenig ist so viel. Ein Spielzug kann alles entscheiden. Jetzt werde ich mir das Spiel als Fan anschauen, ohne groß zu fachsimpeln. Ich will es einfach genießen.

Was haben die Spieler seit dem Halbfinale vor zwei Wochen erlebt?

Patrick Esume: Die erste Woche war sicher der intensivste Teil der Vorbereitung, da erarbeiten Trainer und Spieler den Gameplan, der Medien-Hype wird weitgehend ausgeblendet. In der zweiten Woche aber sind die Mannschaften dann am Spielort. Ab da gibt es so viele Ablenkungen, dass es schwer ist, sich auf das Wesentliche zu konzen­trieren. Die Trainer sind dann besonders gefordert, damit sich die Spieler nicht in den vielen Möglichkeiten verlieren, die die modernen Medien so bieten.

Wie wird es ausgehen?

Edebali: Denver hat Quarterbackveteran Peyton Manning und eine richtig gute Defensive Line. Aber wenn es Carolinas Angriff gelingt, Quarterback Cam Newton Zeit zu geben, gewinnen sie.

Esume: Ich rechne mit einem engen Spiel. Denver hat die einzige Verteidigung, die Newton und das Laufspiel in Schach halten kann. Die Statistik spricht für die Broncos: In sieben von zehn Fällen gewinnt die beste Defense gegen die beste Offense der Liga. Und die Broncos-Offense kann sich auf Mannings Erfahrung stützen.

Newton ist 13 Jahre jünger. Verkörpert er den neuen Idealtyp für die Position?

Esume: Ja. Spieler wie er oder Russell Wilson von Seattle mit ihrer Athletik wären vor 15 oder 20 Jahren noch Receiver, Tight Ends, vielleicht sogar Defensive Ends gewesen. Da hätten die Trainer gesagt: Quarterback? Steck mal deine Hand in den Dreck und sieh zu, dass du den Pass verhinderst.

Betrifft das Umdenken auch die Hautfarbe? Lange Zeit schien die Spielmacherposition Söhnen reicher Familien aus Neuengland vorbehalten.

Esume: Natürlich. Der Film „Gegen jede Regel“ mit Denzel Washington thematisiert genau das und beruht auf einer wahren Geschichte aus dem Jahr 1971. Don Lawrence, mit dem ich in Frankfurt gecoacht habe, hat 1973 seinen Job als Cheftrainer in Virginia verloren, weil er einen schwarzen Quarterback eingesetzt hat. Sie müssen bedenken: Die Teambesitzer entstammen selbst oft alteingesessenen, reichen weißen Familien. Die Zahl der schwarzen Cheftrainer in der NFL ist gering, die der Geschäftsführer noch geringer. Und das in einem Sport, der zu 80 Prozent von Schwarzen betrieben wird. Das führt fast zwangsläufig zu Problemen. Aber das Umdenken hat begonnen.

Ist es ein Traum, NFL-Profi zu sein?

Edebali: Klar! Das ging los, als ich 1999 das erste Mal ein Footballspiel gesehen habe. Später habe ich Videospiele gespielt und mir gesagt: Eines Tages werde ich in diesem Spiel sein. Die Spieler waren Götter für mich.

War Ihnen klar, dass Kasim Edebali selbst ein Gott würde, Herr Esume?

Esume: Dass er für den deutschen Football zu gut ist, konnte man schon merken, als er ein Kind war. Er konnte jede Position spielen, konnte alles mit dem Ball machen. Solche Kids sind rar gesät. Mir war immer klar, dass er nach Amerika muss, um die Chance zu bekommen, den großen Schritt zu machen.

Sie sind mit 18 Jahren nach Amerika gegangen. War die Umstellung groß?

Edebali: Am schwierigsten war die Sprache. Es reicht ja nicht, gut im Football zu sein, auch in der Schule müssen die Leistungen stimmen. Auf meinem Internat wurden hohe Noten gefordert, da gingen die Kinder aus den reichsten Familien hin, die Crème de la Crème. Ich habe ein, zwei Jahre gebraucht, um mich gut artikulieren zu können. Aber ich bin glücklich, den Schritt gegangen zu sein. Jetzt lebe ich meinen Traum.

Verfluchen Sie ihn manchmal, wenn Sie daran denken, was Ihr Körper mitmacht?

Edebali: Niemals, dafür ist die Liebe zu diesem Spiel zu groß. Ich freue mich jeden Morgen, zu meiner Arbeit gehen zu können und zu versuchen, noch besser zu werden. So muss man denken, wenn man lange in dem Business bleiben will. Aber man muss sich klarmachen, dass dieser Sport viel abverlangt. Du musst geistig und körperlich immer perfekt vorbereitet sein, musst jeden Spielzug kennen, der Körper muss geschmeidig bleiben. Ist er es nicht, verlierst du. Und dann bist du den Job ganz schnell los.

Kann man diese Mentalität lernen?

Edebali: Ich bin von Natur aus selbstbewusst. Stell mir eine Aufgabe, egal wie schwer, und ich beweise dir, dass ich es draufhabe. So war es schon immer. Ich, der Junge aus Deutschland, werde es nie in die NFL schaffen? Warte ab, ich zeige es dir!

Mittlerweile spielen fünf Deutsche in der NFL. Wann wird es den ersten deutschen Quarterback dort geben?

Esume: In Lübeck gibt es einen, 17 Jahre alt, 1,94 Meter groß, ein Riesentalent. Der muss unbedingt an die Highschool und dann ans College. Ich habe sein Profil an einige Highschools geschickt.

Die NFL Europa, wie sie zuletzt hieß, wurde 2007 eingestellt, kurz nachdem die Hamburg Sea Devils den World Bowl gewonnen haben. Fehlt sie?

Esume: Ich glaube, dass es keine gute Entscheidung war. Sie hat jedes der 32 NFL-Teams pro Jahr eine Million Dollar gekostet, das sind für die Peanuts. Dafür fand die NFL das ganze Jahr über im Fernsehen statt. Auch für die Ausbildung der Spieler und Trainer war es wichtig. Viele, die die Trainingslager durchlaufen haben, wurden später zu Schlüsselspielern. Jetzt fehlt den deutschen Topleuten der Anreiz, besser zu werden. Unser Verband behauptet zwar, die NFL Europa habe ihr geschadet. Das Gegenteil ist der Fall.

Edebali: Auch für mich war die NFL Europa das Ziel, ich wollte einmal mit den Sea Devils im Volksparkstadion spielen. Leute auf dem Level gab es in Deutschland sonst nicht zu sehen. Als die Liga abgeschafft wurde, brauchte ich einen Plan B – das war die NFL.

Hat das Interesse junger Spieler unter dieser Entwicklung gelitten?

Edebali: Ja. Aber seitdem die NFL im frei empfangbaren Fernsehen läuft, ist das Interesse wieder gestiegen. Ich hoffe, das hält an. Jetzt gilt es, diesen Medienhype zu nutzen, damit auch der deutsche Football profitiert.

In Amerika fangen weniger Jungen mit Football an, weil den Eltern der Sport zu gefährlich geworden ist. Es gibt eine nationale Debatte um die Sicherheit der Spieler. Tut die NFL genug dafür?

Edebali: Ich glaube schon. Schauen Sie sich Spiele von vor zehn oder 15 Jahren an: Manche der harten Hits würde man heute nicht mehr sehen.

Esume: Da gab es Spieler, die müssten heute ihr komplettes Gehalt an Strafen zahlen. Natürlich hat auch der technische Fortschritt dazu beigetragen: Man sieht einfach viel genauer, welche Kollisionen da stattfinden. Aber man darf dem Spiel auch seinen Kern nicht nehmen: Das Physische ist das, was es ausmacht. Hätte ich die Chance gehabt, NFL zu spielen, ich hätte es gemacht. Die Risiken – Gehirnerschütterung, Kreuzbandriss – nimmt man in Kauf, sie gehören dazu. Natürlich willst du keine Hits zum Kopf sehen. Ich für meinen Teil finde die Hits auf die Knie viel schlimmer. Was da passieren kann, will erst recht keiner sehen.

Edebali: Unser Trainer sagt immer: Das Einzige, was wir der gegnerischen Offense voraushaben, ist, dass wir denen Angst einjagen können. Nimmst du das Physische raus, können die übers Feld laufen und nach dem Pass hechten, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ein Teamkollege von mir, Stephone Anthony, musste neulich 17.000 Dollar Strafe für einen Hit bezahlen. Dabei hatte er nur seinen Job gemacht.

Muss man den Gegner zerstören wollen?

Esume: Kein Spieler will den anderen verletzen. Es geht um physische Einschüchterung. Da sind 50 Alphamännchen, die als Rudel gegeneinander kämpfen.

Edebali: Du willst ihren Willen brechen. Die anderen sollen keine Lust mehr haben, mit dir zu spielen. Dann gewinnst du diesen Kampf.