Peking/Hamburg. Die Entscheidung, die Winterspiele 2022 an Chinas Hauptstadt zu vergeben, ruft Menschenrechtler und Olympia-Gegner auf den Plan.

Neuer Markt statt Wintersporttradition, künstlicher Schnee statt eines natürlichen Bergpanoramas, weite Entfernungen statt kurzer Wege: Das IOC hat den Favoriten Peking zum Gastgeber der Olympischen Winterspiele 2022 gewählt und der chinesischen Hauptstadt im Duell zweier umstrittener Bewerber mit 44:40 Stimmen den Vorzug vor Almaty gegeben.

14 Jahre nach den Sommerspielen 2008 wird Peking damit als erste Stadt der Geschichte auch Olympische Winterspiele ausrichten. Dies hatte eigentlich auch München versucht, war aber mit seiner Bewerbung bei einer Bürgerbefragung gescheitert. "In den zwei Jahren der Bewerbungsphase hat Peking einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen", sagte IOC-Präsident Thomas Bach.

 IOC-Präsident Thomas Bach mit Chinas Vize-Premierministerin Liu Yandong nach der Wahl in Kuala Lumpur
IOC-Präsident Thomas Bach mit Chinas Vize-Premierministerin Liu Yandong nach der Wahl in Kuala Lumpur © Getty Images

Als Bach am Freitag um 17.57 Uhr Ortszeit in Kuala Lumpur erstmals in seiner Amtszeit den Sieger einer Olympia-Bewerbung bekannt gab, brandete in der chinesischen Delegation um den ehemaligen NBA-Star Yao Ming tosender Jubel auf - der Favorit hatte sich trotz des zuletzt immer engeren Rennens doch noch durchgesetzt.

Doch schon direkt nach der Wahl hagelte es Kritik. "Die Vergabe an Peking birgt ganz klar die Gefahr, dass es bei der Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele wie bei den Sommerspielen 2008 zu Menschenrechtsverletzungen kommt", sagte Wolfgang Büttner von Human Rights Watch Deutschland dem SID: "Das IOC muss sicherstellen, dass es nicht zu Einschränkungen der Pressefreiheit, zur Verletzung der Arbeiterrechte und zu keiner Diskriminierung von Kritikern kommt."

Hamburger Bewegung kritisiert IOC

Und auch die Hamburger NOlympia-Bewegung kritisierte den Zuschlag für Peking scharf. Die Entscheidung sei ein „Alptraum für die Menschenrechte“, erklärte NOlympia-Sprecher Florian Kasiske in der Hansestadt. Würde das IOC es ernst meinen mit den in der Agenda 2020 beschlossenen Empfehlungen zur Wahrung von Menschenrechten, hätte es den Auswahlprozess aussetzen müssen, nachdem nur noch Peking und Almaty als Bewerber übriggeblieben waren, erklärte NOlympia.

Angesichts des fragwürdigen Demokratie-Verständnisses des IOC sei es wenig verwunderlich, dass Olympische Spiele immer wieder in autoritären Regimen ausgetragen werden. „Mit der Bewerbung Hamburgs legitimiert Hamburg das IOC, das sich immer wieder mit autoritären Regimen einlässt“, sagte Kasiske.

300 Millionen Chinesen warten auf Wintersport

Weder die Menschenrechtssituation noch fehlender Naturschnee, ein alles andere als kompaktes Konzept oder notwendige Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur hatten die Mehrheit der 85 stimmberechtigten IOC-Mitglieder (44:40, 1 Enthaltung) von ihrer Entscheidung abhalten können. Vielmehr punktete Peking mit der Erschließung eines neuen Marktes - rund 300 Millionen Chinesen sollen durch Olympia dem Wintersport näher gebracht werden.

An der Piste in Zhangjiakou wird bereits kräftig gebaut
An der Piste in Zhangjiakou wird bereits kräftig gebaut © dpa

"Obwohl dieses Bewerbungsverfahren vor der IOC-Agenda 2020 gestartet worden ist, konnten wichtige Punkte noch nachverhandelt werden", sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann: "Das IOC hat bereits in seinem Evaluierungsbericht kritische Themen wie Menschenrechte, Pressefreiheit und Arbeitsrechte pro-aktiv angesprochen und sich schriftliche Zusagen von der Regierung zur Einhaltung der Olympischen Charta geben lassen."

In den Tagen vor der Abstimmung hatte die chinesische Delegation aber auch immer wieder Fragen zur Schneesicherheit beantworten müssen. Chinas Präsident Xi Jinping versprach in einer Videobotschaft während der Abschlusspräsentation "fantastische" Spiele: "Lassen sie mich ihnen versichern, dass die chinesische Bevölkerung fantastische, außergewöhnliche und exzellente Olympische Winterspiele präsentieren wird."

"Komplette Abhängigkeit von Kunstschnee"

Doch selbst die IOC-Evaluierungskommission bescheinigte in ihrem Prüfbericht "komplette Abhängigkeit von Kunstschnee", zudem ließ sie durchblicken, dass die Organisatoren wohl unterschätzt hätten, welche Unmengen an Wasser für die Schneeproduktion vonnöten seien - mit bisher nicht absehbaren Folgen für die Umwelt. Zudem könne aufgrund des Mangels an Naturschnee der 'Look' des Veranstaltungsortes seitlich der Pisten ästhetisch wenig ansprechend sein. Ähnlich wie bei den Milliardenspielen in Sotschi 2014.

Auch sind zusätzlich noch hohe Investitionen in die Infrastruktur nötig. Da die Organisatoren versicherten, der geplante milliardenteure Schnellzug werde ohnehin gebaut, tauchen diese Kosten nicht im Budget von 3,08 Milliarden Euro auf. Die Hochgeschwindigkeitstrasse ist notwendig, weil die Spiele in drei verschiedenen "Clustern" ausgetragen werden sollen. Der weiteste, die Zhangliakou Zone, wo Biathleten, Langläufer und Skispringer um Medaillen kämpfen werden, ist 160 Kilometer von Peking entfernt.

Almaty konnte nur bedingt punkten

Konkurrent Almaty konnte dennoch nur bedingt mit seinem kompakten Konzept und der langen Wintersporttradition punkten. Innerhalb von nur 30 Kilometern sollten alle Austragungsorte liegen, zudem wäre ein Großteil der Sportstätten bereits vorhanden gewesen. Natürlicher Schnee ist im Tian-Shan-Gebirge ohnehin keine Mangelware.

Auch eine starke kämpferische Abschlusspräsentation konnte das Blatt nicht mehr wenden, obwohl diese immer wieder auf die Schwächen der chinesischen Bewerbung anspielte. "In Almaty wird es keine stundenlangen Bus-, Auto-, oder Zugfahrten geben, um in abgelegene Berge zu kommen", sagte Premierminister Karim Massimow.

Vor oder während des Bewerbungsverfahrens für 2022 hatte eine ganze Reihe interessierter Städte oder Regionen ihre angedachte Kandidatur zurückgezogen. Neben München beispielsweise Graubünden, Oslo oder Stockholm. Zumeist wegen mangelnder Unterstützung in der Bevölkerung oder zu hoher Kosten. Mit der Entscheidung für Peking finden nach 2018 in Pyeongchang/Südkorea und 2020 in Tokio/Japan dreimal in Folge Olympische Spiele auf dem asiatischen Kontinent statt.