14 Jahre nach den Sommerspielen darf die chinesische Hauptstadt 2022 auch die Winterspiele ausrichten. Was hinter dem Konzept steht.

Peking wird 14 Jahre nach den Sommerspielen 2008 als erste Stadt der Geschichte auch Olympische Winterspiele ausrichten. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wählte auf seiner 128. Session in Kuala Lumpur am Freitag die favorisierte chinesische Hauptstadt zum Gastgeber der Spiele 2022. Einziger Gegenkandidat war Almaty/Kasachstan. Eine deutsche Bewerbung mit München war am Widerstand der bayrischen Bevölkerung gescheitert.

Peking galt als klarer Favorit. Es ist die erste Stadt, die nach Sommerspielen auch Winterspiele ausrichtet, zusammen mit der rund 200 Kilometer entfernten Skiregion Zhangjiakou. Ein Hochgeschwindigkeitszug soll die beiden Zentren in 50 Minuten Fahrtzeit verbinden, in der Zeit der Spiele für alle umsonst. Was der Bau der Strecke kosten könnte, darüber schweigen die Chinesen lieber. Er sei ohnehin schon lange als Verbindung in die Mongolei geplant, meint ein hochrangiges Delegationsmitglied. Und was kostet das Projekt denn nun? „Der Zug ist sowieso geplant.“

Die Wahl wurde für IOC-Boss Bach zur Qual

In Peking und der weiteren Umgebung wird die gefrorene weiße Pracht wohl aus Kanonen kommen, auch wenn die Chinesen für Kuala Lumpur ein spezielles Buch aufgelegt und überall sichtbar positioniert hatten: „Snow in Bejing“. Auf 156 Seiten und mehr als 200 Fotos wird darin der Nachweis eines Wintermärchens erbracht. Schön anzusehen ist der Bildband aber allemal.

Dass ausgerechnet zwei Städte in Kuala Lumpur antraten, in deren diktatorisch regierten Ländern weltweit tätige Organisationen wie Human Wrights Watch massive Menschenrechtsverletzungen und zum Teil unwürdige Arbeits­bedingungen beklagen, machte die Wahl zur Qual und droht das neue IOC des deutschen Präsidenten Thomas Bach in seinen vielfältigen Bemühungen zurückzuwerfen, die Akzeptanz Olympischer Spiele auch dort, vornehmlich in westlichen Demokratien, wieder zu erhöhen, wo diese in den vergangenen Jahren immer öfter abhanden gekommen ist.

Chinesen haben die Angewohnheit, Kritik dieser Art einfach wegzulächeln. Yao Ming, 34, ist da anders. Der ehemalige Basketball-Superstar der nordamerikanischen Profiliga NBA, 2,29 Meter groß, war in Kuala Lumpur das unübersehbare Gesicht der Pekinger Kampa­gne. „Für die Frage nach den Menschenrechten gibt es keine perfekte Antwort“, sagt er. Es gebe kein Land auf der Welt, „das keine Probleme damit hat“. Rom sei auch nicht an einem Tag gebaut worden, fügt Ming freundlich hinzu, „geben Sie uns bitte Zeit, wir arbeiten hart dran“ – nach den in den vergangenen Jahren zunehmenden Verhaftungen von Regimekritikern und deren Anwälten aber offenbar in die falsche Richtung. Die Hoffnungen des IOC, die Sommerspiele 2008 in Peking hätten ein Umdenken bewirkt, haben sich nicht erfüllt, obwohl es am Anfang Anzeichen dafür gab.

Neuer Markt für 300 Millionen Chinesen

Dass China, die Werkbank der Welt, wahrscheinlich eine zweite Olympiachance erhält, hat es trotz ­Börsenbaisse seiner wirtschaftlichen Potenz zu verdanken. Ein neuer Markt für den Wintersport, für 300 Millionen Chinesen in dieser Region – mit dieser Perspektive konnte Kasachstan, das größte Binnenland der Welt, mit seinen 18 Millionen Einwohnern nicht annähernd konkurrieren. Die Agenda 2020 wäre dann Makulatur – wobei sie erst in Kraft trat, als das Bewerbungsverfahren weit fortgeschritten war.

An der Piste in Zhangjiakou wird bereits kräftig gebaut
An der Piste in Zhangjiakou wird bereits kräftig gebaut © dpa

Nicht zuletzt das Misstrauen gegenüber sportlichen Weltorganisationen wie besonders dem korrupten Fußballverband Fifa, aber auch dem IOC waren ausschlaggebend, dass die Münchner Bewerbung für ebendiese Winterspiele 2022 im November 2013 in einem Referendum keine Mehrheit in der eigenen Bevölkerung fand. Andernfalls wäre die bayerische Landeshauptstadt diesmal als hoher Favorit ins Rennen gegangen; allein schon deshalb, weil 2018 in Pyeongchang Winterspiele bereits in Asien stattfinden.

"Viele entscheiden aus dem Bauch heraus"

München hatte im Juli 2013 in Durban (Südafrika) die Abstimmung gegen die Südkoreaner im ersten Wahlgang klar verloren – trotz des nachweislich besseren Konzeptes. „Viele IOC-Mitglieder treffen ihre Entscheidung aus dem Bauch heraus, manche aus persönlichen Stimmungslagen“, sagt das langjährige IOC-Mitglied Walther Tröger, 85. Für den ehemaligen Weltklasse-Schwimmer Mark Spitz, 65, sind es die Ehefrauen, die entscheiden: „Die wollen dorthin, wo sie am besten einkaufen können.“ Spitz gewann in München 1972 sieben Goldmedaillen.

Auch in Krakau (Polen), der Region Graubünden (Schweiz), Lwiw (Ukraine) und Stockholm (Schweden) waren Winterspiele den Menschen zuletzt nicht mehrheitlich zu vermitteln. In Oslo wiederum kassierte das norwegische Parlament das positive Abstimmungsergebnis. Begründung: zu hohe Kosten, zu viele Sonderwünsche des IOC. Das war alles vor der Agenda. Es mag diese Ausgangslage gewesen sein, die Bach vor drei Tagen in Kuala Lumpur ungewohnt gereizt und tadelnd auf die Ankündigung Bostons reagieren ließ, sich nicht für die Sommerspiele 2024 bewerben zu wollen. Schließlich sollen in zwei Jahren Olympische Spiele in Lima (Peru) erstmals nach den Reformkriterien vergeben werden, und da würde es dem IOC-Präsidenten gefallen, wenn aus allen Regionen der Welt Bewerbungen kämen, gerade auch aus den USA. Bislang trauen sich nur Europäer die neue Form der Spiele zu: Budapest, Paris, Rom und Hamburg. „Die Behauptung, dass demokratische Staaten kein Interesse mehr an der Ausrichtung Olympischer Spiele hätten, wäre damit entgegen anderslautender Behauptungen widerlegt“, sagt Bach.

Nur wenige IOC-Mitglieder kennen Hamburg

Olympische Spiele haben nach dem Ersten Weltkrieg gerade fünfmal in totalitären Staaten stattgefunden, davon zweimal in (Nazi-)Deutschland: 1936 in Berlin (Sommer) und Garmisch-Partenkirchen (Winter), 1980 in Moskau, 1984 in Sarajevo (Winterspiele im damaligen Jugoslawien) und 2008 in Peking. Interesse aus Saudi-Arabien wehrte Bach jüngst ab, solange Frauen dort nicht in die Sportstadien dürften, gäbe es keine Verhandlungsbasis. Auch Doha (Katar) scheiterte bei dem Versuch, vom IOC in den engeren Bewerberkreis aufgenommen zu werden. Die Fifa hatte weniger Bedenken. Die Fußball-WM 2022 findet in dem Wüsten-Emirat statt.

Alfons Hörmann, 54, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, 63, der Vorstandsvorsitzende des DOSB, und Bernhard Schwank, 54, stellvertretender Geschäftsführer der Hamburger Bewerbungsgesellschaft, sind in Kuala Lumpur, um die Lage zu sondieren, wie weit in den Köpfen und Herzen der IOC-Mitglieder der Reformprozess angekommen ist. „Wir werden das Abstimmungsergebnis genau analysieren, um daraus Konsequenzen für die Hamburger Bewerbung zu ziehen“, sagte Vesper in der Lobby des Hotels Oriental.

Hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, jeder, der ins benachbarte Convention Center will, muss dieses Hotel durchqueren. Wer die drei Deutschen sieht, fragt schon mal nach Hamburg. „Die Neugierde ist groß“, sagt Vesper. Sie hat ihren Grund: Nur wenige IOC-Mitglieder kennen Hamburg. „Die Olympiakampagne hat daran schon einiges geändert“, weiß Hörmann, „eine bessere Werbung hat die Stadt noch nie erfahren.“ Ob nun Peking oder Almaty besser für Hamburgs Ambitionen wäre, darauf wollten sich die drei vor der Wahl nicht festlegen. Hörmann sagt dann: „Peking ist schlechter fürs Referendum am 29. November, vielleicht aber besser für die Wahl 2017.“