Die Tore und die Einstellung von St. Paulis Verteidiger sind für den Club von existenzieller Bedeutung im Abstiegskampf.

Das Nordderby zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV schaute sich Lasse Sobiech am Sonntag im Fernsehen an. „Natürlich verfolge ich, was der HSV macht“, sagte der Innenverteidiger des FC St. Pauli. Die Leihgabe des Stadtrivalen muss seit Wochen mit ansehen, wie seine Kollegen aus dem Volkspark immer tiefer in den Bundesligakeller rutschten. Für den Hamburger Zweitligisten entwickelt sich der 24-Jährige dagegen zunehmend zur Lebensversicherung im Abstiegskampf. Sein 1:0-Siegtor am Freitagabend gegen Nürnberg war bereits der vierte Saisontreffer des Abwehrspielers. Dabei war zunächst gar nicht klar, ob Sobiech überhaupt auflaufen konnte. „Ich hatte ihn wegen seiner Adduktorenzerrung eigentlich abgeschrieben“, sagte Trainer Ewald Lienen nach dem Spiel.

Abschreiben sollte man Sobiech in dieser Saison nie. In der Hinrunde spielte der 1,96 Meter lange Kopfballspezialist zeitweise mit einem ausgeschlagenen Zahn, einer angebrochenen Rippe und einem Fingerbruch – zur selben Zeit. Wie kein Zweiter stellt sich Sobiech in den Dienst der Mannschaft. Beim 2:0-Sieg in Braunschweig köpfte er das zweite Tor mit einer Gehirnerschütterung.

Es spricht für Sobiech, dass er sich nicht damit abgefunden hatte, das existenziell wichtige Heimspiel gegen Nürnberg tatenlos auf der Tribüne zu verfolgen, sondern unbedingt mitwirken wollte. Obwohl er nur bis Saisonende ausgeliehen ist, fühlt er sich als vollwertiges Mitglied und ist voll akzeptiert im Gefüge des Kiezclubs, für den er schon in der Saison 2011/12, damals als Leihgabe von Borussia Dortmund, gespielt hatte.

Seine Tore in dieser Saison haben sicherlich noch ein wenig mehr dazu beigetragen, dass er bei den St.-Pauli-Anhängern ein hohes Ansehen genießt, sie sind aber nicht der entscheidende Grund. Es ist vielmehr seine Einstellung, die ihm Respekt und Anerkennung verschafft. Die Tatsache, dass er freiwillig auf viel Geld verzichtet, um beim FC St. Pauli zu spielen anstatt beim HSV mutmaßlich auf der Reservebank zu sitzen, tut ein Übrigens.

Mit vier Treffern hat Sobiech nun genauso oft getroffen wie seine Sturmkollegen John Verhoek und Christopher Nöthe. „Lasse ist ein Kopfballmonster. Der gehört einfach in den Strafraum“, sagte Daniel Buballa. Und auch Sobiech selbst scherzte nach dem Spiel, dass er seinem Trainer schon mehrfach vorgeschlagen habe, als Stürmer aufzulaufen. „Doch der Trainer hört nicht auf mich“. Natürlich war das ein Spaß. Der bescheidene Sobiech würde kaum auf die Idee kommen, seine Tore in Punkte umzurechnen und sich diese allein zuzuschreiben, so wie es vor ein paar Monaten der als Stammtorwart abgelöste Philipp Tschauner öffentlich in Bezug auf seine Paraden und die damit geretteten Punkte tat.

In den Heimspielen gegen Sandhausen (2:1), Braunschweig (1:0) und jetzt gegen Nürnberg stellten seine Treffer den Sieg sicher. Sein Tor in Braunschweig sorgte gemeinsam mit dem Treffer von Kapitän und Innenverteidiger-Kollege Sören Gonther für den bisher einzigen Auswärtssieg in dieser Spielzeit. Anders ausgedrückt: Der FC St. Pauli hätte ohne Sobiechs Tore mindestens sechs Punkte weniger auf dem Konto und damit kaum noch realistische Hoffnungen auf den Klassenverbleib.

Für den Kiezclub ist es umso bedauerlicher, dass ein Verbleib des Leistungsträgers über das Saisonende hinaus von noch mehr Faktoren und Unwägbarkeiten abhängt als bei fast allen anderen Spielern. An erster Stelle steht dabei, ob und wie sein eigentlicher Arbeitgeber, also der HSV, in der Saison 2015/16 mit ihm plant. Dies wiederum dürfte entscheidend davon abhängen, in welcher Liga die Mannschaft von Trainer Bruno Labbadia in der kommenden Spielzeit antritt. So ist es kaum anzunehmen, dass Sobiech beim HSV in der Ersten Liga als Stammspieler vorgesehen wäre. Bei einem Abstieg sähe dies möglicherweise ganz anders aus. Sobiechs Vertrag beim HSV gilt zumindest auch in der Zweiten Liga.

Alle Abstiegskonkurrenten des FC St. Pauli sammelten Punkte

Doch erst einmal steht für Sobiech im Vordergrund, dem FC St.Pauli zum Klassenerhalt in der Zweiten Liga zu verhelfen. „Wir haben die Konkurrenz ins Schwitzen gebracht“, sagte der Matchwinner nach dem Nürnbergspiel. Die große Freude und Erleichterung über den höchst glücklichen Sieg wurde aber nur 19 Stunden später erheblich getrübt, da auch die direkten Konkurrenten 1860 München und der VfR Aalen ihre Heimspiele ebenso glücklich und durch späte Tore gewannen. Am Sonntag legte auch noch Erzgebirge Aue mit einem 1:0-Heimsieg gegen den FSV Frankfurt nach. Lediglich Greuther Fürth büßte gegen Union Berlin (2:2) zwei Zähler ein.

Umso mehr gilt die Maßgabe von Trainer Ewald Lienen: „Wir dürfen nur auf uns schauen und müssen selbst dafür sorgen, Punkte zu sammeln.“ Sollte sich der Trend fortsetzen, dass die Teams auf den untersten Plätzen der Tabelle regelmäßig punkten, könnten sogar noch scheinbar schon gesicherte Teams wie Bochum und Heidenheim wieder in Abstiegsgefahr geraten. Dazu passt, dass St. Pauli am kommenden Sonntag in Heidenheim antreten muss.

Beim schlechtesten Team der Rückrunde ruhen die Hamburger Hoffnungen auch wieder auf dem stürmenden Verteidiger. Schießt Sobiech in Heidenheim sein fünftes Saisontor, hätte er im Übrigen mehr Treffer erzielt, als der gesamte Sturm des HSV in der Bundesliga zusammen.