Der Boxprofi kehrt in Hamburg in den Ring zurück. Die Psyche wird ihm nicht mehr im Weg stehen, glaubt er.

Hamburg. Das Gespräch läuft 20 Minuten, als etwas passiert, was früher nicht passiert wäre: Thomas Ulrich wehrt sich. "Können wir auch über das Sportliche reden?", fragt er, und es klingt nicht wie eine Bitte. Immerhin sei er in Hamburg, um sein Comeback zu wagen und den Traum, Weltmeister im Profiboxen zu werden, aufleben zu lassen. Die Vergangenheit habe er hinter sich gelassen, und es sei Zeit, dahinter endlich mal einen Haken zu machen.

Natürlich könnte man über das Sportliche reden, wenn es tatsächlich so einfach wäre, einen Haken zu machen an das, was war. Aber das ist es nicht, und deshalb ist der Aufbaukampf, den der 35 Jahre alte Berliner am Sonnabend (20 Uhr, Sporthalle Wandsbek) gegen den Ungarn Gyula Gaspar bestreitet, kein normaler Kampf. Es ist die Rückkehr eines Außergewöhnlichen, der an den Ansprüchen der anderen zerbrochen war, und der sich jetzt aufmacht zu beweisen, dass sein Wille stärker ist als alle Zweifel.

Thomas Ulrich galt als größtes Bewegungstalent im deutschen Faustkampf, als er nach dem Gewinn von Olympiabronze in Atlanta 1996 Profi im Hamburger Universum-Stall wurde. Universum-Chef Klaus-Peter Kohl versprach sich angesichts von Ulrichs aparter Erscheinung nie dagewesene Vermarktungschancen, doch relativ schnell wurde klar, dass der sensible Halbschwergewichtler die Rolle des strahlenden Helden nicht würde verkörpern können. Mehrfach sagte er kurzfristig Kämpfe ab, weil ihn Kleinigkeiten dermaßen in der Konzentration gestört hatten, dass er sich nicht imstande sah, in den Ring zu steigen. Vor allem aber litt er unter Heimweh, konnte in Hotels nächtelang kaum schlafen und war am liebsten zu Hause in Berlin. Spätestens als er im Juli 2006 bei seiner zweiten WM-Chance von seinem Stallkollegen Zsolt Erdei vorgeführt wurde, galt er bei Universum als hoffnungsloser Fall, und als er im März 2009 von einem unbekannten Argentinier namens Nicolas Plotinsky ausgeknockt wurde, zog der Hamburger Stall einen Schlussstrich unter Ulrichs Laufbahn.

Der Sportler selbst war dazu jedoch nicht bereit. Private Probleme, über die er nicht öffentlich reden möchte, hätten zu der Pleite geführt, er habe sie nicht lange verarbeiten müssen. Mehr Zeit hat es gekostet, die Probleme zu beseitigen. "Ich habe mir viele Gedanken über mein Leben gemacht. Ich war schon immer ein Mensch, der sich die schlimmsten Steine selbst in den Weg geräumt hat", gibt er zu. Diese schlimmsten Steine habe er nun aber hinter sich gelassen und dabei gespürt, dass das Boxen noch immer der Teil seines Lebens ist, den er am besten beherrscht.

Gelungen ist ihm das, so sagt er, durch die Hilfe seines neuen Teams, dem er mehr vertraut als irgendjemandem aus Universum-Zeiten. Als er im Mai wieder mit dem Training anfing, ganz für sich allein, da war er überrascht, wie gut sich das anfühlte.

Mehr als ein Jahr hatte er keinen Sandsack berührt, sich höchstens mit Nordic Walking fit gehalten, doch die Bewegungen flossen, als wäre er nie weg gewesen. Er spürt, dass die Investoren aus Hamburg, die ihn für drei Kämpfe unter Vertrag genommen haben und ihm für das Comeback 15 000 Euro zahlen, auf ihn setzen. Sein Trainer Ali Yilderim glaubt, "dass Thomas bald in der Weltspitze steht, wo er hingehört". Und er hat es sogar geschafft, sich psychologische Hilfe zu holen, was er früher stets ablehnte, "weil ich nicht mein komplettes Leben einem fremden Menschen erzählen wollte". Einmal pro Woche hat er mit seinem Therapeuten gearbeitet, "es war eine richtige tiefenpsychologische Behandlung", sagt er, bis heute hält er den Kontakt, "wenn ich spüre, dass ich es brauche".

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Dass finanzielle Probleme der Grund für seine Rückkehr sind, wie die Boulevardpresse mutmaßte, weist er zurück. "Es ist rein sportlich. Ich will es noch mal wissen." Ob er das Gefühl habe, ein neuer Mensch zu sein, wird Ulrich am Ende des Gesprächs gefragt, als auch alle sportlichen Fragen beantwortet sind. "Tief in mir drin bin ich immer noch ich selbst", sagt er. Ob das gut ist oder schlecht, wird sich zeigen.