Hockey-Nationalspielerin Janne Müller-Wieland spricht vor der WM in Argentinien über Erfolgsdruck, ihre Rolle im Team und ihr Leben bei Facebook

Hamburg/Rosario. In ihrem Verein, dem Uhlenhorster HC, ist Janne Müller-Wieland Spielführerin und der Kopf des Teams. 2008 wurde die 23-Jährige zu Deutschlands Hockeyspielerin des Jahres gewählt, sie gilt als eine der kommenden Größen im Nationalteam, mit dem sie von Montag an in Argentinien ihre erste Weltmeisterschaft spielt.

Abendblatt: Frau Müller-Wieland, wie lebt es sich als Nationalspielerin einer Nation, für die bei einer WM nur Medaillen zählen?

Janne Müller-Wieland: Sehr gut. Ich finde es überhaupt nicht schlimm, dass deutsche Hockeyteams immer Medaillen holen müssen, denn das ist der Anspruch, den wir selbst an uns haben. Es ist doch schön, dass man das von uns erwartet, das zeigt das Vertrauen, das man in uns setzt.

Man spricht immer von Tugenden wie Kampfkraft, Willensstärke und Disziplin, wenn es um deutsche Nationalteams geht. Dabei hat man das Gefühl, dass das eher männliche Tugenden sind. Identifizieren sich deutsche Frauen auch mit diesen Eigenschaften?

Das ist bei uns sicherlich nicht so extrem ausgeprägt wie bei den Männern. Aber auch bei uns fürchten die Gegnerinnen unsere defensive Disziplin und unsere physische Stärke. Auch unser Siegeswille ist groß, aber was uns fehlt, ist die Überzeugung, dass wir die anderen großen Hockeynationen klar besiegen können.

Wer sind bei dieser WM die großen Nationen, die Sie besiegen müssen?

Argentinien als Gastgeber ist sicherlich sehr stark. Sie werden von der Stimmung profitieren, denn Rosario ist hockeyverrückt, und Damenhockey hat hier einen höheren Stellenwert als das der Herren. Natürlich zählen auch die Niederlande, unser ärgster Gruppenkonkurrent, zu den Topfavoriten. China ist bei Turnieren immer stark. In unserer Gruppe müssen wir auf dem Weg ins Halbfinale Australien hinter uns lassen.

Ihnen fehlen mit der schwangeren Anke Kühn und der verletzten Jennifer Plass zwei Stammspielerinnen, dazu war Kapitänin Fanny Rinne wegen einer Nierenbeckenentzündung lange krank. Wo sehen Sie Ihr Team derzeit?

Ich würde uns trotz der Ausfälle zum Favoritenkreis zählen. Wir haben bei der Champions Trophy in Nottingham im Juli gesehen, dass wir auch ohne Anke und Fanny gut spielen können. Fanny ist zum Glück wieder in Form. Wir müssen uns vor niemandem verstecken. Unser Plus ist, dass unser System nicht auf einzelne Spielerinnen zugeschnitten ist. Wir haben auf jeder Position Mädels, die das Zepter in die Hand nehmen können. Das ist unsere Stärke.

Was sind die Schwächen, die das Team abstellen muss?

Wir verlieren ab und an die Konzentration und werden hektisch. Das macht den Gegner stark, das müssen wir abstellen. Da ist Disziplin gefragt.

Haben Sie sich damit abgefunden, dass Damenhockey im Schatten der Herren steht?

Als Sie Anfang August in Mönchengladbach im Rahmen der Champions Trophy der Männer ein Testspiel gegen Spanien absolvierten, war das Stadion fast leer. Es ist kein Geheimnis, dass bei den Frauen das Tempo fehlt und weniger körperbetont gespielt wird. Aber wenn man sieht, wie viele Zuschauer trotzdem in Argentinien oder auch in Holland Damenspiele anschauen, dann ist das für uns schon manchmal traurig. Im kommenden Jahr ist in Mönchengladbach ja die kombinierte EM für Damen und Herren. Das ist ein guter Maßstab für uns, um zu sehen, welchen Standard wir gegenüber den Jungs haben.

Sie stehen vor Ihrer ersten WM im Damenbereich. Welchen Stellenwert hat dieses Turnier im Vergleich zu Olympia 2008 in Peking?

Die WM steht Olympia in nichts nach, denn es treffen sich die besten Teams der Welt. Meine Rolle hat sich allerdings schon verändert. In Peking war ich die Jüngste und musste als Außenverteidigerin einfach meinen Job erfüllen. Jetzt habe ich eine deutlich offensivere Position, auf der ich viel mehr für den Spielaufbau tun muss. Ich habe mehr Freiheiten, aber auch mehr Verantwortung. Das gefällt mir, aber ich muss in diese Rolle auch erst hineinwachsen.

Sie kennen diese Rolle doch aus dem Klub. Was ist im Nationalteam so großartig anders?

Das Niveau ist einfach viel höher als im Verein. In der Liga kann ich mehr riskieren, international hat ein leichtsinniges offensives Dribbling ganz andere Konsequenzen. Da überlegt man sich das lieber zweimal. Tatsächlich wird Ihnen bisweilen vorgeworfen, phlegmatisch zu wirken und nicht so dominant aufzutreten wie beim UHC.

Warum ist das so?

Ich denke, dass das tatsächlich nur so wirkt, aber nicht so ist. Im UHC habe ich als Spielführerin eine ganz andere Rolle und Verantwortung als im Nationalteam. Meine defensiven Aufgaben habe ich dort gut im Griff, aber mir fehlt der Killerinstinkt, um den direkten Zug zum Tor zu haben und den Abschluss zu suchen. Daran arbeite ich.

Woran liegt es, dass Ihnen das Selbstvertrauen fehlt? Immerhin waren Sie 2008 Hockeyspielerin des Jahres, der Ausrüster Adidas wirbt mit Ihrem Gesicht für Hockey.

Mir fehlt es nicht an Selbstvertrauen. Aber ich weiß, dass ich mit meinen 23 Jahren nicht die beste Spielerin sein kann. Manchmal ist es mir unangenehm, dass Adidas mit mir wirbt, weil ich denke, dass es andere Leistungsträgerinnen genauso verdient hätten. Aber nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich bin schon stolz darauf und auch froh, so einen Partner zu haben.

Spüren Sie eine gewachsene Popularität, seitdem Sie 2008 so ein großartiges Jahr hatten?

Ich werde jetzt nicht ständig auf der Straße erkannt oder so, aber einige, die meinen Namen gelesen oder mein Bild gesehen haben, sprechen mich schon an. Und ich höre auch häufiger, dass Kinder und Jugendliche sich mein Poster ins Zimmer hängen. Das spornt mich an.

Hat die Unterstützung von Adidas Sie auch finanziell weitergebracht?

Christopher Zeller, Torjäger der deutschen Hockeyherren und ebenfalls Adidas-Gesicht, hat zuletzt gesagt, im Vergleich zu anderen Sportarten sei der Verdienst von Hockeyspielern ein schlechter Witz. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Im Vergleich zu den Herren ist es für uns Damen noch krasser. Ich bin so froh, dass sich das Team Hamburg um meine Förderung kümmert, sonst hätte ich als Studentin nur das, was die Sporthilfe als Unterstützung zahlt, und das wäre sehr hart. Im Verein haben wir mit dem Audi-Zentrum Hamburg ein Unternehmen, das viel für unsere Jugend- und Talentförderung tut, und das netterweise auch mich persönlich unterstützt. So etwas müsste es viel häufiger geben. Oder Fördervereine aus privaten Sponsoren, die die Hockeyspieler unterstützen.

Dabei hört man doch oft, dass Unternehmen gern Sportler einstellen, weil sie wissen, dass die sehr leistungsbezogen denken und arbeiten.

Davon habe ich leider noch nicht viel gespürt. Ich habe mein Studium der Wirtschaftswissenschaft mit dem Bachelor abgeschlossen und schwanke zwischen Master und Einstieg ins Berufsleben. Ich mache gerade ein Praktikum bei der Lampendesignerin Livia. Sie hat sehr viel Verständnis für meine Terminnöte. Aber wie viele Arbeitgeber gibt es, die das so sehen? Ich träume deshalb von einem Job, den ich von unterwegs machen kann. Das würde vieles erleichtern.

Haben Sie sich schon gefragt, warum Sie sich die Dreifachbelastung aus Vereinshockey, Auswahlteam und Beruf überhaupt antun?

Das nicht, denn das Hockey gibt mir so viel. Ich habe Orte auf der Welt gesehen, an die ich ohne den Sport vielleicht nie gekommen wäre. Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass wir Hockeyspieler uns mit unserem Sport eine solide finanzielle Basis schaffen könnten. In anderen Nationen erhalten die Auswahlspieler pro Lehrgangstag Geld, außerdem werden die Auswahlteams an zentralen Orten zusammengezogen und trainieren viel häufiger gemeinsam.

Kann Deutschland auf lange Sicht mit dem hier herrschenden System überhaupt in der Weltspitze mithalten?

Wir müssen es versuchen, denn letztlich wollen wir alle dieses System beibehalten. Wir wollen gar nicht zentralisiert werden, weil wir es zu schätzen wissen, dass wir nicht ständig aufeinander hängen müssen. Dafür geben wir auf unseren Lehrgängen immer Vollgas.

Der Ligenbetrieb in Deutschland ist, auch wegen der langen Hallensaison, so intensiv wie nirgendwo. Um die Nationalspieler zu schonen, wurde ihnen im letzten Winter verboten, in der Halle zu spielen. Ist das der richtige Weg?

Ich halte Verbote nur in Ausnahmefällen für richtig, und der letzte Winter war eine Ausnahme, weil die Männer schon im März ihre Feld-WM spielen mussten. Grundsätzlich darf es jedoch nicht sein, dass sich die Vereine den Auswahlteams komplett unterordnen. Es ist für viele wichtig, in der Halle zu spielen, das bringt Abwechslung und macht den Sport interessant. Was wir Nationalspieler uns allerdings schon wünschen, sind längere Pausen nach der Feldsaison oder nach großen Turnieren. Wir haben nach Bundesligaende gleich die WM-Vorbereitung gestartet, und nach der WM beginnt zwölf Tage später schon wieder die Liga. Das ist sicherlich nicht förderlich für die Gesundheit und die Motivation.

Was für Sie auf der Strecke bleibt, ist das Privatleben, weil neben Hockey und Beruf keine Zeit mehr bleibt.

Ganz so schlimm ist es auch nicht. Während der Hallensaison bin ich schon häufiger zuhause. Außerdem bin ich ein sehr eifriger Nutzer der Neuen Medien, über die ich die Kontaktpflege einigermaßen hinbekomme. Ich habe ein i-Phone, über das ich von unterwegs Mails lese und schreibe. Das spart viel Zeit. Außerdem bin ich viel bei Facebook unterwegs. Dort haben wir für die Damen-Nationalmannschaft eine Seite eingerichtet (www.facebook.de/diedanas, d. Red.), die ich gemeinsam mit Katharina Otte pflege. Dort laden wir Fotos und Videos hoch und schreiben kleine Berichte, um die Leute in der Heimat auf dem Laufenden zu halten.

Haben Sie viele Freunde außerhalb des Hockeys?

Ich habe nie auf Krampf versucht, mir Freunde außerhalb des Sports zu suchen, weil ich auch mit meinen Hockeymädels durchaus andere Themen habe als unseren Sport. Ich könnte auch mit meiner Zimmerpartnerin Lina Geyer zusammenwohnen, ohne dass wir uns langweilen würden.

Dabei heißt es doch immer, in Frauenteams herrsche Zickenzoff. Ist das ein Vorurteil?

Es stimmt, dass Mädchen mit direkter Ansprache nicht so gut umgehen können wie Jungs. Aber bei uns im Team können wir geradeheraus über alles reden, ohne dass es großen Streit gibt. Deshalb ist es recht entspannt.

Dennoch hat Bundestrainer Michi Behrmann Wert darauf gelegt, dass das Hotel in Rosario zentral liegt, damit Sie an den freien Tagen mal rauskommen. Eine Kasernierung aus Sicherheitsgründen, wie die Herren sie bei der WM in Indien erlebt haben, würde das Team laut Behrmann nicht so gut verkraften können.

Da mag er Recht haben. Wir Mädels brauchen es, in ein Einkaufszentrum gehen und dort einen Kaffee trinken zu können. Die Jungs setzen sich einfach vor ihre Playstation und sind zufrieden. Das tun wir auch mal, aber es reicht nicht für gute Laune. Die Jungs haben uns jetzt auch das Puzzle mitgegeben, das sie in Indien als Team zusammengebastelt haben. 3000 Teile! Mal sehen, ob wir das auch hinbekommen.

Sie werden auch in Argentinien wieder Unterstützung der Familie haben. Ihr Vater, der auch UHC-Präsident ist, ist eigentlich überall dabei, wo Sie spielen. Ist Ihnen das wichtig, oder nervt es auch manchmal?

Ich freue mich immer, wenn jemand aus der Familie dabei ist. Meine Mutter ist Lehrerin und hat leider Schule, sonst wäre sie auch dabei, meine Schwester steckt mit dem UHC in der Bundesliga-Vorbereitung, und mein Bruder hat am 9..September mit seiner Hip-Hop-Band "Eljot Quent" ein Konzert im "Klubsen". Aber mein Papa ist ja zum Glück auch keiner, der am Spielfeldrand herumbrüllt. Das würde mich schon nerven. Aber er ist ganz ruhig. Er darf weiter mitkommen.