Die erste deutsche Gold-Gewinnerin des 100-m-Sprints seit 20 Jahren hatte Coup schon vorher im Kopf. Sonntag nächste Gold-Chance.

Barcelona. Im Kopf hatte Verena Sailer den EM-Triumph schon lange vor dem Finale von Barcelona gefeiert. „Ich hatte das Bild vor Augen, als erste über die Ziellinie zu laufen“, erzählte die 24-jährige Sprinterin nach dem 100-Meter-Sensationscoup am Donnerstagabend über ihre Vision. „Ich wollte es absolut. Ich wollte es das ganze Jahr.“ Dieser unbändige Siegeswille war der Treibstoff, mit dem sie in 11,10 Sekunden zum EM-Gold flitzte und den deutschen Sprint aus einem zwei Jahrzehnte langen Dornröschen-Schlaf riss. „Auf welche Art und Weise sie das gemacht hat, war klasse“, lobte Melanie Paschke die Europameisterin. Die Braunschweigerin hatte 1994 die letzte (Bronze-)Medaille über 100 Meter für Deutschland bei einer EM gewonnen. „Solche frischen Gesichter brauchen wir.“ Verena Sailer musste alles geben, um nach einem nicht ganz so starken Start am Ende die Französin Véronique Mang mit dem Wimpernschlag von einer Hundertstelsekunde noch auf Platz zwei zu verdrängen.

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„Es war hart, aber ich habe einfach die Birne ausgeschaltet und bin gerannt“, sagte die Athletin der MTG Mannheim, die 20 Jahre nach der ehemaligen DDR-Läuferin Katrin Krabbe erstmals wieder einen Titel für die deutsche Leichtathletik gewinnen konnte. „In der allgemeinen Wahrnehmung ist ein 100-Meter-Titel von besonderem Glanz“, meinte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). „Ich denke, dass er einen Schub für den Sprint bringt.“

Im Halbfinale wäre die „Mission Gold“ aber um ein Haar auch schief gegangen: Nach dem Hochschnellen aus dem Startblock geriet sie durch zu großer Vorlage des Oberkörpers leicht ins Straucheln. „Diesen Tritt in den Hintern habe ich gebraucht“, meinte die blonde Sportmanagement-Studentin, die im Halbfinale mit Hilfe des Windes 11,06 Sekunden schnell lief.

Geärgert hat die aus dem bayerischen Illertissen stammende Sailer, dass ihr vor der EM von manchen Leuten nichts zugetraut wurde. „Da haben einige gesagt, was ich denn bei einer EM als deutsche Sprinterin überhaupt zu suchen hätte“, sagte sie. „Doch ich habe mich nie als Außenseiterin gefühlt.“

Schließlich hatte die Allgäuerin sich schon 2009 einen Namen gemacht: Bei der Hallen-WM holte sie Bronze über 60 Meter, führte die deutsche Sprintstaffel als Schlussläuferin bei der Heim-WM in Berlin auf den dritten Rang und war als Solistin schnellste Europäerin. „Verena hat den Bann gebrochen. Ich hoffe, es geht weiter bergauf“, sagte Hürdensprinterin Carolin Nytra, die am Freitag ihr Medaillen-Projekt begann. „Sie hat gezeigt, dass im Frauen-Sprint in Deutschland etwas geht.“

Trotz des gewonnenen Vertrauens zur eigenen Stärke, mischte sich bei Verena Sailer vor der EM auch Versagensangst in ihre Gefühlswelt. „Ich hatte immer Schiss davor, mir selbst was einzureden und am Ende enttäuscht zu sein, wenn es nicht klappt“, bekannte sie. „Deshalb habe sie sich vor der EM mit Prognosen öffentlich zurückgehalten. Kein Wort von einer Medaille oder gar den Titel verloren! „Aber in Wirklichkeit wollte ich immer nur gewinnen, und das war auch das Einzige, das heute für mich gezählt hat.“

Wichtig ist ihr nun, auch mit der 4x100-Meter-Staffel in die Erfolgsspur zu laufen. „Wir wollen mit der Staffel noch viel erreichen und darauf muss ich mich jetzt konzentrieren“, spekuliert Verena Sailer am Sonntag auf das zweite EM-Gold.