Die fünfmalige Olympiasiegerin im Eisschnelllauf klagt bereits in zweiter Instanz gegen ihre Dopingstrafe von 2009. Pechstein wurde damals vom Weltverband anhand von Indizien für zwei Jahre gesperrt.

München. Von einem Weinkrampf übermannt verließ Claudia Pechstein kurz den Gerichtssaal. Dabei hätte die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin am Donnerstag nach dreistündiger Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München erheblichen Grund zur Freude. „Ich habe zum ersten Mal vor einem Gericht gespürt, dass ich Recht habe. Meine Tränen kann man als Freudentränen werten“, sagte die 42-Jährige, die drauf und dran ist, ein bahnbrechendes Urteil nicht nur für sich, sondern für die gesamte Sportwelt zu erzwingen.

Zuvor hatte das Gericht ein Urteil im Schadenersatzprozess der Berlinerin gegen den Weltverband ISU für den 15. Januar 2015 angekündigt. Das Gericht setzte beiden Seiten eine Frist bis zum 8. Dezember für schriftliche Nachreichungen.

Wie zuvor das Landgericht München I hatte auch Richter Rainer Zwirlein deutliche Zweifel an der Wirksamkeit der Sportgerichtsbarkeit geäußert. Die Monopolstellungen der Verbände wie der ISU seien „der krasseste Fall von Marktbeherrschung überhaupt“, formulierte er. Keine Aussage gab es zur Schadenersatzforderung Pechsteins gegenüber der ISU, dessen Gesamtstreitwert das Gericht auf 4.404.126,09 Millionen Euro bezifferte.

Das Konstrukt der Sportgerichtsbarkeit werde nun nach dem Urteil im Januar in München der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe unter die Lupe nehmen müssen, kündigte Zwirlein an. Erst danach werde die Dopingsperre Pechsteins und die Schadensersatzforderung gegenüber der ISU womöglich neu verhandelt. „Wir haben einen Berg von prozessualen Problemen, der zu besteigen und hoffentlich zu bewältigen ist“, sagte der Richter.

„Möglicherweise hat der BGH das letzte Wort, und wenn der das auch so sieht wie wir und das OLG, dann kommen wir zur Frage der Dopingsperre. Wir sind sehr optimistisch, dass Claudia Pechstein voll und ganz rehabilitiert wird“, bemerkte ihr Pechsteins Anwalt Thomas Summerer. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass das OLG dazu neigt, den Schiedsspruch des Sportgerichtshofes CAS nicht anzuerkennen. Das bedeutet, dass die deutschen Gerichte nicht an diesen obskuren Schiedsspruch aus der Schweiz gebunden sind.“

ISU-Anwalt Dirk-Reiner Martens verließ wortlos den Gerichtssaal. Im Prozess hatte er für den Fall, dass Schiedsvereinbarungen ungültig würden, erklärt: „Das führt zu chaotischen Verhältnissen innerhalb des internationalen Sports.“ Hingegen zeigte sich sein Konkurrent Summerer sehr zufrieden. „Es hat sich gezeigt: Die Athleten können sich auf das Grundgesetz berufen.“ Nach seiner Auffassung ist der „CAS in seiner Existenz infrage gestellt“ worden.

Bei der mündlichen Verhandlungen nahmen sich die drei Richter ausführlich den internationalen Sportgerichtshof und vor allem die Wahl der Richter in Lausanne vor. Martens musste das Gremium, dem erst selbst angehört, immer wieder verteidigen. Die Richter um Zwirlein rügten vor allem, dass Athleten bei der Wahl der CAS-Richter kaum Mitspracherecht hätten. „Der CAS ist heute zerpflückt worden“, sagte daher Pechstein-Anwalt Summerer der dpa.

Pechstein hatte die ISU auf Schadenersatz verklagt, weil sie ohne Doping-Beweis wegen erhöhter Blutwerte für zwei Jahre gesperrt wurde.

Die Berlinerin behauptet, nie gedopt zu haben, und spricht von einem Fehlurteil. Sie macht eine inzwischen von Experten festgestellte, geerbte Blutanomalie für ihre Werte verantwortlich.

„Ich denke, dass generell Athleten mehr Rechte eingeräumt werden müssen. Was am Ende raus kommt, steht in den Sternen“, meinte Pechstein. Überraschend verließ sie um 14.36 Uhr unter Tränen den Saal, als ihr Anwalt das aus seiner Sicht geschehene Unrecht durch ISU und den CAS auflistete. Nur zwei Minuten später wurde sie von ihrem Lebensgefährten Matthias Große wieder in den Saal zurückgeführt.