Vor seiner Titelverteidigung gegen Kubrat Pulev in der bereits ausverkauften Hamburger O2 World spricht Wladimir Klitschko darüber, wie die bevorstehende Vaterschaft sein Leben verändern wird.

Going. Auch wenn das nasskalte Tiroler Wetter eher an Oktober erinnert, gibt es für Wladimir Klitschko inmitten der Sommerurlauber im ausgebuchten Promihotel Stanglwirt nur ein einziges Ziel: den 6. September. An jenem Sonnabend verteidigt der Dreifach-Boxweltmeister im Schwergewicht seine Titel in der bereits ausverkauften Hamburger O2 World gegen den Bulgaren Kubrat Pulev, 33, vom Berliner Sauerland-Team. Mit sieben Sparringspartnern, darunter der 2012er-Olympiasieger Anthony Joshua aus England, bereitet sich der 38 Jahre alte Ukrainer seit drei Wochen und noch bis 31. August in Österreich vor.

Hamburger Abendblatt: Herr Klitschko, wer beobachtet, wie Sie im Training mit 15 Jahre jüngeren Sparringspartnern durch den Ring tanzen, der fragt sich, wie man mit 38 Jahren noch so fit sein kann.

Wladimir Klitschko: Ich frage mich das auch manchmal. Auch ich habe Angst vor der tickenden biologischen Uhr. Aber ich hatte in meiner Karriere nie viele Pausen, habe mich immer fit gehalten. Das hat mir sicherlich geholfen. Ich glaube, dass der Körper positiven Stress in Form von Training braucht, damit er nicht langsam verfällt.

Spüren Sie keine Veränderungen in Ihrer Fitness? Fühlen Sie sich nie alt?

Klitschko: Ich merke es vor allem an anderen, dass ich älter werde. Wenn ich Menschen nach längerer Zeit wiedersehe und die sich verändert haben, dann weiß ich, dass die Zeit läuft. Was meine Fitness angeht: Früher dachte ich, man muss im Alter mehr und härter trainieren, um die Form zu halten, aber das stimmt nicht. Man muss gezielter trainieren. Ich dachte auch, dass die Reaktionsfähigkeit abnimmt, aber das stimmt auch nicht, zumindest bislang noch nicht. Wie lange das so weitergeht, kann ich nicht sagen. Aber ich überprüfe mich ständig selbst und habe auch ausreichend Menschen in meinem Team, die mir sagen werden, wenn ich über den Berg bin. Ich bin derzeit Wissenschaftler und Versuchskaninchen in einer Person. Das macht mir großen Spaß.

Die Motivation scheint Ihnen auch nie zu fehlen, obwohl Sie so dominant und den Gegnern oft deutlich überlegen sind.

Klitschko: Mein Antrieb ist zu einem großen Teil Angst. Die Angst, einen Kampf zu verlieren, und auch die Angst vor der Angst, einen Kampf zu verlieren. Für mich ist das aber nicht störend, sondern eine gesunde Angst. Ich will mich in jedem Kampf verbessern und noch dominanter werden. Außerdem weiß ich, dass es nichts in meinem Leben geben wird, wo ich meine Qualitäten deutlicher darstellen kann als im Boxen. Mit 38 habe ich keine Zeit mehr zu verlieren. Ich weiß, wie es ist, ganz unten zu sein, und ich weiß, wie lange es dauert, um wieder nach oben zu kommen. Das ist mein Antrieb dafür, um nie wieder zu verlieren.

Zum Jahresende werden Sie auf eine ganz neue Probe gestellt. Sie werden Vater, Ende November soll Ihre Partnerin Hayden Panettiere ihr erstes Kind zur Welt bringen. Was denken Sie, wie dieses Erlebnis Ihre Karriere beeinflusst?

Klitschko: Ich habe in meinem Kopf natürlich schon viele Dinge durchgespielt, aber ich sehe mich nicht in der Lage, heute abschätzen zu können, wie es mir als Vater wirklich gehen wird. Im Moment verspüre ich bei dem Gedanken an das Kind nur eine große Vorfreude, und daraus entsteht eine ebenso große Motivation.

Denken Sie, dass Sie als Vater mit der Verantwortung für einen anderen Menschen anders kämpfen werden, Ihnen das Risiko eines Boxkampf bewusster wird?

Klitschko: Ich kann mir nicht vorstellen, dass mich die Vaterschaft in meinem Risikobewusstsein verändert oder in irgendeiner Weise behindert. Ich glaube vielmehr, dass man, ob nun bewusst oder unbewusst, die eigenen Eltern und die Erziehung spiegelt, die man selbst bekommen hat. Meine Eltern haben meinen Bruder Vitali und mich davon überzeugt, dass wir das, was wir tun wollen, mit voller Überzeugung und vollem Risiko tun müssen. Das wird sich durch die Geburt meines ersten Kindes nicht verändern, und ich möchte ja auch, dass meine Kinder mit dieser Einstellung durchs Leben gehen.

Wissen Sie schon, wo Sie leben werden als Familie? Und wie hart es für Sie werden wird, das Kind zurückzulassen, wenn Sie monatelang in Vorbereitungscamps trainieren müssen?

Klitschko: Wo wir leben werden, gehört zu den vielen Fragen, auf die wir noch keine Antwort haben. Hayden und ich sind durch unsere Jobs beide an gewisse Orte gebunden. Dank des Internets kann man ja heutzutage sehr gut auch über große Distanzen in Verbindung bleiben. Natürlich möchte ich viel Zeit mit der Familie verbringen, ich möchte auch bei der Geburt dabei sein. Aber ich bin weiterhin heiß auf das Boxen, und nur wegen der Geburt des Kindes bleibt mein Leben ja nicht stehen. Ich habe das bei Vitali dreimal miterlebt, dass er trotz seiner Kinder seine Überzeugungen verfolgt hat. Er hat mir nur gesagt, dass er als Vater in seinen Kämpfen härter zugeschlagen habe als früher. Ich bin gespannt, wie das bei mir sein wird.

Viele Sportler, die Vater werden, wünschen sich, dass ihre Kinder sie noch als aktive Sportler erleben können. Wünschen Sie sich das auch?

Klitschko: Absolut nicht! Ich möchte nicht, dass mein Kind mich boxen sieht. Bei einem Tennisspieler wie Roger Federer ist das anders, aber Boxen ist für Kinder ein zu harter Sport. Ich will mir während eines Kampfes nicht Gedanken machen müssen, wie sehr mein Kind mit mir leidet. Ich habe das einmal erlebt, wie der Sohn meines Gegners Chris Byrd am Ring weinte, weil ich seinen Vater verprügelt habe. Das möchte ich nie erleben. Ich war schon unglücklich, als Vitali seinen Sohn mal zu einem meiner Kämpfe mitgebracht hat. Das hat mir gar nicht gefallen.

Die Vaterschaft ist also leider keine Motivation für Sie, noch ein paar Jahre in den Ring zu steigen.

Klitschko: Nein, auf keinen Fall. Meine Motivation ist die, dass ich der Beste sein und mich in jedem Kampf noch verbessern will. Und solange mir das gelingt, gibt es keinen Grund für mich, mit dem Boxen aufzuhören.