Der Hamburger Profiboxer Jack Culcay kann am Sonnabend in Erfurt Europameister im Halbmittelgewicht werden. Um diesen Schritt zu schaffen, hat der 28-Jährige einiges verändert.

Hamburg. Das Ereignis, das Jack Culcay aus der Ruhe bringt, muss wohl noch erfunden werden. Ist ja nicht alltäglich, um den ersten großen Titel als Boxprofi kämpfen zu müssen, während alle eine deutliche Leistungssteigerung erwarten und nebenbei auch noch der eigene Arbeitgeber vor ungewisser Zukunft steht. Aber Jack Culcay juckt all das nicht. Er sitzt in seinem Sessel, zwischen zwei Antworten tippt er Nachrichten in sein Smartphone, und würde man ihn nicht kennen, man würde kaum glauben, dass das Duell, das ihm bevorsteht, wichtiger ist als ein Spaziergang mit seinem Hund um die Alster.

Tatsächlich hat Jack Culcay die Chance, an diesem Sonnabend (22.35 Uhr/ARD) in Erfurt die Weichen auf seinem Karriereweg in Richtung Weltspitze zu stellen. Gelingt dem Hamburger Halbmittelgewichtler ein Sieg gegen den spanischen Europameister Isaac Real, dann ist die Chance groß, im kommenden Jahr auch bei den Profis das zu werden, was er 2009 bei den Amateuren schon war: Weltmeister! „Natürlich ist das mein Ziel. Aber ich darf vor dem ersten Schritt nicht an den nächsten denken“, sagt er.

Vielleicht ist es die wichtigste Lehre aus den vergangenen Monaten, dass nicht alles so schnell und reibungslos klappt im Leistungssport, wie sich das manche erhoffen. Culcay, der nach dem Gewinn des Amateur-WM-Titels als „Golden Jack“ mit viel Vorschusslorbeer beim Hamburger Universum-Stall in seine Profilaufbahn startete, hat eine harte Phase der Stagnation hinter sich. Sechs Trainer hat er, aus unterschiedlichsten Gründen, in nicht einmal fünf Profijahren verschlissen. Die Insolvenz Universums zwang ihn zudem zum Promoterwechsel, seit 2012 steigt er für das Berliner Sauerland-Team in den Ring. Was eine solche Phase der Inkonstanz, gepaart mit Unregelmäßigkeiten im familiären Bereich, bewirken kann, zeigte sich im April in seinem bislang letzten Kampf. Den limitierten Franzosen Salim Larbi bezwang der gebürtige Ecuadorianer zwar nach Punkten, doch nahm er so viele Treffer, dass sich sein Manager Moritz Klatten – die einzige Konstante auf Culcays Karriereweg – verwundert fragte, ob sein Paradesportler einen Doppelgänger geschickt hatte.

Klatten, der in Personalunion auch als Athletikcoach wirkt, hat reagiert auf die Stagnation. Er hat dem 28-Jährigen eine lange Pause verordnet, aus der er mental und physisch gestärkt zurückkehrte. Vor allem aber hat Culcay seine Komfortzone verlassen. Für die Kampfvorbereitung lebte er vier Wochen in Dänemark, wo sein neuer Trainer Joey Gamache sein Gym hat. Der 48-Jährige ist Nummer sieben auf Culcays Trainerliste, und die Hoffnung, in ihm eine Dauerlösung gefunden zu haben, ist groß.

Der US-Amerikaner, der zwischen 1987 und 2000 selbst 59 Profikämpfe im Leichtgewicht bestritt, scheint in jedem Fall einen Ansatz gefunden zu haben, der Culcay überzeugt. War der Boxer in vergangenen Arbeitsverhältnissen eher genervt davon, dass jeder neue Coach versuchte, ihm Veränderungen in seinem Stil als notwendig zu verkaufen, so gefällt ihm Gamaches Credo, vorhandene Stärken zu stärken, weitaus besser. Bei Gamache hört sich das so an: „Für Jack war es sehr schwierig, sich immer wieder auf neue Einflüsse einzustellen. Ich sehe meine Aufgabe darin, das Fundament zu stärken. Ich muss ihm nicht erklären, wie man kämpft. Ich muss ihn darin bestärken, wieder der Jack Culcay zu sein, der er sein möchte.“

Zurück zu den Wurzeln also, so könnte man das Konzept beschreiben, mit dem Gamache helfen will, die hohen Ansprüche, die das Umfeld an Culcay stellt, befriedigen zu können. Um Treffer zu vermeiden, soll sich der Modellathlet wieder viel mehr bewegen, an der Schnelligkeit von Beinen und Kopf haben sie viel gewerkelt. Dieser Stil, hängende Deckung und schnelles Pendeln, hatte Culcay bei den Amateuren von allen anderen deutschen Boxern abgehoben. „In meinen letzten Kämpfen habe ich zu viel nachgedacht, ob ich auch das umsetze, was die Trainer wollten. Dadurch war ich blockiert. Jetzt hoffe ich, dass ich meinen Instinkt wieder mehr zur Geltung bringen kann“, sagt er.

Nicht nur Fans und Trainerteam werden genau hinschauen am Sonnabend, ob das gelingt. Auch für seinen Promoter, der nach dem angekündigten Ausstieg von Exklusivpartner ARD neue TV-Konzepte schmiedet, wäre ein deutscher WM-Anwärter mehr ein weiteres Faustpfand. Culcay lässt das kalt. „Ich kenne die Situation ja schon von Universum. Irgendwie geht es immer weiter, ich mache mir da keinen Kopf“, sagt er. Irgendwie reicht zwar nicht mehr für einen mit Culcays Ansprüchen. Aber deshalb muss man ja noch lange nicht die Ruhe verlieren.