Im Fanrestaurant „Die Raute“ in der Hamburger Imtech Arena fieberten während des letzten Saisonspiels des abstiegsgefährdeten Hamburger SV etwa 300 Fans mit. Es herrschte eine aufgeheizte und aufgewühlte Stimmung.

Hamburg. Das Leben ist wie ein Fußball, heißt es. Es hat schwarze und weiße Felder und rollt und rollt. Seit Sonnabend, dem zehnten Mai 2014, 17.17 Uhr ist das Leben jedoch zunächst einmal vorbei - jedenfalls für die Hunderte von getreuen Fans, die sich in der Raute versammelt hatten, um den Showdown live mitzuverfolgen. Den Dreikampf zwischen Eintracht Braunschweig, dem 1. FC Nürnberg und dem so genannten Dino der Ersten Bundesliga, dem HSV. Um den 16. Platz in der Tabelle, der zur Relegation gegen den Dritten der Zweiten Liga berechtigt. Und damit zur Hoffnung. Auf "den historischen Tag" kann und will hier jeder verzichten. Hauptsache, die anderen verlieren. Und hatte nicht Rainer Calmund orakelt, all drei Abstiegskandidaten würden verlieren? Ein dünner Strohhalm, gereicht von einem dicken Mann, der gerne genommen wird.

Doch kaum macht Schalke ein (bejubeltes) Tor gegen Nürnberg, patzt Westermann im Fünf-Meter-Raum. Mainz führt 1:0, nach wenigen Minuten schon. „Macht euch schon mal darauf gefasst...", schreit einer und verschüttet dabei sein Bier. "Westermann, du Wich....!" Aber Fußball ist eben ein Fehlerspiel und überhaupt sind es ja noch noch 80 Minuten.

Und dann kommt der Auftritt von Lasogga. Wer sonst soll beim HSV Stürmertore schießen? Der Ausgleich. Lasogga, Fußballgott! Schreien, Jubeln, Stampfen, Klatschen. Ein Aufschrei aus 300 Kehlen. Hoffenheim trifft dann auch noch gegen die Eintracht aus Braunschweig. Noch mehr Hoffnung keimt, noch mehr Zuversicht. Und der HSV macht Druck. Spielt eine anständige erste Halbzeit. Die Fans machen Druckbetankung, die zwei-Liter-Pitcher laufen am besten.

In der Halbzeit atmet die Raute Optimismus. Vorsichtigen Optimismus. Draußen, in der Zigarettenhalbzeit, diskutieren etwa 50 Bundestrainer die Lage. Die meisten dieser HSV-Fans haben nur ein Thema: "HSV plus - und die Selbstdarsteller aus dem Vorstand rausjagen. So schnell wie möglich“, sagt Uwe Holtenbom aus Eidelstedt, „noch eine weitere Saison auf diesem Niveau mache ich nicht mit. Dann verzichte ich auf meine Dauerkarte." Viele nicken.

Vom Parkplatz schallen die Technoklänge des Holi-Festivals ungefiltert herüber. Der Regen wird stärker. Egal, die zweiten 45 Minuten beginnen. Noch einmal nachschenken, noch einmal zittern. Vor allem, als Mainz mit 2:1 in Führung geht. Da entlädt sich Frust, Zorn und Frustration.

Als jedoch die Ergebnisse aus Schalke und Hoffenheim bekannt werden, kann Mainz sogar 3:1 in Führung gehen, ohne dass die Zuschauer in der HSV-Vereinskneipe ausflippen. Aber sie haben ein gutes Gespür für das, was auf dem Rasen in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt passiert: Sie sehen, wie einige ihrer bestgehassten Lieblinge auf einmal den Gang heraus nehmen. Zwei Gänge. Was den Trainer Mirko Slomka später im Interview aufregen wird. Weil ja jetzt, etwa eine Viertelstunde vor Schluss, alles gelaufen ist. Da nützt auch der 2:3 Anschlusstreffer nichts mehr. „Ruhig bleiben, alles läuft nach Plan. Der Calmund hat mal wieder recht gehabt!", sagt einer, "so 'nen Calmund würde ich mir auch mal für den HSV wünschen!“, ruft einer. Die Antwort folgt prompt: „Ohne Geld kann auch der dicke Calli nix machen...!“

Dann, endlich, der Schlusspfiff. Die Fans vor den beiden Großbildleinwänden bleiben erstaunlich gelassen. Die acht Fernsehteams dürften über die Bilder enttäuscht sein. Keine Jubelgesänge, nicht mal hoch gerissene Arme. Irgendwie wirkt das beinahe anständig, und ja, schließlich hat der HSV erneut verloren und nur durch die Niederlagen der anderen gewonnen: Hätte, wenn und aber sind längst der Erkenntnis gewichen, dass der letzte Dinosaurier aus dem Oberhaus nur durch sehr, sehr viel Glück nicht in die Niederungen der Fußballprovinz hinunter gereicht wurde. Noch nicht. Er hat jetzt den Relegationsplatz erreicht, muss entweder gegen Fürth, Kaiserslautern oder Paderborn antreten.

Sowas feiern die gebeutelten Fans nicht. Sie freuen sich – wenn man sich überhaupt über einen 16. Tabellenplatz freuen darf – still, leise und diskret nach innen. Drinnen in der Imtech-Arena tickt die Stadionuhr weiter. 50 Jahre, 259 Tage, 0 Stunden und 12 Minuten.