Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle wurde positiv auf ein Stimulanzmittel getestet. Sie beteuert ihre Unschuld

Sotschi. Am Freitagmittag hatte Evi Sachenbacher-Stehle Sotschi bereits verlassen. Olympia war für sie vorbei. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte sie aus der Mannschaft ausgeschlossen und ihre sofortige Rückreise veranlasst. Man hatte das Stimulanzmittel Methylhexanamin in ihrem Blut gefunden, es war der erste bekannt gemachte Dopingfall dieser Winterspiele. Ein Schock für Team und Funktionäre. „Dieses Thema hätten wir uns gerne erspart“, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann.

Natürlich, die Dopingkontrollen bei deutschen Athleten sind so intensiv wie sonst in kaum einem anderen Land. Gern wird von Sportlern und Funktionären unterschwellig auf die weniger engen Kontrollen in erfolgreicheren Nationen verwiesen. Und dann das.

Der deutsche Chef de Mission, Michael Vesper, erklärte in Sotschi, jeder Dopingfall sei eine große Enttäuschung. „Er ist aber auch ein Beleg dafür, dass das Kontrollsystem funktioniert. Wir haben, wie in unserem Anti-Doping-Management beschrieben, unverzüglich und konsequent gehandelt und im Vorfeld und während der Spiele alles in unserer Macht Stehende getan, um sauberen Sport zu ermöglichen.“

Um 12.16 Uhr Ortszeit teilte der DOSB zunächst mit, dass am Donnerstagabend um 21.30 Uhr der Verband „vom Internationalen Olympischen Komitee informiert wurde, dass die A-Probe bei einem Mitglied der deutschen Olympiamannschaft ein von der Norm abweichendes Ergebnis erbracht hat“. Schnell sickerte der Name Sachenbacher-Stehle durch, offiziell wurde es erst am späten Nachmittag nach der Öffnung der ebenfalls positiven B-Probe. Eine Anhörung der Athletin durch das IOC hatte es auch gegeben. Sachenbacher-Stehle sei bei einer Dopingkontrolle am vergangenen Montag nach dem vierten Platz im Massenstartrennen sowohl in der A- als auch in der B-Probe positiv getestet worden.

Wie in solchen Fällen üblich, sieht sich die 33 Jahre alte Sportlerin als Opfer unglücklicher Umstände. Sie schrieb in einer Stellungnahme „vom schlimmsten Albtraum, den man sich vorstellen kann“. In dem Statement, das ihr Management verbreitete, unterstrich sie: „Ich kann im Moment allen Beteiligten nur ausdrücklich versichern, dass ich zu keinem Zeitpunkt bewusst verbotene Substanzen zu mir genommen habe und alles daransetzen werde, diese Sache lückenlos aufzuklären.“ Ihr Bruder Josef Sachenbacher sprang ihr via „Bild“-Zeitung bei: „Sie verachtet so etwas und würde niemals dopen.“

Was also dann? Sachenbachers ehemaliger Trainer Wolfgang Pichler, der mittlerweile Frauentrainer in Russland ist, vermutet, dass der Ursprung der positiven Dopingprobe im Konsum von verunreinigten chinesischen Energieriegeln liegen könnte. „Da muss sich die Spitze des deutschen Sports auch mal hinterfragen, ob sie die Athleten richtig aufgeklärt hat“, sagte Pichler.

Der deutsche Mannschaftsarzt Klaus Marquardt widersprach umgehend. Die sogenannte „Kölner Liste“, auf der sämtliche bekannten problematischen Nahrungsergänzungsmittel erfasst sind, sei bekannt. „Wir sprechen hier von Profisportlern. Wir weisen mehr als eindeutig immer wieder auf diese Problematik hin.“ Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) habe mehrfach alle Athletinnen und Athleten vor Nahrungsergänzungsmitteln gewarnt, die Methylhexanamin enthalten. Biathlon-Cheftrainer Uwe Müssiggang erklärte: „Was mich so ärgert, ist die Dummheit.“

Die 33-Jährige aus Reit im Winkl war bereits 2006 am Tag vor der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Turin wegen erhöhter Blutwerte mit einer fünftägigen Schutzsperre belegt worden und musste sich das Auftaktrennen der Skilangläuferinnen von außen anschauen. Der Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke reagierte entsprechend heftig auf die Nachricht: „Das ist ja ein Déjà-vu. In Turin 2006 – volle Pulle“, sagte der Heidelberger Professor für Molekularbiologie: „Ich bin nur überrascht über die Dummheit, dass man sie noch so lange vor dem Wettkampf laufen lässt.“ Biathlon sei eine „versaute Sportart“, meinte Franke.

Derweil reagierten die Athleten fassungslos. Biathlet Andreas Birnbacher erklärte: „Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich hoffe immer noch, dass das ein schlechter Witz ist.“ „Das ist traurig für uns alle und ein Schock“, sagte der aktuelle Langlauf- und ehemalige Biathlonmänner-Bundestrainer Frank Ullrich, auch Kombinations-Olympiasieger Eric Frenzel zeigte sich „geschockt und sehr überrascht über diese Information“. Ich habe es gerade auf dem Handy gelesen. Und kann es gar nicht glauben“, sagte der ehemalige Sprintweltmeister Arnd Peiffer. Der für die abschließende Männerstaffel am Sonnabend als Schlussläufer vorgesehene Simon Schempp stellte fest: „Ich habe es gerade mitgekriegt. Das ist ein extremer Schock.“

Auch Kombinations-Olympiasieger Frenzel traf die schlechte Nachricht hart. „Das ist ein ganz schöner Hammer“, sagte der 25-Jährige. Alle seien überrascht, dass es so etwas in Deutschland geben könne, da das Doping-Kontrollsystem einfach viel zu gut sei. „Von daher hat es einem schon die Füße vom Boden gezogen“, meinte Frenzel.

Bundesjustizminister Heiko Maas reagierte mit einer Ankündigung einer deutlichen Strafverschärfung für Dopingsünder. „Sowohl der Besitz als auch die Anwendung von Dopingmitteln sollen unter Strafe gestellt werden. Dopingsündern und Dopingärzten drohen dann Haftstrafen von bis zu fünf Jahren“, sagte Maas. In Zusammenarbeit mit dem Innenministerium werde er noch in diesem Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.