„Hier sitze ich nach dem größten Sieg meiner Karriere und werde beschuldigt, ein Lügner und Betrüger zu sein“, sagte Froome einen Tag nach seinem beeindruckenden Solosieg auf dem Mont Ventoux.

Orange. Seine Konkurrenz hat er fast besiegt, die Schar der Skeptiker aber kaum reduziert. Christopher Froome, designierter Gewinner der 100. Tour de France, muss sich für seine Gala auf dem Rad rechtfertigen. Genau 15 Minuten waren am zweiten Ruhetag für die Pressekonferenz nach seinem bemerkenswerten Solosieg auf dem Mont Ventoux in seinem Teamhotel in Orange vorgesehen. Dreiviertel der Zeit drehte sich um das Thema Doping.

Am Ende der knapp bemessenen Zeit wurde der sonst so zurückhaltende und bescheidene Froome nachdrücklich. „Hier sitze ich nach dem größten Sieg meiner Karriere und werde beschuldigt, ein Lügner und Betrüger zu sein“, sagte der in Kenia geborene Brite vor rund hundert Journalisten, verließ den Raum und ignorierte weitere Frager. Auch Alberto Contador reagierte auf das Thema im Saxo-Bank-Teamhotel am Nachmittag in Avignon allergisch. Er vertraue Froomes Leistungen „absolut“, verbat sich aber weitere Nachfragen: „Sonst gehe ich sofort auf mein Zimmer. Ich habe noch eine harte Woche vor mir“.

Mit treuem Blick hatte zuvor Froome seinen Standpunkt in Orange wiederholt. „Ich kann nur offen sein und den Leuten sagen, in mir drin weiß ich, ich habe lange und hart trainiert. Es war eine Schlacht, bis ich zu dieser Form gekommen bin“, sagte der 28-Jährige, der sechs Renntage vor dem Ende der Frankreich-Rundfahrt das Gesamtklassement mit 4:14 Minuten vor dem Niederländer Bauke Mollema und 4:25 Minuten vor dem zweifachen Toursieger Contador anführt. Der Spanier scheint sich geschlagen zu geben: „Meine Taktik wird sich nicht ändern – auch wenn es um Platz zwei geht“.

Contador durfte nach seiner Dopingsperre in diesem Jahr zur großen Sommershow nach Frankreich zurückkehren. Auch am Sonntag auf dem mystischen Ventoux hatte er deutlich gemacht, nicht mehr „der Alte“ zu sein, was eher als gutes Zeichen zu werten wäre. Gegen Froome hatte der ausgewiesene Bergspezialist aus Pinto jedenfalls wie in den Pyrenäen nicht die Spur einer Chance. „Es gibt keinen Grund an Froome zu zweifeln. Er ist auf einem höheren Niveau, weil er hart gearbeitet hat.“

„Froome ist nicht menschlich“

Der allmächtige Sky-Teammanager Dave Brailsford, auf dessen Knowhow der gesamte Erfolg des britischen Radsports (auch auf der Bahn) gründet, versuchte seinem Kapitän am Montag beizuspringen. Froomes Boss bat die versammelten Journalisten um Hilfe. „Es ist 10 Uhr morgens. Wir haben nicht Unrechtes getan, und ich muss mir diese Fragen anhören. Setzt euch zusammen und sagt mir, was wir tun können, um euch zu überzeugen“, sagte der kahlgeschorene Brite. Er sei bereit, der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA alle Daten zur Verfügung zu stellen.

„Froome ist nicht menschlich“, hatte der Sportwissenschaftler und Gymnasiallehrer Antoine Vayer anhand der von ihm gemessenen Leistungsdaten bei der ersten Bergankunft der diesjährigen Tour in Ax-3-Domaine erklärt. Der Franzose war 1999 einer der ersten, der an dem inzwischen längst entlarvten Lance Armstrong gezweifelt hatte.

„Zweifel per se sind angebracht“

Der dreifache Toursieger und langjährige Armstrong-Kritiker Greg LeMond war am Sonntag als Gast des französischen Fernsehens im Allgemeinen geblieben. „Zweifel per se sind angebracht“, antwortete der Ex-Profi auf die D-Frage in Zusammenhang mit der erstaunlichen Leistung Froomes. Der Verdächtigte hatte schon in Ax-3-Domaines erklärt: „Unsere Resultate werden auch in zehn bis 20 Jahren noch Bestand haben.“ Auf die Frage, „Sind Sie sauber“ hatte Froome geantwortet: „Zu hundert Prozent.“

Den Vergleich mit Armstrongs Dominanz wies der Träger des Maillot Jaune am Montag zurück: „Ich meine, Lance hat betrogen, ich nicht. Ende der Geschichte.“ Die Sporttageszeitung „L’Équipe“ titelte nach Froomes Solo auf den Ventoux in großen Lettern trotzdem doppeldeutig: „Froome natürlich“.

Armstrong-Kritiker glaubt an Froome

Das kritisierte Sky-Team versucht offensiv Transparenz herzustellen. Dafür wurde sogar der bekannte und engagierte Armstrong-Kritiker und Journalist David Walsh bemüht. Der Ire, dessen Zeitung immer noch im Rechtsstreit mit dem Doper Armstrong liegt, ist seit Beginn dieser Saison im britischen Erfolgsteam „eingebettet“.

Ihm stehen angeblich alle Türen offen und Walsh versäumte in den vergangen Tagen nicht, über Twitter seine Anerkennung für Froomes Leistung deutlich zu machen: „Je mehr ich von Froome sehe, desto faszinierter bin ich. Ich bin an der Schwelle, an dieses Rennen zu glauben.“