Die ehemalige Weltmeisterin Ina Menzer steht vor dem Ende ihrer Profibox-Karriere - wie es für sie ohne den Nervenkitzel im Ring weitergehen wird, weiß die 32-Jährige noch nicht genau.

Hamburg. Neben Michael Frontzeck, dem Cheftrainer des FC St. Pauli, dem ARD-Sportmoderator Alexander Bommes und Torsten Harms, Inhaber der Firma Hermann Schlegel, war Ina Menzer, 32, am Dienstagabend im Eppendorfer Dorint-Hotel Gastgeberin der Veranstaltungsreihe „Anstoß! Hamburg“, die Macher und Multiplikatoren aus Sport, Wirtschaft und Medien zusammenführt. Die ehemalige Profibox-Weltmeisterin im Federgewicht denkt derzeit nur an den 24. August – den Tag, an dem sie ihre aktive Karriere beenden wird.

Hamburger Abendblatt: Frau Menzer, lassen Sie uns über die Anstöße reden, die Ihr Leben verändert haben. Es gibt einige Menschen, die sich fragen, warum eine Frau Ihres Aussehens boxt, anstatt zu modeln. Können Sie uns das verraten?

Ina Menzer: Ich wundere mich über solche Fragen immer etwas. Man fragt einen hässlichen Fernsehmoderator ja auch nicht, warum er nicht lieber Boxer geworden ist. Aussehen ist doch nur eine Hülle. Aber wenn Sie es wissen wollen: Für ein Model habe ich zu kurze Beine.

Mal ehrlich: Was hat Sie daran gereizt, sich in einem Ring Frau gegen Frau zu messen? Männer kämpfen als Jungs gern, die haben eher dieses Gen. Aber warum Sie?

Menzer: Ehrlich gesagt wollte ich früher gar nicht boxen, ich fand, das ist ein Sport, den Frauen nicht ausüben sollten. Aber Kämpfen hat mich immer schon fasziniert. Ich habe als Mädchen oft auch mit Jungs gerauft, was wohl daher kommt, dass ich das älteste von drei Kindern bin und immer so ein bisschen den Beschützerinstinkt gespürt habe.

Als Zehnjährige sind Sie mit Ihren Eltern aus Kasachstan nach Deutschland ausgewandert. Glauben Sie, dass Ihre Neigung zum Kämpfen auch damit zu tun hat, dass Sie lernen mussten, sich in einem fremden Land zu behaupten?

Menzer: Man sollte einen Psychologen danach fragen. Ich halte das auf jeden Fall für möglich und sogar für wahrscheinlich, denn ich glaube nicht, dass jemand, der aus behüteten oder gar reichen Verhältnissen kommt, sich für Kampfsport entscheidet.

Hatten Sie denn eine schwere Kindheit? War Ihr soziales Umfeld problematisch?

Menzer: Gar nicht, ich hatte eine tolle Kindheit, wir waren sehr viel an der frischen Luft, konnten ungestört aufwachsen. Meine Eltern hatten in Kasachstan beide gute Jobs, wir hatten ein schönes Haus in Atbasar. Aber in Deutschland musssten wir uns neu beweisen, von vorn beginnen. Das hat mich sicherlich geprägt.

Warum sind Sie denn überhaupt nach Deutschland gekommen, wenn es Ihrer Familie in Kasachstan gut ging?

Menzer: Es war die Zeit, als der Eiserne Vorhang fiel und sich der Ostblock öffnete. Alle unsere Verwandten und Freunde gingen in den Westen, da war es keine Frage, dass meine Eltern auch gingen. Und es war die richtige Entscheidung, denn danach begann die Krise. Ich war seitdem nie wieder in Kasachstan.

Bereuen Sie das?

Menzer: Wir haben dort einfach niemanden mehr. Allerdings haben mein Mann Denis und ich schon mehrfach darüber geredet, dass es spannend wäre, mal in den Urlaub nach Kasachstan zu fahren. Ich habe natürlich noch viele Erinnerungen an die Zeit, und ich würde schon gern sehen, wie sich das Land verändert hat.

Was hat sich für Sie in der ersten Zeit in Deutschland am meisten verändert?

Menzer: Ich musste erst einmal die Sprache neu lernen. Meine Großeltern haben mit meinen Eltern Deutsch gesprochen, meine Eltern mit uns nicht mehr. Ich musste also akzeptieren, dass ich auf einmal nicht mehr die Klassenbeste war wie in Kasachstan, sondern nichts mehr verstand. Das war schon hart. Aber ich hatte den Ehrgeiz, die Sprache zu lernen. Ich habe nach dem Förderunterricht noch freiwillig Vokabeln gepaukt. Nach einem Jahr konnte ich die Sprache gut.

Sie haben später sogar einen Abschluss als Fremdsprachenassistentin erworben. War das Ihrer Erfahrung geschuldet, wie wichtig Sprache für Sie war?

Menzer: Das weiß ich nicht. Ich glaube, es lag eher daran, dass ich in Mathe eine Null war und Sprachen mir immer Spaß gebracht haben. Allerdings durfte ich mir grundsätzlich keine schlechten Noten erlauben. Mein Vater war sehr streng, er hat immer darüber gewacht, dass wir fleißig waren. Was glauben Sie, was für einen Anschiss ich für Dreien im Zeugnis bekommen habe.

Wieso erlaubt ein strenger Vater seiner Tochter das Boxen?

Menzer: Meine Eltern waren anfangs immer dagegen, dass ich Kampfsport betreibe. Dann bin ich als 13-Jährige von einer Gang älterer Mädchen verprügelt worden. Daraufhin hat mein Vater uns Geschwister in eine Kung-Fu-Schule gebracht, damit wir lernen konnten, uns zu verteidigen. Der Sport wurde zu meiner Insel, auf der ich mich austoben konnte. Außer Schule und Sport durfte ich ja nichts, mein erster Discobesuch war mit 17. Deshalb habe ich mich in den Sport gestürzt. Ich hatte großen Spaß, und mein Trainer auch. Er hat mir Einzelunterricht gegeben, weil ich alles wissen wollte. Mich hat der Nervenkitzel gereizt, mich zu duellieren. Ich fand es gut, dass ich auf mich allein gestellt war. In einer Mannschaft hätte ich mich nie wohl gefühlt, weil ich mich nicht gern abhängig mache von anderen, wenn es um meinen Erfolg geht.

Dennoch ist es eine große Überwindung, sich zum Zweikampf in einen Ring zu trauen. Was gab für Sie den Anstoß dafür, das sogar professionell zu machen, obwohl Sie eine Ausbildung hatten und BWL studierten?

Menzer: Ganz einfach. Ich hatte damals kein Geld, wohnte mit 23 noch bei meiner Mutter und finanzierte mir das Ausgehen oder eine Einkaufstour durch Nebenjobs, als 2003 der damalige Universum-Geschäftsführer Peter Hanraths anrief. Die hatten mich auf einer deutschen Meisterschaft beobachtet. Es war die große Zeit von Regina Halmich, und Universum suchte Nachwuchs. Ich wollte damals schon mit dem Boxen aufhören, aber Denis bestärkte mich darin, es zu versuchen.

Ihr Mann wurde schon mehrfach als „Spielerfrau“ verhöhnt, weil er Ihnen bedingungslos den Rücken stärkt. Wie gehen Sie damit um?

Menzer: Ganz locker. Hinter jedem erfolgreichen Sportler steht ein starker Partner, und das ist bei uns nicht anders. Ohne Denis wäre ich nicht dort, wo ich bin. Er hat zum Glück eine große Begeisterung für das, was ich tue.

Haben Sie beide ein Leben in der Öffentlichkeit gewollt?

Menzer: Damals haben wir uns keine Gedanken gemacht, welche Auswirkungen die Entscheidung, Boxprofi zu werden, auf unser Leben haben würde. Es war ein Sprung ins kalte Wasser.

Dieser Sprung hat Sie als Hauptkämpferin ins ZDF geführt. Wenn Sie darauf heute zurückschauen, wundern Sie sich darüber, wie weit Sie es gebracht haben mit Ihrem Hobby?

Menzer: Absolut, ich habe viel mehr erreicht, als ich es mir hätte erträumen können. Ich hatte nichts erhofft, als ich bei Universum anfing. Ich wusste, dass mein Schicksal in meinen Fäusten steckte, aber dass ich so viel schaffen würde, dass ich Weltmeisterin werden und im ZDF live boxen würde, hätte ich mir nie erträumt.

Haben Sie manchmal darüber nachgedacht, was Sie ohne den Sport geworden wären?

Menzer: Sehr oft sogar. Ich glaube, ich wäre jetzt zweifache Mutter, hätte einen Job als Sekretärin und würde in meiner Heimat Mönchengladbach in einer Mietswohnung wohnen. Der Gedanke erschreckt mich. Wie langweilig!

An ein Leben ohne das Boxen werden Sie sich gewöhnen müssen. Am 24. August bestreiten Sie in Mönchengladbach Ihren Abschiedskampf. Sie vermarkten sich allein, gehen ins Risiko. Warum?

Menzer: Ich wollte nicht einfach so in die Bedeutungslosigkeit abgleiten, nur weil Universum insolvent ist. Ich will mich ordentlich von meinen Fans verabschieden, und es gab seit Jahren das Angebot vom Hockeypark in Mönchengladbach, dort mal zu boxen. Dass es jetzt endlich klappt, macht mich glücklich und stolz. Ich bin aber schon jetzt nervös und angespannt, weil es eine große Herausforderung ist.

Werden Sie diese Art Herausforderungen nicht vermissen? Können Sie sich ein Leben ohne Sport vorstellen?

Menzer: Ich hatte bislang nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Ich bin festen Willens, weiter in Bewegung zu bleiben. Aber ob das klappt, wenn die Verpflichtung dazu fehlt? Ich weiß es nicht, ob der Ehrgeiz groß genug ist, sich fit zu halten, wenn man nicht mehr in der Öffentlichkeit steht.

Sie haben ein Projekt für Eventboxen, Sie geben Kindern aus sozial benachteiligtem Umfeld Boxunterricht. Planen Sie für das Leben nach der aktiven Karriere auch mal ganz ohne das Boxen?

Menzer: Ich hatte schon ein paar Ideen, was in der Gastronomie zu machen oder einen eigenen Modeladen zu eröffnen. Aber das ist nie ins Planungsstadium gekommen. Ich würde schon gern dem Boxen verbunden bleiben.

Haben Sie den Anspruch, das, was Ihnen im Leben am meisten geholfen hat, an andere weiterzugeben?

Menzer: Ich weiß nicht, ob ich ein solches Sendungsbewusstsein habe. Bei mir geht es eher darum, andere Menschen für Sport zu begeistern. Mein Vater hat immer gesagt: Je mehr Zeit Jugendliche fürs Lernen und den Sport haben, desto weniger Zeit haben sie für dumme Gedanken. Da hat er recht. Das Projekt Eventboxen ist eher dafür gedacht, eine neue finanzielle Basis zu schaffen. Außerdem trage ich eine Art Schutzinstinkt in mir. Ich will denen helfen, die schwächer sind. Deshalb setze ich mich für Kinder ein, deshalb spende ich für Tiere. Und ich würde auch gern mehr mit älteren Menschen arbeiten, wenn ich Zeit hätte. Eine Idee, die ich habe, ist, Kinder und Alte in einem Projekt zusammenzubringen, damit sie voneinander lernen. Aber das habe ich noch nicht konkretisiert.

Und wie konkret sind die Planungen für eigene Kinder?

Menzer: Die Familienplanung ist noch kein Teil der mittelfristigen Zukunft. Denis und ich wollen jetzt erst einmal in das Leben nach dem Sport reinfinden.