Der Juniorchef des Profistalls Sauerland, erklärt den Konflikt mit Cheftrainer Wegner, sein Verhältnis zu Universum und warum der Faustkampf eine große Zukunft hat.

Hamburg. Kalle Sauerland ist bester Laune, als er das Abendblatt zum Gespräch in seinem Büro in Bahrenfeld empfängt, wo er als Berater für den Sportrechtevermarkter Kentaro arbeitet. Sein Lieblings-Fußballclub Tottenham Hotspur hat Manchester City 3:1 geschlagen, und für den nächsten Kampfabend des Sauerland-Teams muss der 36 Jahre alte Juniorchef nicht verreisen, weil er an diesem Sonnabend (22.30 Uhr/ARD live) in der Sporthalle Hamburg stattfindet.

Hamburger Abendblatt: Herr Sauerland, nachdem Sie lange nicht in Hamburg veranstaltet hatten, weil es die Heimat des mittlerweile insolventen Erzrivalen Universum war, kommen Sie nun innerhalb von sieben Monaten zum zweiten Mal her. Deutet sich da eine neue "Liebe" an?
Kalle Sauerland: Es gab eine Art unausgesprochene Vereinbarung zwischen dem langjährigen Universum-Chef Klaus-Peter Kohl und meinem Vater, nicht im Wohnzimmer des anderen zu veranstalten. Seit dem Aus Universums hat mein Vater seine Zurückhaltung abgelegt. Wir werden jetzt regelmäßig in Hamburg veranstalten, haben mit Jürgen Brähmer und Jack Culcay, die an diesem Sonnabend die Hauptkämpfe machen, zwei Lokalhelden im Team.

Nach dem Auslaufen des TV-Vertrags zwischen Universum und dem ZDF Ende Juli 2010 ging Universum zugrunde. Ist das gut für Team Sauerland, oder fehlt Ihnen die Konkurrenz?
Sauerland: Da muss ich zweigeteilt antworten. Universum war für mich immer Klaus-Peter Kohl, alles was nach seinem Rücktritt kam, war nur noch traurig. Als Typ fehlt er mir sehr. Mein Vater und er hatten einen Ehrenkodex, sich nicht gegenseitig Boxer abzuwerben. Sie haben sehr viel privates Geld ins Boxen investiert, weil sie den Sport als Hobby liebten. Das sollten alle, die heute im Boxen tätig sind, nie vergessen. Die Frage, ob Universum als Konkurrent fehlt, muss ich verneinen. Wir müssen Qualität liefern, egal ob wir allein auf dem Markt sind oder mit anderen. Und ich behaupte, dass wir 2012 ohne Universum qualitativ das beste Jahr unseres Bestehens hatten.

Andererseits gab es zuletzt viel Ärger um vermeintliche Fehlurteile. Werden Sie als letzter großer Promoter in Deutschland von den Weltverbänden protegiert?
Sauerland: Eher das Gegenteil ist der Fall. Jedes Urteil in Deutschland wird mittlerweile kritisch beäugt und ausführlichst diskutiert. Ich mag das Wort Fehlurteil nicht, denn oft werden solche Aussagen unter der Ignoranz oder Unkenntnis des Regelwerks getroffen. Wenn ein Boxer vier Runden klar gewinnt und den Gegner vorführt, ist er in der Gunst des Publikums oft der Sieger. Dass er die anderen acht Runden knapp verliert und damit auch den Kampf, sehen viele nicht mehr.

Sie wollen nicht ernsthaft bestreiten, dass Sie vom Heimvorteil profitieren.
Sauerland: In welchem Sport gibt es keinen Heimvorteil? Wenn man die Fans auf seiner Seite hat, gibt das immer zusätzliche Kraft und Motivation. Warum zählen in Ballsportarten Auswärtstore doppelt? Ich bestreite nicht, dass wir in Deutschland Heimvorteil haben, aber den haben wir uns erarbeitet.

Manche sagen, er wäre erkauft.
Sauerland: Es ist abstrus, uns so etwas vorzuwerfen. Wir sind seit Jahren dafür bekannt, Kämpfe zu machen, die wir auch verlieren könnten. Aber darin liegt der Reiz. Man muss in Deutschland Kämpfe anbieten, die die Sportfans interessieren, und nicht nur die Boxfans. Niemals darf das Gefühl aufkommen, dass der Sieger vorher feststeht.

Anfang Februar hat Ihr Cheftrainer Ulli Wegner genau das behauptet, als sein Schützling Eduard Gutknecht das Stallduell gegen Brähmer verloren hatte.
Sauerland: Das kam aus der Emotion nach der Niederlage. Ich war sehr enttäuscht darüber, dass so etwas aus den eigenen Reihen geäußert wurde. Aber Ulli hat sich am nächsten Morgen sofort bei mir dafür entschuldigt. Wir haben ihm klargemacht, dass so etwas nicht noch einmal passieren darf. Dennoch weiß ich, dass es wieder passieren kann, denn die Emotionen im Boxen sind unberechenbar. In anderen Sportarten kann man eine Niederlage in der folgenden Woche ausmerzen. Im Boxen ist die Arbeit von Monaten für die Katz, wenn man verliert. Darum habe ich auch viel Verständnis für Ausraster, sofern man sie wieder gutmacht.

Dennoch gibt es Anzeichen dafür, dass Wegeners Zeit abläuft. Dass beispielsweise Ihr Toptalent Jack Culcay jetzt mit Ex-Universum-Chefcoach Fritz Sdunek trainiert, kann ihm nicht gefallen.
Sauerland: Das hat den Hintergrund, dass Jack von Universum kommt und dort die Schule von Michael Timm, der ja Sduneks Schüler war, kennengelernt hat. Das darf man nicht vergessen.

Wie schwer es ist, eine Ikone zum richtigen Zeitpunkt zu verabschieden, hat der Streit zwischen Sdunek und Universum gezeigt. Wie schaffen Sie es, Wegners Abschied stilvoll abzuwickeln? Und wann?
Sauerland: Natürlich sind wir sehr dankbar für Ullis Leistung. Er hat jetzt schon einen sehr großen Platz in der Geschichte unserer Firma. Aber wir werden nicht so lange abwarten, bis es nicht mehr geht. Er hat noch drei Jahre Vertrag, danach schauen wir gemeinsam weiter. Er trainiert ja jetzt schon keine neuen Boxer mehr, deshalb denke ich, dass mit dem Ende der Ära eines Arthur Abraham und eines Marco Huck auch sein Abschied kommen wird.

Die Ära Marco Huck wäre beinahe schon vorbei gewesen, er hat zuletzt sehr hoch gepokert und seinen Marktwert getestet. Warum lassen Sie sich von Huck auf der Nase herumtanzen?
Sauerland: Versuchen kann das jeder, gelingen wird es aber niemandem. Wir haben ihm klar gesagt, wo unsere Grenze liegt. Es ist sein Recht, sich dann umzuschauen und seinen Marktwert zu testen. Er hat sich gnadenlos überschätzt. Das hat er jetzt eingesehen und bei uns langfristig unterschrieben.

Ende 2014 endet Ihr TV-Vertrag mit der ARD. Haben Sie die Sorge, dass es Ihnen so ergeht wie Universum?
Sauerland: Auf keinen Fall. Wir sind auf einem sehr guten Weg, liefern spannende Kämpfe, und die Durchschnittsquoten sind ebenfalls sehr gut. Im Allgemeinen bin ich davon überzeugt, dass wir auch ohne die ARD nicht am Ende wären, aber wenn wir so weitermachen wie zuletzt, dann werden wir sicher noch viele Jahre zusammenarbeiten. Im Gegensatz zu Universum sind wir auch international breiter aufgestellt, als sie es jemals waren. Universums Ende hing meines Erachtens auch nicht vom ZDF ab, sondern von der Entscheidung Kohls, sich zurückzuziehen.

Wenn man Ihre letzten Verpflichtungen sieht, kann man eher das Gefühl bekommen, dass Sie die Fehler wiederholen, die Universum gemacht hat. Sie haben mit Jürgen Brähmer und Firat Arslan alte Universum-Boxer geholt, haben mittlerweile ein halbes Dutzend ehemalige Universum-Kämpfer im Stall. Zudem setzen Sie auf Stallduelle, die bei Universum das Klima vergiftet haben. Wie soll das zum Erfolg führen?
Sauerland: Boxen ist Individualsport. Wir sind es den Fans schuldig, die besten Kämpfe zu machen. Neue Boxer wissen, dass es zu Stallduellen kommen kann. Wir haben an allen deutschen Boxern Interesse, die in der Weltspitze mithalten können, und alle, die wir von Universum geholt haben, zählen dazu.

Welche Fehler, die Universum gemacht hat, wollen Sie also vermeiden?
Sauerland: Wir dürfen nicht zu groß werden. Man darf den deutschen Markt nicht mit Namen überfluten und das Boxen auch nicht kaputtsenden, wie es vor ein paar Jahren der Fall war, als es 30 und mehr Kampfabende pro Jahr live im Fernsehen gab. Ich glaube, dass der deutsche Markt nur fünf bis sechs große Hauptkämpfer verträgt. Das sind derzeit Wladimir Klitschko, Felix Sturm, Arthur Abraham, Marco Huck, Jürgen Brähmer und in der Zukunft Jack Culcay oder Pablo Hernandez. Und wir sind mit Leuten wie Enrico Kölling, Tyron Zeuge, Robert Helenius oder Dustin Dirks gut aufgestellt.

Ihnen könnte ein Nachwuchsproblem drohen, wenn der Amateur-Weltverband AIBA seine Pläne umsetzt und einen Profiverband gründet, um die Talente bei sich zu halten. Was denken Sie darüber?
Sauerland: Ich verstehe das Ganze nicht, weil ich glaube, dass da gerade ein Hass ausgelebt wird, der sich über Jahre aufgestaut hat, aber unbegründet ist. Jeder Junge, der Boxer wird, träumt in erster Linie davon, Profiweltmeister zu werden. Ich finde die Trennung zwischen Amateuren und Profis richtig, denn im Amateurlager erfolgt die Grundausbildung. Dass die AIBA jetzt versucht, das Ganze zu vermischen, halte ich für falsch.

Aber muss man nicht verstehen, dass die Amateurverbände die Nase voll davon haben, Sportler auszubilden und dann mit leeren Händen dazustehen, wenn die im Profibereich reich werden und die Promoter ebenso? Bräuchte es nicht größere Solidarität seitens des Profilagers?
Sauerland: Es gibt seit Jahren Solidarität, nicht nur von unserer Seite, auch von anderen Promotern. Außerdem ist es falsch, den Promotern zu unterstellen, sie würden nur Gewinn abschöpfen. Da wird vergessen, welche Investitionen nötig sind, um Sportler aufzubauen. Längst nicht alle spielen die Investitionen wieder ein. Wenn die AIBA ehrlich wäre, müsste sie sagen: Wir wollen Geld verdienen, also machen wir das Amateurboxen dicht und werden Profiverband. Aber dann muss man mit Konkurrenz leben und nicht damit drohen, alle anderen fertigmachen zu wollen.

Allein in Deutschland gibt es mittlerweile drei Profiboxverbände. Sauerland als wichtigster deutscher Promoter ist trotzdem Mitglied im österreichischen Verband. Warum kehren Sie nicht in den Bund Deutscher Berufsboxer zurück?
Sauerland: Als wir 2004 ausgetreten sind, hatte das Gründe. Zum einen gab es von einem BDB-Amtsträger rassistische Äußerungen, von denen sich die Verbandsspitze nicht distanziert hat. Zum anderen waren wir mit dem Antidopingkampf unzufrieden. Der österreichische Verband hat unser Anliegen umgesetzt, dass wir bei unseren Boxern das komplette Nada-Programm anwenden, inklusive regelmäßiger Trainingskontrollen, die im Boxen leider längst nicht überall stattfinden. Dabei kommt die Leistung, die im Kampf erbracht wird, aus dem monatelangen Training. Deshalb sind die üblichen Kontrollen vor und nach einem Kampf Zeitverschwendung. Der BDB geht aus unserer Sicht nicht konsequent genug gegen Doping vor. Deshalb ist eine Rückkehr derzeit kein Thema.

Angesichts der Probleme, die das Boxen in der Öffentlichkeit oft hat: Warum bleiben Sie nicht Fußballvermarkter?
Sauerland: Boxen ist der spannendste Sport der Welt, es passieren so viele verrückte Geschichten, was man ja gerade wieder gesehen hat, als der Kampf Wladimir Klitschko gegen Alexander Povetkin für 23 Millionen Dollar nach Russland versteigert wurde. Und auch wenn es ein hartes Business ist und viele bunte Vögel rund um den Ring herumlaufen, können Sie mir glauben, dass die Welt im Fußball keinesfalls besser ist. Boxen fasziniert jeden. Nicht jeder mag den Sport, aber jeder hat eine Meinung dazu. Deshalb bin ich mir sicher, dass Boxen immer eine der größten Sportarten sein wird. Und für mich die größte.