Schwergewichtsboxer Francesco Pianeta aus Gelsenkirchen überwand den Hodenkrebs. Am Sonnabendabend fordert er Wladimir Klitschko heraus.

Dierhagen. Luciano wird am nächsten Mittwoch sieben, und er wünscht sich diese glitzernden Gürtel. Drei Stück, einer Elvis-Presley-mäßiger als der andere. Mit Steinchen und Strass und schön bunt. Die WM-Gürtel der Box-Weltverbände WBA, WBO und IBF. Alle drei sind schon lange im Besitz von Wladimir Klitschko, aber Luciano ist bald sieben, er möchte sie haben, und sein starker Papa, der wird sie ihm schon besorgen an diesem Sonnabend in Mannheim (22.10 Uhr/RTL).

"Ich möchte ihm natürlich gerne diese Gürtel mitbringen", sagt Papa Francesco Pianeta. Er will das wirklich. Und er glaubt auch, dass er es schaffen kann, den großen Wladimir Klitschko im WM-Kampf zu bezwingen. Sonst glauben das nur wenige. Sonst glauben alle, dass der Deutsch-Italiener aus Gelsenkirchen trotz 29 Kämpfen ohne Niederlage nur einer dieser sorgsam ausgewählten Gegner mit einer guten Geschichte ist. Gut vermarktbar für die Vorab-Stories beim TV-Sender RTL und vor allem ungefährlich im Kampf. "Mein Vorbild", sagt Francesco Pianeta, "ist Corrie Sanders."

Der war ebenfalls Rechtsausleger. Schon 37 Jahre alt und ein vermeintlich chancenloser Außenseiter. Sanders gewann vor zehn Jahren in Hannover gegen Wladimir Klitschko durch technischen K. o. in der zweiten Runde und krönte sich dadurch zum Überraschungs-Weltmeister. "Ich glaube, Klitschko unterschätzt mich. Ich habe gar nichts zu verlieren, bin klarer Außenseiter, aber ich werde mein Bestes geben", kündigte Pianeta an. So, wie sie das alle sagen.

Aber der 28-Jährige ist eben doch anders als die normalen Klitschko-Herausforderer. Man kann es für Zufall halten oder für super-abgebrüht, geschicktes Management. Als Co-Produzenten haben die Klitschkos Geld in das Musical "Rocky" investiert. Die Story ist wie im Film: italienstämmiger Außenseiter erhält mangels anderer Gegner eine unerwartete Chance auf einen WM-Kampf gegen den Super-Champion. Verliert natürlich, aber knapp, gewinnt die Herzen, seine Liebe und ein neues Leben. Balboa, Pianeta, passt schon.

Sein neues Leben allerdings hat Francesco Pianeta bereits gewonnen. Hier beginnt die Geschichte, die ihn von vielen anderen Boxkämpfern unterscheidet. Sie ist ein wenig rührselig. Pianeta geht damit auch nicht hausieren, kein Wort darüber auf der Abschlusspressekonferenz in Mannheim beispielsweise. Aber vor drei Wochen, im Wellness-Trainingslager im Ostseebad Dierhagen, da hat er sehr offen über seine Krebserkrankung gesprochen und wie er sie überwunden hat. Anfang 2010 kam die Diagnose Hodenkrebs, vor der OP hat er niemandem etwas erzählt, er wollte das alleine schaffen. "Scheiß drauf" hat er gedacht, ein Gegner zum Besiegen. Aber dann war es nicht so einfach. Vor den zwei angesetzten Chemotherapien hat er die Familie endlich informiert. Die Mutter hat geweint, natürlich. "Es war der größte Fehler meines Lebens, dass ich geschwiegen hatte", sagt er und muss schlucken. Die Erinnerung kommt hoch, ist frisch. Wühlt diesen 1,96-Meter-Brocken auf: "Ich habe es mir nicht so krass vorgestellt, ich wog 130 Kilo, hatte eine Glatze und sah furchtbar aus. Und ich war fertig, wenn ich nur ein paar Schritte gelaufen bin." Der Puls war hoch, die Stimmung im Keller.

Schritt für Schritt, auf dem Laufband und auf der Straße ging es zurück. Ins Leben, in den Sport - und beides hängt miteinander zusammen. "Auch als ich krank war, hatte ich das Ziel WM nie aufgegeben", sagt Pianeta. Ab November 2010 durfte er wieder leichtes Sparring machen. Fitnesstrainer Alfred Segener baute ihn körperlich wieder auf. Pianeta trennte sich von Promoter Sauerland Event, wo der Glaube an seine Perspektive nicht mehr groß war, und wurde Anfang 2011 von Ulf Steinforth unter Vertrag genommen. Der stand nun in Mannheim in der Woche vor dem Kampf auf einem Podium und verkündete große Dinge: "Wir werden die Boxwelt erschüttern."

Im Sommer 2012 war Pianeta vor dem Kampf gegen Tony Thompson als Sparringspartner im Trainingslager von Klitschko beim Stanglwirt. Musste aber nach wenigen Tagen abreisen. "Es passte nicht", war Klitschkos Begründung. "Ich habe ihm zu sehr zugesetzt im Ring", ist Pianetas Erklärung. Bei der Verabschiedung habe ihn der mittlerweile verstorbene Trainer Emanuel Steward beiseite genommen: "Du wirst einmal Weltmeister."

Sonnabend soll es also so weit sein. Aber die große Aufregung, die wollte sich auch in der vergangenen Woche in Mannheim nicht einstellen. Pianeta ruht anscheinend in sich selbst. Wie der Film-Rocky präsentierte er sich in Mannheim, Wollmütze auf dem Kopf, lakonischer Blick. "Ich bin kein Mann der großen Worte", sagt er. Überflüssigerweise, das hört man ja. "Total relaxt", sei er, und auch das glaubt man sofort. Coach Dirk Dzemski, der als eines der größten Trainertalente im Lande gilt, ist sich sicher: "Francesco wird einen super Kampf machen. Wir haben einen guten Plan erarbeitet, der hoffentlich aufgeht." Auch der Boxer glaubt an das unmöglich Scheinende: "Die Vorbereitung ist gut gelaufen und mein Trainer ist zufrieden", sagte er, "und jetzt hoffe ich, dass ich das Ding gewinne."

Die größte Börse der Karriere kassiert der 28-Jährige auf jeden Fall. Spenden möchte er einen Großteil davon. An vier Organisationen, die ihm wichtig sind. An die Kirche ("Ich bin Christ"), an die Moschee ("Viele Freunde sind Muslime"), eine Kinderkrebsstiftung und an die "Amigonianer", den Jugendtreff eines katholischen Ordens in Gelsenkirchen. Dort wird wichtige Sozialarbeit geleistet, die Amigonianer wollen Ansprechpartner in Krisensituationen, bei Schulproblemen, Familienkonflikten, Erziehungsschwierigkeiten oder Drogenkonsum sein. "Dort bin ich praktisch aufgewachsen", erzählt Pianeta, "wenn ich jetzt die Jugendlichen dort heute sehe, denke ich, krass, so warst du früher auch. Ich möchte deshalb etwas zurückgeben."

Aber nicht die Gürtel. Die sind für Luciano.