Sturm verlor den Kampf gegen Soliman. Eine plausible Erklärung für diese Wertung fanden die beiden Profiboxer nicht.

Düsseldorf. Die Fassungslosigkeit hatte in der Nacht zum Sonnabend zwei Gesichter. Das eine gehörte Sam Soliman und war ohne Unterlass zu einem Dauergrinsen verzerrt. Ungeduscht, den freien Oberkörper notdürftig mit einer schwarzen Trainingsweste verhüllt, saß der 39 Jahre alte Australier vor der versammelten Presse und versuchte zu erklären, warum er einen Kampf gewonnen hatte, den die meisten Beobachter als Niederlage gewertet hätten. Das andere gehörte Felix Sturm, es drückte eine Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen aus, während er versuchte zu erklären, warum er einen Kampf verloren hatte, den er nicht verlieren durfte. Um es vorwegzunehmen: Eine plausible Erklärung fanden die beiden Profiboxer nicht, und so blieb letztlich nur eine Erkenntnis: Dass die Kariere des Felix Sturm an einem Scheideweg steht, dessen Ende derzeit nicht abzusehen ist.

5000 Zuschauer im ISS Dome, wo normalerweise die Düsseldorfer EG ihre Heimspiele in der Deutschen Eishockey-Liga austrägt, hatten einen Kampf gesehen, der in der zweiten Runde schon entschieden schien. Mit einem als Konter geschlagenen rechten Haken hatte Sturm seinen Gegner zu Boden geschlagen, und weil Soliman fortan durch den Ring taumelte wie ein Wackeldackel, dem man die Beine verkehrt herum angeschraubt hat, war lediglich fraglich, wie lange Sturm für den finalen Knockout brauchen würde.

Ob es das trügerische Gefühl der Überlegenheit war oder körperliche Unzulänglichkeit, die den Exweltmeister von der vierten Runde an lähmte, war nicht zu klären. Zu sehen war, dass Soliman in den Kampf zurückfinden konnte, weil Sturm ihm die Initiative überließ und sich nur aufs Kontern mit Einzelschlägen beschränkte, anstatt mit druckvollen Kombinationen seine Überlegenheit zu zementieren. Soliman schlug viel und nicht nur in die Deckung, und er steckte die Konter Sturms erstaunlich gut ein. Das einstimmige Punkturteil von 116:111, 114:113 und 114:113 überraschte aber dennoch nicht nur die neutralen Beobachter, die Sturm mehrheitlich knapp vorn gesehen hatten, sondern auch Ringsprecher Michael Buffer, der zunächst Sturm als Sieger ankündigte und sich korrigierte, während Soliman schon brav gratulierte.

„Ich muss die Wertung der Punktrichter akzeptieren, obwohl ich mir sicher war, dass es für mich gereicht hatte“, sagte Sturm. Sein Trainer Fritz Sdunek wurde deutlicher. „Für mich war es ein krasses Fehlurteil. Felix hat die klareren Treffer gesetzt. Ich war geschockt, als ich nach der achten Runde hörte, dass wir zurücklagen, und ich kann mir die Wertung der Punktrichter nicht erklären“, sagte er. Dass sein Schützling sich nach dem Niederschlag zu sicher gefühlt habe, wollte er nicht gelten lassen. „Felix hat es danach zu sehr mit Gewalt machen wollen. Er hat zu viel auf Einzelschläge gesetzt. Aber die, die durchkamen, waren klare Treffer. Deshalb bin ich enttäuscht, dass nur die Aktivität bewertet wurde.“

Welche Auswirkungen die zweite Niederlage in Folge auf das Geschäftsmodell des Wahl-Kölners hat, der sich seit Sommer 2010 in Eigenregie vermarktet, bleibt abzuwarten. Wer die geschockten Gesichter seines Teams sah, weiß, wieviel Arbeit nun vonnöten ist, um noch einmal die Weltspitze anzugreifen. Immerhin steht TV-Partner Sat.1 weiter fest zu seinem Zugpferd. Auch Philip Cordes von Vermarkter Ufa Sports sagte: „Das ist ein Schock, ein harter Schlag. Aber wir müssen das als Herausforderung ansehen.“

Vor allem gilt es für Sturm, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wie schon bei der vorangegangenen, ebenso umstrittenen Punktniederlage gegen Solimans Landsmann Daniel Geale im September 2012 hatte er die Punktrichter gegen sich. „Wir stehen vor einem totalen Neuaufbau, aber davon lasse ich mich nicht unterkriegen. Vor allem müssen wir uns breiter aufstellen und die Lobbyarbeit bei den Weltverbänden verstärken“, sagte er. Dass sein Image dort nicht das beste ist, hat er sich angesichts despektierlicher Aussagen gegenüber der WBA, die er nach dem Verlust seines WM-Titels gegen Geale in die Nähe der Bestechlichkeit rückte, teils selbst zuzuschreiben.

Lobbyarbeit allein dürfte jedoch nicht reichen. Vielmehr muss Sturm lernen, wieder dominant zu boxen und seine technischen Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Dass er dazu körperlich nicht mehr in der Lage ist, vermuten mittlerweile einige Experten. Ob angesichts der wenig überzeugenden Leistungen aus den mittlerweile sieben Kämpfen in Eigenregie der Aufstieg ins Supermittelgewicht, den Sturm als eine Option andeutete, eine gute Idee ist, darf bezweifelt werden. Er habe die Power und die Masse dafür, sagte Sturm, und Trainer Sdunek ist derselben Meinung. In einer Gewichtsklasse, in der Arthur Abraham vom Berliner Sauerland-Team noch der schwächste der vier Weltmeister ist, hat der Sturm der letzten vier Jahre indes kaum das Potenzial, die Spitze anzugreifen. Es haben zwar schon größere Champions mehrmals hintereinander verloren und sind zurückgekommen. Aber Sturm ist mittlerweile 34 Jahre alt und hat in vielen Kämpfen, die über die volle Distanz gingen, Substanz gelassen.

Wahrscheinlicher ist deshalb, dass er im Mittelgewicht auf eine neue Chance wartet. Der Weltverband IBF hatte dem Sieger des Kampfes Sturm gegen Soliman einen Kampf gegen seinen Weltmeister Daniel Geale versprochen. Daraus wird nun ein rein australisches Duell. Doch Soliman sagte bereits zu, im Falle eines Sieges für ein Rematch mit Sturm bereitzustehen. „Ich war immer ein großer Fan von Felix und kann nicht glauben, dass ich ihn besiegt habe. Wenn er noch einmal gegen mich kämpfen will, machen wir es“, sagte er.

So nett diese Worte auch gemeint waren; sie genügten nicht, um die Fassungslosigkeit aus Felix Sturms Gesicht zu vertreiben.