Hamburger Schwergewichtsboxer Denis Boytsov dachte schon an das Karriereende. Jetzt hofft er auf einen Kampf gegen Wladimir Klitschko.

Hamburg. Als er nachts nicht mehr schlafen konnte, als ihn die Sorgen um seine Zukunft aufzufressen drohten und er den Kopf nicht mehr frei hatte für seinen Beruf, da war Denis Boytsov kurz davor, eine der hoffnungsvollsten Karrieren im Schwergewichtsboxen zu beenden. Es war Herbst 2012, und das ständige Ringen um die Zukunft und der Streit mit seinem Promoter Waldemar Kluch hatten den Russen zermürbt. „Ich hatte psychische Probleme und hätte am liebsten mit dem Boxen aufgehört“, sagt er im Rückblick.

Denis Boytsov, 26 Jahre alt, in 31 Profikämpfen unbesiegt, war im Herbst 2004 nach Hamburg zum Universum-Stall gekommen. Mit seinem brachialen Stil wurde er schnell zum Knockout-Spezialisten mit dem Image einer Kampfmaschine. Das Interesse an ihm wuchs weltweit stetig, und im vergangenen Jahr wurde er offiziell als Gegner für Wladimir Klitschko gehandelt.

Boytsovs Niedergang begann im Juli 2012, als der Streit zwischen dem früheren Universum-Chef Klaus-Peter Kohl und seinem Nachfolger Kluch um die Modalitäten der Geschäftsübernahme eskalierte. Der Russe wurde zum Streitobjekt, weil Kluch in ihm den „Motor“ des Unternehmens sah und befürchtete, Kohl wolle ihm sein letztes Faustpfand nehmen. Einen von Kohls Schwiegersohn Dietmar Poszwa im Namen Universums ausgehandelten neuen Vertrag, den Boytsov und dessen Berater Gagik Khachatryan unterschrieben hatten, focht Kluch an; so lange, bis Khachatryan um Vertragsauflösung bat. Dieser kam Poszwa nach, auch um zu beweisen, dass man dem Sportler keinerlei Steine in den Weg legen wollte.

Die Probleme fingen damit jedoch erst an, denn einen Vertrag mit Kluch wollte Boytsov nicht unterschreiben. Er weigerte sich fortan, im Universum-Gym im Hamburger Stadtteil Lohbrügge zu trainieren. Einen für 12. Oktober angesetzten Kampf musste Boytsov absagen; offiziell wegen einer Nebenhöhlenvereiterung. Wie es ihm wirklich ging, sollte niemand wissen. Das Alkoholproblem, das ihm in der Szene angedichtet wurde, dementiert er zwar so vehement wie glaubhaft, doch die Psyche brachte auch die Physis durcheinander. Der Muskelberg, der rund 102 kg Kampfgewicht auf 185 cm verteilt, magerte auf 94 kg ab und fühlte sich, als könne er nicht einmal mehr eine Falte in ein Kopfkissen schlagen.

Heute, rund drei Monate später, kann Boytsov darüber reden, er wirkt befreit, wenn er es tut. Der Zuspruch seiner Familie, die er im Dezember in seiner Heimatstadt Orjol nahe Moskau besuchte, hat ihm ebenso geholfen wie der fachliche Rat des Berliner Rechtsanwalts Johannes Eisenberg, der ihm die Angst nahm, von Kluch nicht loszukommen. Und so hat sich Boytsov nicht nur entschlossen, die Karriere fortzusetzen, er glaubt jetzt mehr denn je daran, dass er sie zum erträumten Ende bringen wird. „2013 wird mein Jahr, spätestens 2014 werde ich Weltmeister sein“, sagt er.

Die Folgen der Operationen an Schlaghand und rechtem Ellenbogen sind ausgestanden. Michael Ehnert, lange Jahre Vertrauensarzt des Universum-Stalls und bis heute Boytsovs behandelnder Doktor, sagt: „Die Operationen sind so gut verlaufen, dass Denis wieder voll funktionstüchtig ist.“ Allerdings brauche er nach den Monaten ohne regelmäßiges Training einen systematischen Athletikaufbau. Am 9. Februar wird er dennoch einen Aufbaukampf in Berlin oder Magdeburg bestreiten.

Wie das im Streit mit Kluch ankommt, ist unsicher. Dieser hatte nach seinem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Ende November gesagt, er wolle die Verträge mit den Sportlern, für die es sich zu kämpfen lohne, in einem neuen Unternehmen weiterführen. Boytsov gehöre nicht dazu. „Er wird sich freikaufen müssen oder bis 2016 nicht mehr kämpfen“, hatte Kluch gesagt. Khachatryan will das Duell am 9. Februar dennoch durchziehen. „Denis braucht Kämpfe, um sich die Sicherheit zu holen, dass er es noch kann“, sagt er. Im Frühjahr soll dann systematisch aufgebaut werden, möglichst mit einem neuen Trainer, der gesucht wird. Derzeit übt Boytsov im alten Universum-Gym an der Walddörferstraße mit Owen Reece, eine Dauerlösung ist das nicht. Er selbst wünscht sich einen Trainer aus Übersee. „Ich würde gern die amerikanische Schule erlernen, beweglicher und unbequemer werden“, sagt er.

Das Interesse hat trotz seiner neunmonatigen Ringabstinenz nicht abgenommen. Der US-Promoter Golden Boy hat mehrfach angefragt, das Berliner Sauerland-Team würde ihn gern unter Vertrag nehmen. Felix Sturm hat mit ihm verhandelt, es gab Avancen der Klitschkos, die den Russen für ihre Promotionfirma K2 East verpflichten wollen. „Bei den Klitschkos hätte ich nie unterschrieben. Sie sind meine Gegner“, sagt Boytsov.

„Wir werden momentan mit niemandem einen Vertrag abschließen“, sagt Khachatryan. Auf die Frage nach seinem größten Wunsch für 2013 sagt Boytsov: „Ich möchte einfach nur ein gutes Comeback. Alles andere kommt von allein.“ Das vergangene Jahr hat ihn bescheiden, demütig gemacht. Aber es hat nicht seinen Willen gebrochen. Denis Boytsov kann wieder ruhig schlafen.