Trautel Diekhoff arbeitet seit über 66 Jahren ehrenamtlich für verschiedene Abteilungen des HSV - ein Rückzug ist nicht in Sicht.

Hamburg. "Meine Freunde sind 20 Jahre jünger als ich. Und trotzdem schon alt." Gertraud Diekhoff, die von allen nur Trautel gerufen wird, hat eine seltene Gabe: Sie kann über ihr etwas fortgeschrittenes Alter auch mal herzhaft lachen. In diesem Jahr hat sie ihren 90. Geburtstag gefeiert, aber im Grunde ist das nur eine Zahl. Ihr inneres Alter ist ein ganz anderes. "Wir treffen uns hier jede Woche mit unserer Frauengruppe zum Saunieren. Die sind alle so um die 70. Und ich fühle mich ganz bestimmt nicht älter als sie."

Trautel Diekhoff hat uns in den Fitnessraum ihres Hauses an der Hochallee im Stadtteil Harvestehude geführt, wo sich die Gruppe regelmäßig trifft. Vor der Sauna steht ein Ergometer, der sie bereits einige Jahrzehnte ihres Lebens begleitet haben muss, eine Sprossenwand dient für gymnastische Übungen. Für das Foto schwingt sie sich mithilfe eines Stuhls auf ein Hochbett. Bevor man noch aus Sorge den Atem anhalten kann, sitzt sie schon munter oben. Wenn man ihr zuhört und sieht, wie beweglich sie noch ist, hat man innerhalb kürzester Zeit das Alter dieser jung gebliebenen Frau vergessen, was aber auch kein Wunder ist. Der Sport gibt ihr zurück, was sie dem Sport ihr ganzes Leben gegeben hat.

"Nach über 26 Jahren unermüdlicher und engagierter Jugendarbeit ziehen sich Trautel und Harry ins Privatleben zurück", schrieb das Abendblatt in der Rubrik "Menschlich gesehen", als sie und ihr Mann die Leitung der Leichtathletikabteilung "weibliche Jugend und Schülerinnen" des HSV aufgaben. Das war 1972, vor 40 (!) Jahren. Doch vom aktiven Sport konnten die Diekhoffs noch längst nicht lassen.

Kurz darauf gründete das Ehepaar im HSV eine Mutter-Kind-Gruppe und leitete sie bis 1992, parallel dazu bildete sich unter der Führung von Trautel Diekhoff eine Senioren- und Breitensportgruppe in der Leichtathletik-Abteilung des Klubs. Wer es nicht glaubt, kann sich selbst davon überzeugen und an einem beliebigen Donnerstag zwischen 18 und 19.30 Uhr zur Jahnkampfbahn nach Winterhude fahren und dort eine zehn- bis zwölfköpfige Gruppe Frauen bei ihren Gymnastikübungen verfolgen. Die Leiterin dieser Gruppe heißt bis heute: Trautel Diekhoff.

Als Anerkennung ihrer mittlerweile mehr als 66-jährigen ehrenamtlichen Arbeit verlieh ihr Senator Michael Neumann in der vergangenen Woche die "Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes" der Stadt Hamburg. Die höchste Auszeichnung des HSV trägt sie am Revers ihres Blazers: Die Ehrennadel in Gold, die neben ihr noch die beiden früheren Präsidenten Peter Krohn und Wolfgang Klein sowie Franz Groh tragen dürfen.

"Ich habe schon mehrfach angekündigt aufzuhören", erzählt Frau Diekhoff. Aber ihre Gruppe, die jüngste ist 50, die älteste gerade 80 geworden, weigert sich beharrlich, sie zu entlassen. Und ihr Ehrgeiz, den Jüngeren die richtigen Bewegungsabläufe beizubringen, ist sowieso unvermindert groß: "Ich ertappe mich häufig dabei, dass ich mich sogar vor dem Fernseher aufrege und den Sportlern zurufe: 'Mensch, macht doch den richtigen Rhythmus!'"

Wir sind wieder oben im Wohnbereich des Jugendstilhauses, das seit den 30er-Jahren in Besitz der Familie Diekhoff ist. Überall hängen Erinnerungen an zahlreiche Reisen, die sie mit ihrem vor fünf Jahren verstorbenen Mann Harry unternommen hat. Ob in China oder in Chile, überall ist sie gewesen. Die Unternehmungslust ist ihr geblieben. Ihren 90. Geburtstag feierte Trautel mit einem befreundeten Ehepaar in Australien. Es war ihr dritter Besuch auf diesem Kontinent.

Wer ein Gespräch mit Frau Diekhoff führt, muss gut in Geschichte sein, mit ihrem guten Gedächtnis wäre sie ein idealer Joker bei Günther Jauchs "Wer wird Millionär?". Beim SCC Berlin hat die gebürtige Leipzigerin ihre ersten Schritte als Sportlerin gemacht, dort gab es eine eigene Frauen-Leichtathletikabteilung, keine Selbstverständlichkeit in dieser Zeit. Sie war eine gute Hochspringerin (1,55 Meter mit der Scherenschritt-Technik) und Weitspringerin (5,24 Meter).

Die Kriegswirren spülten sie schließlich nach Hamburg. Schnell landete sie beim HSV, was ihr Leben entscheidend beeinflussen sollte. 1946 lernte sie vor den Alsterstaffel-Wettbewerben im alten Klubhaus an der Rothenbaumchaussee einen gut aussehenden Sprinter kennen - ihren Mann, den sie schon 1947 heiraten sollte.

Aus dieser Verbindung sind bis heute vier Kinder, acht Enkel und drei Urenkel hervorgegangen. Der große Familienzusammenhalt ist sicher einer der Gründe, warum Einsamkeit für Trautel Diekhoff ein Fremdwort ist. An jedem zweiten Weihnachtsfeiertag kommt die 22-köpfige Großfamilie in ihrem Haus zusammen, wo ansonsten regelmäßig nur die zweitälteste Tochter und ihr Schwiegersohn leben. Ihre Leidenschaft hat auf die Nachkommen abgefärbt: "Alle sind beim HSV ..."

Dass der Verein ihr heute viel zu sehr über den Fußball definiert wird, daraus macht Trautel Diekhoff kein Geheimnis. Nur allzu gerne hätte sie es gesehen, wenn bei der pompösen 125-Jahr-Feier des HSV in der O2 World andere Sportarten intensiver gewürdigt worden wären. Sie selbst war völlig überrascht, als während der Veranstaltung plötzlich ein Herr neben ihr Platz nahm und ihr als Anerkennung für ihr Ehrenamt eine Reise zum Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft in Paris gegen Frankreich schenkte: DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.

So liegt im Februar also schon die nächste größere Reise an, mit neuen Erlebnissen und Erfahrungen, so ganz nach dem Geschmack von Trautel Diekhoff, die lieber nach vorne als zurück schaut. Nur einen vermisst sie: ihren Mann. "Wie schön wäre es gewesen, mit ihm diese Anerkennung zu teilen. Wir haben doch früher alles gemeinsam gemacht. Schade, dass er alles das nicht mehr erleben kann."